Cristian, dem Geburtsschein nach elf, der Größe nach etwa drei, im Verhalten bestensfalls acht Monate alt, lernt das Fläschchen selbst zu halten. Seine Eltern sind verstorben, er ist spastisch gelähmt und wächst in einem Heim für schwerbehinderte Kinder auf. Aus diesem kam er zusammen mit Ulise, zwölf Jahre alt, ebenfalls spastisch gelähmt und in der Entwicklung genauso weit zurück, ins Kinderhospiz in Hermannstadt/Sibiu. Beide Jungen hatten Ess- und Schlafstörungen und große Nierenprobleme. Ulise hat Eltern, die haben ihn jedoch auf- und abgegeben. Im Kinderheim sind zwei Pflegerinnen für 30 Kinder zuständig, die haben nur Zeit, sie zu füttern und die Windeln zu wechseln. In den zwei Wochen, seit sie im Kinderhospiz sind, wurden die beiden Jungen medizinisch und physiotherapeutisch behandelt und vermutlich erstmals auch ins Freie gebracht, den großen Augen nach zu urteilen, die sie beim Anblick des Baumes, des blauen Himmels und des Sonnenlichtes machten. Inzwischen schlafen beide die Nacht durch und sind tagsüber wach, sie trinken ihr Fläschchen leer und beginnen zu lächeln.
„Was wir tun können ist, den Kindern ein paar Sternstunden zu bieten“, sagt Ortrun Rhein, die das Kinderhospiz, das erste dieser Art in Rumänien, initiiert und aufgebaut hat. Es befindet sich auf dem Gelände des „Dr. Carl-Wolff“-Alten- und Pflegeheimes, wo es auch schon ein Hospiz für Erwachsene gibt, Einrichtungen, die sie eben-falls leitet. Werden in der Palliativstation für Erwachsene Krebskranke ohne Heilungschancen während ihrer letzten Tage begleitet, kommen in das neue Palliativzentrum Kinder mit lebensbedrohenden und –verkürzenden Krankheiten. Die Eltern lassen diese meist im Entbindungsheim zurück, Pflegeeltern nehmen sie nicht auf, die Kinderheime aber auch die Kinderschutzbehörden sind mit dergleichen Fällen überfordert. So ergeht es aber auch den Eltern, die ihr krankes Kind zu Hause pflegen – weshalb auch solche Kinder für ein paar Wochen aufgenommen werden.
Mit ihrer Mutter zusammen kam Jasmina, acht Jahre alt, spastisch gelähmt, ins Kinderhospiz. Die Ärzte prognostizieren noch ein paar Lebensjahre, sie wird diese vermutlich, dank ihres starken Lebenswillens, um einige überbieten, selbst wenn die Lebensqualität stetig abnimmt. Jasmina und ihre Mutter wurden psychotherapeutisch betreut, Jasmina zum Zahnarzt geschickt, sie lernte basteln – und die Mutter hatte ein paar Stunden, die sie sich selbst widmen konnte. Das muntere Mädchen im Rollstuhl war im August da, die Altenheimbewohner haben es ins Herz geschlossen und fragen nun nach ihm.
Jasmina wird irgendwann wiederkommen, die acht Monate alte Irina aber wird bald für immer gehen. Mit einer Deformation (MED) des Gehirns geboren, werden ihre Lebenschancen auf bestensfalls einige Wochen geschätzt. Wegen der Krankheit hat die Familie sie zurückgelassen, nach Hermannstadt kam sie von der Neugeborenenabteilung des Krankenhauses in Blasendorf/Blaj. Ein weiteres Mädchen mit sehr geringen Lebenschancen angesichts eines Lebertumors, das in einem Kinderheim lebt und derzeit in der Kinderkrebsstation in Klausenburg/Cluj ist, wird in den nächsten Tagen hierher kommen.
Die Kinderheime – bisher erst wenige – haben die Fälle, in denen sie Hilfe haben möchten, gemeldet, weil Ortrun Rhein eine Rundmail an die Kinderschutzbehörden gesandt, die neue Einrichtung vorgestellt und mitgeteilt hat, dass hier Kinder aufgenommen werden können. Mit dem Hermannstädter Kinderkrankenhaus wurde ein Kooperationsvertrag abgeschlossen, einige Anrufe kamen aber auch von Personen, die im Internet nach einer Station gesucht haben, wo Kinder nicht nur tagsüber und an den Wochentagen, sondern rundum betreut werden.
Das Kinderhospiz verfügt über zehn Plätze, betreut werden derzeit jedoch erst fünf Kinder. Das liegt zum einen daran, dass auch die zwei Ärztinnen – eine im Hospiz eingestellte sowie eine Aushilfe für die Wochenenden – und die sieben Krankenschwestern sich erst einarbeiten müssen, zum anderen aber daran, dass die Station vorerst nur aus Spenden finanziert wird. Laut rumänischer Gesetzgebung muss eine Einrichtung erst Mitarbeiter anstellen, Patienten haben und ihre Tätigkeit ausüben, bevor ein Vertrag mit der Krankenkasse abgeschlossen wird, über die zumindest ein Teil der Kosten beglichen werden kann. Die Funktionsbewilligungen sind alle eingeholt, so dass Ortrun Rhein hofft, die staatliche Finanzierung ab dem 1. Januar 2017 zu bekommen. Dann erst wird es möglich sein, alle zehn Plätze zu belegen. Auf Spenden wird das Kinderhospiz jedoch auch nach Unterzeichnung des Vertrags mit der Krankenkasse angewiesen sein, denn die Sternstunden, die den Kindern hier geboten werden sollen, kosten mehr, als die staatlichen Regelungen vorsehen.