Am 21. September haben wir in dem Artikel „Heimattreffen, Brauchtum und Kulturerbe. Nur für uns Deutsche oder für alle? Drei Fragen – Ihre Meinung ist gefragt!“, begleitet von einer Online-Umfrage, drei Fragen gestellt, sinngemäß wie folgt zusammengefasst (genauer Wortlaut siehe Kasten): 1. Sollen die Brauchtumsveranstaltungen der Deutschen in Rumänien inklusiver sein, was die heutigen Bewohner ihrer (ehemaligen) Dörfer und Städte betrifft? 2. Darf man als Außenstehender fremdes Brauchtum kritisieren? 3. Darf man sich fremdes Brauchtum aneignen?
Die Umfrage, beschränkt auf zwei Wochen, wurde von 98 Personen beantwortet. Davon bekannten sich 87 Teilnehmer zur Deutschen Minderheit, 11 als Außenstehende. Die Mehrheit mit 73,5 Prozent antwortete aus Deutschland, 23,5 Prozent aus Rumänien und drei Teilnehmer antworteten je aus Thailand, Österreich und Ungarn. Achtung: Diese Information wurde vom Gerät, mit dem geantwortet wurde, automatisch übermittelt; sie stimmt nicht zwingend mit dem Hauptaufenthaltsort überein.
Von den Teilnehmern, die auch ins Kommentarfeld schrieben, war das Feedback mehrheitlich positiv. Die gestellten Fragen wurden, so der Gesamteindruck, als zeitgemäß und relevant empfunden, wenn auch einige meinten, man könne das Thema auf diese Weise nicht erschöpfend behandeln. Was selbstverständlich stimmt. Absicht der Umfrage war, eine generelle Tendenz zu erfassen. Aber auch, zu eruieren, ob das Thema starke Emotionen oder gar Aggressionen auslöst – was definitiv nicht der Fall war. Alle Kommentare wirkten besonnen, jedwede Form von Hassrede fehlte.
Feiern in der Heimat – bevorzugt mit allen!
Von 98 Teilnehmern der Umfrage findet die Mehrheit mit 67,3 Prozent, deutsche Brauchtumsveranstaltungen sollten tatsächlich inklusiver sein. 66,3 Prozent meinen, dass man fremdes Brauchtum nicht kritisieren sollte und 84,7 Prozent sind einverstanden mit der Übernahme von Kulturelementen durch Außenstehende, wobei zum letzten Punkt aus mehreren Kommentaren hervorgeht, dass dies zur (offenbar gewünschten) Bewahrung des Brauchtums oder des deutschen Kulturerbes in Rumänien nötig sei. Es scheint die Tendenz vorzuherrschen, das gefährdete Brauchtum und Kulturerbe lieber mithilfe der Rumänen zu bewahren, als es der Vergangenheit und damit dem Verfall bzw. Ende preiszugeben.
Die häufigste Antwortkombination der Teilnehmer, die sich zur rumäniendeutschen Minderheit hüben wie drüben zählen, war für Frage 1/Frage 2/Frage 3: ja/nein/ja. So antworteten 42,5 Prozent – 37 Personen, 28 aus Deutschland, 8 aus Rumänien.
Die zweithäufigste Antwortkombination desselben Personenkreises war mit 23 Prozent: ja/ja/ja. Sprich: inklusivere Brauchtumsveranstaltungen, Recht auf Außenkritik, Übernahme von Brauchtumselementen. So antworteten 12 aus Deutschland, 7 aus Rumänien, einer von anderswo.
Konservative in der Minderzahl
Die Kombination nein/nein/ja wählten nur 14,9 Prozent der Rumäniendeutschen hüben wie drüben (12 Personen aus Deutschland, eine aus Rumänien). Diese wollen bei Brauchtumsveranstaltungen unter sich sein, Brauchtum nicht von außen zur Kritik stellen, finden aber, dass Brauchtumselemente unter bestimmten Umständen geteilt werden können.
Die Antwortkombinationen nein/nein/nein – sprich, die konservativste aller Varianten mit Brauchtumspflege unter sich ohne Außenkritik und ohne Weitergabe von Brauchtumselementen – wählten nur 8 Prozent der deutschen Minderheit aus Rumänien, hüben wie drüben (5 Antworten aus Deutschland und 2 aus Rumänien).
In deutlicher Minderzahl sind auch die Kombinationen: nein/ja/ja (2 Antworten aus Deutschland, 3 aus Rumänien); ja/nein/nein (2 aus Rumänien), nein/ja/nein (2 aus Deutschland), ja/ja/nein ( 1 aus Deutschland). Die Kontrollsumme ergibt 87 Teilnehmer, die sich der deutschen Minderheit zugehörig fühlen.
Aus den Antworten der elf Außenstehenden lässt sich keine Tendenz erkennen.
Mit Tracht auch kreativ umgehen dürfen: als Lebensgefühl
Zum Thema kulturelle Aneignung (Aspekt der Frage 3) zogen zwei Teilnehmer einen interessanten Vergleich mit dem Münchner Oktoberfest:
„Für mich persönlich ist es befremdlich“, schreibt jemand aus Deutschland, „in Siebenbürgen Trachentumzügen beizuwohnen, ganz unabhängig davon, welcher Ethnie sich die Tänzer zugehörig fühlen. Es mutet irgendwie folkloristisch und aus der Zeit gefallen an. Wenige Siebenbürger Sachsen würden ihre Tracht im Alltag tragen, vor allem die ausgewanderten nicht. Wenn es ihnen jedoch Freude bereitet, diese zu besonderen Gelegenheiten aus dem Schrank zu holen, dann sei ihnen das gegönnt. Und wenn rumänische Jugendliche kooptiert werden, es ihnen gleich zu tun, ist daran auch nichts auszusetzen. Eine etwaige Identifizierung mit siebenbürgisch-sächsischem Kulturerbe dürfte jedoch heutzutage in Rumänien nicht über Aufmärsche erfolgen, sondern über durchdachte Projekte, durch die man sich verschiedenen Aspekten ebendieses Kulturerbes gemeinsam nähert. Auch beim Oktoberfest in München trägt die Mehrheit der Besucher, die nicht aus Bayern bzw. aus dem Ausland stammt, Tracht. Da steht der punktuelle Spaß im Mittelpunkt, das Dirndl oder die Lederhose haben zumindest für Nicht-Bayern eher die Funktion eines Kostüms. (Und sie bedienen Klischees, die manch einen ärgern, denn Deutschland ist nun mal nicht durchgängig Oktoberfest, Bier und Tracht.) Gleichwohl tragen viele junge und alte Bayern ihre Tracht nicht nur auf Volksfesten, sondern auch zu anderen festlichen Gelegenheiten, besonders in ländlichen Gegenden. Dabei stellt sich natürlich die Frage, ob und inwieweit damit explizit Kulturerbe manifestiert werden soll.“
Jemand aus Rumänien schreibt: „Ein erfreuliches Beispiel ist für mich Bayern zur Wiesnzeit: man trägt in München und Umgebung Tracht, auch als Nicht-Bayer oder Nicht-Bayerin, man meint es nicht ironisch, man meint es aber auch nicht „bier-ernst“, sondern man sagt damit locker: he, ich find das bayerische Lebensgefühl prima!“
Eine weitere Meinung: „Ich finde es gut, dass Sie eine Diskussion zu diesem recht komplexen Thema angestossen haben. Persönlich fand ich es gewöhnungsbedürftig, dass nach der Wende in den sächsischen Tanzgruppen offensichtlich auch viele rumänische Jugendliche mitmachten. In den schwäbischen wohl auch. Genauso gewöhnungsbedürftig finde ich es, wenn siebenbürgisch-sächsische Trachtengruppen beim Oktoberfest in München aufmarschieren. Aber letztendlich finde ich es gut, dass sowohl in Rumänien als auch in Deutschland oder anderswo dieses Brauchtum überhaupt noch gepflegt wird. Auch fand ich es schön, dass meine ältere Tochter bei ihrer Konfirmation in Deutschland bewusst ein siebenbürgisches Trachtenband als Accessoire trug. Wenn auch in anderer Form als üblich. Man kann mit einzelnen Teilen der Tracht auch kreativ umgehen.“
Weitere Kommentare
„Ich finde es ein sehr spannendes und interessantes Thema. Meine Meinung ist, hätten sich unsere Vorfahren nicht an die jeweiligen Situationen mit dem Brauchtum angepasst, hätte unsere Kultur nicht über 850 Jahre überleben können. Selbstverständlich gibt es auch ein paar Regeln, die man einhalten muss. Aber das eine schließt das andere nicht aus. Eine Kultur oder ein Brauchtum entwickelt sich kontinuierlich.“
„Ich finde es sehr interessant und schön, eine derartige Umfrage zu starten und auszuwerten. Die Medien in Deutschland bzw. die Vertreter unserer Banater Vereine in Deutschland sind diesbezüglich sehr zurückhaltend. Der Grund ist für mich unverständlich. Meine Meinung zu ‚Liebling‘: Öffentlicher Spott über eine Volksgruppe darf nicht betrieben werden! Es gehört nicht zur Meinungsfreiheit, sondern ist als fehlender Anstand zu bezeichnen. Noch schlimmer, wenn solche abgründigen Äußerungen vom deutschen Steuerzahler finanziert werden.“
Offenbar sind wir mit dieser Umfrage tatsächlich am Puls der Zeit, wie die Kommentare „Gelungene Fragestellungen im Geiste der Zeit. Toll!“ und „Vielen Dank für die Umfrage und der Möglichkeit, sich mal ernsthaft Gedanken dazu zu machen. Auf eine friedliche und konstruktive Diskussion“ beispielhaft illustrieren.
Das Wichtigste aber ist, dass es selbstverständlich keine „richtigen“ oder „falschen“ Antworten gibt. Ein Teilnehmer bringt auf den Punkt, was ich selbst als erste Testperson des Fragebogens empfunden habe: „Unter bestimmten Umständen würde ich manchmal auch die von mir nicht angekreuzte Variante als richtig finden.“
Herzlichen Dank an alle für’s Mitmachen und Mitdiskutieren!
Folgende Frage wurden in der Umfrage gestellt; die PRO- und KONTRA-Musterantworten waren mit „eher ja“ oder „eher nein“ durch Anzukreuzen zu beantworten:
Frage 1: Sollen deutsche Brauchtumsveranstaltungen inklusiver sein?
PRO: Inzwischen leben kaum noch Deutsche in den ehemals deutschen Dörfern. Wenn wir Deutschen – ausgewanderte und hiergebliebene – uns gemeinsam in der alten Heimat treffen, müssen wir auch anerkennen, dass sich diese Heimat verändert hat. Es würde der Gesellschaft guttun und vielleicht auch die Jugend stärker ansprechen, wenn wir gezielt gemeinsame kulturelle Aktivitäten durchführen und unser altes Brauchtum auch mal kreativ neu interpretieren würden.
KONTRA: Heimattreffen sind Gelegenheiten, uns untereinander wiederzusehen, uns an früher zu erinnern und unser Brauchtum zu pflegen, das ansonsten in unserem Alltag keinen Platz mehr findet. Wir sind Deutsche und wollen das wenigstens zu diesen Anlässen ausleben und zeigen dürfen. Das Gemeinschaftsgefühl ist uns wichtiger als die „moderne“ Idee der Inklusion.
Frage 2: Darf man fremdes Brauchtum kritisieren?
PRO: Kritik an Brauchtum oder Trachten gehört zur Meinungsfreiheit. Man muss sagen und auch schreiben dürfen, wenn einem etwas nicht gefällt – noch dazu, wenn Tänze oder Trachten in der Öffentlichkeit gezeigt werden.
KONTRA: Wie authentisch die Trachten sein sollen, kann allenfalls eine interne Diskussion zwischen den Generationen der dazugehörigen Volksgruppe sein. Kritische Kommentare Außenstehender sind hier einfach fehl am Platz. Trachten sind kein Modetrend, sondern Symbol einer Gemeinschaft.
Frage 3: Darf man fremdes Brauchtum übernehmen?
PRO: Für mich gehört es zum guten Geschmack und ist Zeichen des Respekts, wenn in ein sächsisches Dorf zugezogene Nichtsachsen ihre Häuserfassaden, Pensionen oder Unternehmen am ursprünglichen Stil ausrichten.
KONTRA: Sich Symbole einer Volksgruppe für Häuserfassaden, Tourismus oder ein Geschäft anzueignen, finde ich zumindest seltsam. Wenn sich andere in meinem ehemals deutschen Heimatdorf niederlassen, dann verändert sich eben auch das Dorfbild.