Gegen den Strom

Zu Besuch bei evangelischen Glaubensgeschwistern entlang der Seidenstraße (I)

Die Siebenbürger Flagge reiste durch die Welt. Foto: Richard Toader-Rausch

Fast zwei Monate lang, vom 18. August bis zum 14. Oktober, bereisten junge Mitglieder der Gemeinden Wolkendorf und Heltau mit einem Kleinbus die Seidenstraße und besuchten Glaubensgeschwister im Jahr der Reformation.

Was kann man Besonderes in einem Jahr machen, in dem 500 Jahre Reformation gefeiert werden? Eine Gruppe junger Erwachsener aus den Gemeinden Wolkendorf und Heltau unter der Leitung von Pfarrer Uwe Seidner hatte sich das Ziel gesetzt „gegen den Strom“ zu schwimmen und mit dem Kleinbus evangelische Gemeinden entlang der Seidenstraße bis nach Peking im fernen Osten zu besuchen.

Vor allem in den zentralasiatischen Staaten gibt es Gemeinden, die unter verschiedenen Voraussetzungen und durch historische Umbrüche entstanden sind.

Um ein solches Vorhaben durchführen zu können, muss man rechtzeitig mit der Planung beginnen, etwa ein Jahr im Voraus. Früher gehörten die meisten Länder auf unserer Route zur großen Sowjetunion, heute muss man für jedes einzelne Land ein Visum beantragen. Das ist nicht immer in Bukarest möglich und es erwies sich in so manchen Fällen, wie Turkmenistan, als nicht besonders einfach. Auch unser Fahrzeug musste präpariert werden, zudem wurden Zollpapiere benötigt, um auf dem Landweg in den Iran einreisen zu können.

Am 18. August fanden wir uns im Hof der Kirchenburg Wolkendorf zu einer Abschiedsandacht mit Reisesegen ein. Anwesend waren Eltern der Teilnehmer, einige Gemeindeglieder und zwei Fernsehteams, die unser Projekt für außergewöhnlich hielten und darüber einen Beitrag in den Nachrichten bringen wollten.

Rasch ging es nach Süden, wir durchquerten die Türkei und reisten am 20. August in den Iran ein. Der Besuch der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Teheran sollte eines unserer größeren Ziele werden. Doch zunächst suchten wir in einer einsamen Landschaft im westlichen Teil des Landes das armenische Kloster „Sankt Thaddäus“ auf.

Der Iran ist eine islamische Republik, aber es leben auch heute noch religiöse Minderheiten in dem Land - vorwiegend armenische Christen, Juden und Anhänger des Zarathustra, die Zoroastrier. Diese Minderheiten haben jeweils eigene Abgeordnete im iranischen Parlament, die ihre Interessen vertreten. Im Kloster „Sankt Thaddäus“ wurden die Gebeine des Apostels Thaddäus aufbewahrt, bis sie in den Kriegswirren von 1918 verloren gingen. Bis dahin war hier auch ein armenischer Bischofssitz. Die dunklen Steine gaben dem Kloster auch den Namen „Qareh Kelisa“ (d.h. „Schwarze Kirche“). Seit 2008 gilt es als UNESCO-Weltkulturerbe. Mönche gibt es hier keine mehr, aber jedes Jahr im Juli findet eine der größten Wallfahrten armenischer Christen statt, die aus aller Welt hierhin reisen.

Eine deutschsprachige Gemeinde in Teheran

In Teheran erwartete uns Pfarrerin Kirsten Wolandt mit Ehemann Matthias. Seit dem Sommer 2016 tut sie Dienst in der Gemeinde. Ehemann Matthias unterrichtet an der Deutschen Botschaftsschule. Das Angebot, im Gemeindehaus der „Christuskirche“ unser „Lager“ aufzuschlagen, hatten wir schon im Vorfeld dankbar angenommen. Wieso gibt es nun in Teheran überhaupt eine evangelische Gemeinde in deutscher Sprache? Ende der 1950er Jahre kamen vermehrt Gastarbeiter aus dem deutschsprachigen Raum in den Iran. Es waren Architekten, Brückenbauingenieure, Techniker, Industriefachleute u.a., die auf die attraktiven Angebote des Schahs eingingen, sich als „Entwicklungshelfer“ zu verdingen. Ende der 1970er waren es über 12.000 Menschen aus dem deutschsprachigen Raum, die im Iran lebten. Mit der Revolution unter Ajatollah Khomeini 1979 änderte sich das und die meisten zogen weg. Von Kirsten Wolandt erfuhren wir, dass die Religionsfreiheit sehr begrenzt ist. Dennoch hat die Gemeinde – trotz strenger Auflagen – eine gewisse „Bewegungsfreiheit“. Eigentlich ist der Zutritt zur Gemeinde nur ausländischen Staatsbürgern vorbehalten. Doch den Kern der Gemeinde bilden deutsche Frauen, die mit Iranern verheiratet sind. Offiziell sind fast alle zum Islam übergetreten, da sie sonst keinen rechtlichen Status besitzen. Ihre beeindruckenden Geschichten aus ihrem Leben zwischen Abgrund und Erfüllung haben sie in einem Buch zusammengefasst: „One-Way Ticket nach Teheran. Deutsche Frauen im Iran erzählen“, das von der Evangelischen Gemeinde Deutscher Sprache in Iran herausgegeben wird. Einige von ihnen lernten wir im Gottesdienst kennen, den wir in Teheran am Freitag feierten. Im Iran gilt der Freitag als arbeitsfreier religiöser Feiertag. Es war interessant zu beobachten, wie die Gottesdienstgäste auf dem Kirchengelände ihre Schleier ablegten. In diesem Gottesdienst durfte ich die Predigt zum 10. Sonntag nach Trinitatis halten. Etwas ganz Besonders war der Beitrag des Flötenquartetts von vier jungen Iranerinnen des Musikkonservatoriums. Sie spielten in der Zeit des Austeilens des Abendmahles klassische Stücke. Vielleicht gelingt es uns, die jungen Musikerinnen zu einem Auftritt in der Reihe der „Musica Barcensis“ 2018 ins Burzenland einzuladen. Anschließend an den Gottesdienst gab es noch „Kirchenkaffee“ und Bogdan Muntean, ein Teilnehmer aus unserer Gruppe, entführte die Gottesdienstbesucher mit einer Präsentation nach Siebenbürgen mit unserer Kirchenburgenlandschaft. Sehr spannend war es für uns, etwas über das Schicksal der Gemeindeglieder zu erfahren. In Erinnerung blieb uns auch Herr Hans Albeck. Er kam vor etwa 40 Jahren in den Iran um ein Grundig-Werk aufzubauen.

Im Süden von Teheran gibt es einen protestantischen Friedhof. Dort sind Menschen aus über zwanzig Nationen beerdigt. Es gibt ihn seit über hundert Jahren. Zum Friedhofskomitee gehören acht Botschaften. Dieses trifft sich regelmäßig, um die Belange des Friedhofs in Zusammenarbeit mit der evangelischen Gemeinde zu besprechen.

Ein anderer Iran

Nach erlebnisreichen Tagen in Teheran verließen wir das schöne Kirchengelände und fuhren aus der Hauptstadt gen Süden. Über Isfahan ging es nach Shiraz.

Kurz vor Shiraz liegt die antike Stadt Persepolis. Von hier aus regierten die persischen Könige Darius und Xerxes über weite Teile der damals bekannten Welt. Bis nach Griechenland sollte sich das persische Reich erstrecken. Erst die Schlacht bei Marathon setzte den Expansionsträumen ein Ende. Unweit der archäologischen Ausgrabungsstätte befinden sich auch die Gräber der persischen Könige Darius, Xerxes und Artaxerxes.

In Shiraz erwartete uns die junge Germanistin Zakieh Akhtary. Als Treffpunkt wählte sie das Hafis-Mausoleum in einer der schönen Gartenanlagen der Stadt. Sie erzählte uns, dass die Dichtkunst des Dichters aus dem 14. Jahrhundert von Goethe zutiefst bewundert wurde. Goethe setzte Hafis im „West-östlichen Diwan“ ein Denkmal. Die Verehrung durch die Bevölkerung ist außerordentlich groß. Obwohl der Abend schon etwas fortgeschritten war, gab es einen großen Andrang von Menschen. Besonders glücklich und unglücklich Liebende möchten seinem Grab nahe sein. Für uns verkörperte die junge Germa-nistin eine neue Generation des Iran: Eine Generation, die sich vom traditionellen und konservativen Glauben entfernt und sich vermehrt für liberale Werte einsetzt. Diese jungen Menschen sind der Meinung, dass ein radikaler Islam sich sehr negativ auf die Zukunftsperspektiven des Landes auswirken würde. Diese Generation möchte sich eher mit Persien und der persischen Zivilisation identifizieren als mit dem islamischen Iran. Trotz aller Einschränkungen seitens der Regierung wird diese Generation ihren Weg gehen.  Wir verabschiedeten uns vor dem „Koran-Tor“, wo wir etwas sahen, was im Iran eigentlich als verboten gilt: musizierende und tanzende Menschen. Shiraz ist eben anders als der Iran.

Über Yazd und Mashhad ging es weiter Richtung Turkmenistan. In Yazd beeindruckten uns sehr die Windtürme der Stadt. Mit den Windtürmen konnten die Einwohner der Stadt das Wasser in ihren unterirdischen Zisternen kühlen. Heute noch lebt eine religiöse Minderheit in der Stadt: die Zoroastrier, eine Glaubensgemeinschaft, die es schon im alten Persien gab, vor unserer Zeitrechnung. Über Jahrhunderte hüteten die Zoroastrier in Feuertempeln die Feuerflamme. Ihr Glaube schreibt vor, dass Erde, Feuer, Wasser und Luft reingehalten werden müssen. So wurden ihre Verstorbenen schon damals in Schweigetürmen aufgebahrt. Nachdem die Geier nur noch die Knochen übrig gelassen hatten, wurden diese in einer Grube im Turm beigesetzt.

Unweit der turkmenischen Grenze liegt Mashhad. Im Zentrum der Stadt befindet sich das Imam-Reza-Heiligtum. Es ist das wichtigste Heiligtum der Schiiten und erstreckt sich auf einem Areal von einem Kilometer. Imam Reza ist ein Nachfahre des Propheten Mohammeds aus dem 9. Jh. Wie der Zufall es will, erreichten wir die Stadt zu seinem Geburtstagsfest. Pilgerscharen strömten zum Heiligtum. Man kann es sich etwa so ähnlich vorstellen wie die Pilgerfahrt zur Kaaba in Mekka. Wir schlossen uns den Pilgern an, passierten die Sicherheitskontrollen, betraten das Heiligtum und besuchten den Schrein des Imam. Nichtmuslimen ist es verboten, diesen Ort zu betreten.

Absurdistan

Am nächsten Morgen mussten wir uns auf einen der isoliertesten Staaten der Welt einstellen. Die Einreise nach Turkmenistan ist kaum möglich. Die Ablehnungsrate der Visa liegt etwa so hoch wie die für Nordkorea. Pro Jahr besuchen rund 2000 Touristen das Land. Nur unter strengen Auflagen und für viel Geld erhält man ein Touristenvisum. Reiserouten werden vorgeben, die Touristengruppen werden streng bewacht, Bewegungsfreiheit gibt es nicht. Die einzige Möglichkeit für uns mit unserem Kleinbus in das Land einreisen zu können, war ein Antrag auf ein Transitvisum. Die Anträge stellten wir bereits mehr als einen Monat vor Reisebeginn beim  turkmenischen Konsulat in Bukarest. Der einzige Umweg hätte über Afghanistan geführt und das ist wirklich keine Alternative. So hofften und bangten wir. Nach etwa einem Monat Wartezeit erhielten wir vom turkmenischen Konsul aus Bukarest einen Anruf: „Ashgabat hat ihre Visa genehmigt“. Diesen glücklichen Umstand verdanken wir auch der diplomatischen Unterstützung seitens der rumänischen Botschaft aus Berlin, zu der wir in dieser Angelegenheit Kontakt aufgenommen hatten.