„Wässen se et schin, det Susi äs uch hä!“ Frau Lisi erzählt es immer wieder, wenn wir einander beim Frühstück im Dr. Carl-Wolff-Heim in Hermannstadt/Sibiu begegnen: Ihre alte neue Freundin, ihre Bettnachbarin im russischen Lager bei Tschassoviar, ihre Leidensgefährtin aus der Deportationszeit, wohnt nun auch im Altenheim. Ein einziges Mal haben sie einander hier gesehen. Susi verlässt ihre Abteilung nicht wegen des kranken Ehemanns und Lisi traut sich nicht, den Fahrstuhl alleine zu benützen.
War es vor fünf Jahren nicht auch ähnlich? In den Medien wurde von den siebzig Jahren geschrieben und gesprochen, die seit dem verhängnisvollen Januar 1945 vergangen waren. In Mediasch verfolgte damals eine Überlebende der schweren Russlandjahre die deutsche Sendung des rumänischen Staatsfernsehens: „Säch, det Lisi ous Scholten!“ Es kam ein Anruf, der Lisi dazu bewog, sich nach Mediasch fahren zu lassen, um Susi aus Taterloch wieder zu umarmen. Nach so langer Zeit! Man hatte einander nach der Rückkehr 1949 ganz aus den Augen verloren. (Die ADZ berichtete darüber am 3. März 2015).
„Unser Herrgott tut Wunder!“ Die 92-jährige Lisi sitzt bei Susi und ihrem Mann im Zimmer. Aber anders als vor fünf Jahren werden die alten Zeiten nicht mehr lebendig. Beide lächeln, erzählen, wiederholen immer wieder, was ihnen heute wichtig ist. Graziös tanzt Susis Enkelmädchen in Kanada über den Bildschirm. Dem Internet sei Dank, die Oma kann ihrer fernen Familie ganz nahe sein. Beim Umzug ins Hermannstädter Heim waren sie sogar selbst mit dabei. Die Bukarester Familie sieht sie öfter und verfolgt mit Stolz ihren Werdegang. Sie strahlt, ihr Ehemann sitzt aufrecht in einem Lehnsessel und nickt, wenn Susi ihn wie zur Bestätigung anlächelt. Das Haus in Mediasch? Sollen sie es doch verschenken, wenn sie wollen. Auch den Hortensien trauert Susi nicht nach. Hier gibt es einen blühenden Garten, in dem sie sich dann treffen werden, wenn der Sommer wiederkommt. Das wünscht sich vor allem Lisi, die Beweglichere der beiden, die man früher „die Nachtigall“ nannte, die auch jetzt im Chor singt und beim hauseigenen Krippenspiel als Hirtin mitmacht. Worauf sollte sie stolz sein, fragt Lisi sich etwas mürrisch. Ihr Leben war ein harter Kampf, bis sie es zu einer bescheidenen Wohnung in Hermannstadt brachte, einem Ort für sich und die alte Mutter, die eines Tages dort in ihren Armen starb. Einen Halt fand sie in der Gemeinschaft, bei der Kirche, im Nähkreis. Sie las die Bibel, sang oft und ganz für sich aus dem Gesangbuch, das stets aufgeschlagen in Reichweite stand. Jetzt tastet ihre Hand nach Susis Fingern. Einmal, vor 75 Jahren, haben sie so viel miteinander geweint, gelacht, von Pritsche zu Pritsche getuschelt. Nun dürfen sie ausruhen. Der Alltag hat keine Sorgen mehr für sie bereit. Jede versinkt in ihren Gedanken, in Erinnerungen, die sie nicht miteinander teilen. Die Tage der beiden jungen Mädchen, die, noch keine 18, im fremden Russland Unerträgliches gemeinsam durchlebt haben, sind ferngerückt. Wie eine Schneedecke liegt ein langes Leben darüber. Wenn es doch nur wieder Frühling wird!