Humbug und Halbwissen ergeben ein unverdauliches Menü 

Eine Replik auf den Artikel „Absage an Despotismus und Nein zu Malediktion“, erschienen in der ADZ vom 7. Juni 2023

Wenn interpretatorischer Humbug auf inhaltliches Halbwissen trifft und ein offensichtlich schlecht informierter Berichterstatter dies auch noch tendenziös referiert, statt offensichtliche Fehler zu korrigieren, dann ergibt das ein unverdauliches Menü. Im vorliegenden Artikel ist das leider der Fall. Ganz abgesehen davon, dass hier Darstellung und Kommentar nicht klar getrennt sind, ist dieser Beitrag wirklich ein Ärgernis aufgrund gleich reihenweise fragwürdiger Interpretationen bis hin zu faktischen Falschdarstellungen kirchlicher Verhältnisse und Akteure.

Natürlich ist der Lebensweg des Referenten Kenan Wang aus China über die USA nach Rumänien und die Bekehrung zur Orthodoxie eine beeindruckende Geschichte und eine echte „Story“. Nichtsdestotrotz muss seinen Ausführungen und steilen Thesen an etlichen Stellen doch deutlich widersprochen werden. 

Das beginnt schon bei den Rücktrittsgründen von Papst Benedikt XVI. im Jahr 2013. Dies hatte mit einer Absicht, „den Kontakt zur Ostkirche wieder aufleben zu lassen“, nicht das Geringste zu tun. Vieles ist hierzu spekuliert und geschrieben worden, aber selten so ein Nonsens. Papst Benedikt XVI. (...) ist aufgrund seiner körperlichen Gebrechlichkeit zurückgetreten, die es ihm nicht mehr erlaubte, das Amt angesichts der aktuellen He-rausforderungen adäquat auszuüben, nachzulesen in jeder seriösen Biographie zu diesem großartigen Papst (z. B. Peter Seewald, Benedikt XVI. – Ein Leben, München 2020). 

Papst Benedikt XVI. hat im Verhältnis zur Orthodoxie viel bewegt. Er hat auch den Titel „Patriarch des Abendlandes“ abgelegt, um der Orthodoxie entgegenzukommen. Für die Orthodoxie war Benedikt XVI. ein willkommener Gesprächspartner. Dies auch deshalb, weil beim Pontifex Johannes Paul II. (1978-2005) – dem bedeutendsten Papst aller Zeiten – wegen dessen polnischer Herkunft im Blick auf historische Verwerfungen zwischen Polen und Russland sowie die Situation in Osteuropa Hürden im ökumenischen Dialog bestanden. Johannes Paul II. und Benedikt XVI. unterhielten übrigens exzellente Kontakte zu den Ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel. 

Wenn Wang ferner das „Monarchische“ am Papstamt als nicht mehr zur Moderne passend kritisiert und hier von einem „despotischen Machtbild, lange Zeit vom Vatikan genährt und gepflegt“ die Rede ist, so ist dies konfessionalistische Polemik, gleichzeitig theologisch übergriffig. Und es widerspricht schlicht der gültigen katholischen Ekklesiologie. Sollten sich Wang und/oder der Berichterstatter damit auf die Seite des deutschen katholischen „Synodalen Wegs“ stellen wollen, so werden sie dort international ziemlich alleine bleiben. Der Vatikan und Papst Franziskus selbst, etliche hochrangige Kardinäle und ganze Bischofskonferenzen weltweit haben diesen romkritischen Impetus des deutschen „Synodalen (Irr)Wegs“ eindeutig verurteilt und abgelehnt. (...) 

Platte und sachlich falsche Entgegensetzung

Die platte Entgegensetzung des angeblich so jovialen und modernen Franziskus-Papstes gegenüber den „despotischen“ Vorgängern ist zudem an Primitivität nicht zu unterbieten. Gleichzeitig zeugt es von wenig Sachkenntnis darüber, wie höchst (und für die jüngere Papstgeschichte beispiellos) autoritär gerade dieser jetzige Papst kirchenintern hantiert. Erinnert sei an die Absetzung von Kardinal Gerhard Müller, einem der hochkarätigsten katholischen Theologen der Gegenwart, vom Amt des Präfekten der Glaubenskongregation 2017 ohne jede Begründung – diesem in einem würde- wie stillosen fünfminütigen Telefonat am Tag vor Ablauf seines Mandats mitgeteilt. Oder auch an Franziskus‘ Umgang mit dem Privatsekretär von Papst Benedikt XVI., Erzbischof Georg Gänswein. 

Franziskus umgibt sich mit einem „Küchenkabinett“ von Jasagern als Beratern. Als sich 2016 vier weltweit bekannte Kardinäle (Walter Brandmüller, Raymond Burke, Carlo Caffarra und Joachim Meisner) mit der Schrift „Dubia“ (dt. „Zweifel“) betreffend seiner Enzyklika „Amoris laetitia“ (dt. „Freude der Liebe“) an ihn wandten, hielt es dieser angeblich so „undespotische“, in Wirklichkeit vor allem beratungsresistente Papst es nicht einmal für nötig, überhaupt zu antworten.

Gerade Herrn Wang müsste außerdem die – vom jetzigen Papst „despotisch“ verordnete – skandalös nachgiebige und anbiedernde Haltung des Vatikans gegenüber China (...) zu heftiger Kritik Anlass geben. Aber er scheint lieber Kritik an den beiden wirklich großen Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. zu üben, die wiederum in ihrer Haltung zu Diktaturen weltweit von Osteuropa bis Kuba immer glasklar Position bezogen haben. 

Papst Franziskus entscheidet viel autoritärer und „despotischer“ als Johannes Paul II. und Benedikt XVI. dies je taten, ohne freilich deren Charisma und theologisches Format zu besitzen. Dies alles ist nachlesbar und dokumentiert. Wer das nicht sieht, zeigt, dass er viel Meinung, aber wenig Ahnung hat.

Der Papst als Vermittler für Orthodoxe Kirchen?

Den Papst außerdem als neutralen Vermittler bei „Binnenstreitigkeiten“ zwischen orthodoxen Kirchen und Regierungen ins Spiel zu bringen, zeugt von blühender Phantasie. Die Orthodoxen Kirchen akzeptieren ja nicht einmal ihren eigenen Ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel als Vermittler bei Streit untereinander. Sie sind derzeit aufgrund der kirchlichen Lage in der Ukraine und auch der Haltung der Russischen Orthodoxen Kirche zum Angriffskrieg Putins zerstritten und kommemorieren aktuell gegenseitig nicht einmal alle Patriarchen. 

Genau solche – hier en passant mal schnell vorgeschlagenen – päpstlichen politischen oder kirchenrechtlichen Ansprüche auf orthodoxe Kirchen sind ein Grundproblem der Ökumene zwischen Ost- und Westkirche. Deren historisch begründete Verwerfungen sind schwieriger zu lösen als Lehrfragen wie etwa das Filioque, die beide Seiten gerne wie eine Monstranz vor sich hertragen. Darüber würden sich Orthodoxe und Katholiken über Nacht einigen können. Die Papstansprüche und die (Kirchen)Geschichte sind das viel größere Problem. Der Gedanke, sich beim Papst Hilfe zu holen, ist für Orthodoxe jedenfalls eine Zumutung.  (...) 

Kirchensteuer und Staatsleistungen

Leider wird der Artikel immer abenteuerlicher. So unterstützt die Rumänische Regierung nicht nur die Orthodoxe Kirche „ohne Zurückhaltung voll“, sondern alle anerkannten Kultusgemeinschaften, von den Kirchen über die Juden bis zu den Muslimen. Und dies prozentual nach den Mitgliederzahlen. Die Summen sind hoch und werden unter anderem für Baumaßnahmen, Projekte, Konferenzen und Veröffentlichungen verwendet. Das lässt sich alles auf der Internetseite des Kultusstaatssekretariats der Rumänischen Regierung nachlesen. Wenn Wang offensichtlich nur auf die Rumänische Orthodoxe Kirche zu sprechen kommt, so wäre es journalistisch geboten, zumindest auf die staatliche Förderung für alle Religionsgemeinschaften hinzuweisen, um nicht die beliebte Mär von der privilegierten Unterstützung der Orthodoxen Kirche zu nähren. 

Völlig falsch – und auch dies müsste ein Journalist wissen, wenn er über solche Themen schreibt – ist schließlich die Darstellung der Finanzierung der Kirchen in Deutschland, die sich eben gerade nicht „ausschließlich durch Steuerbeiträge von Gemeindegliedern finanzieren“. Auch dies ist Humbug in Potenz, der in keinen Bericht unwidersprochen Eingang finden dürfte. 

Gerade im Moment wollen SPD, AfD, Grüne, FDP und Die Linke eine Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen in Deutschland durchsetzen. 2022 haben die Bundesländer etwa 602 Millionen Euro an die Evangelischen Kirchen und die Katholische Kirche überwiesen. Dies basiert auf Gesetzen, Verträgen oder besonderen Rechtstiteln; es handelt sich um Entschädigungen für Enteignungen im 19. Jahrhundert, schon seit 1919 im Verfassungsrang. Alles nachzulesen in einschlägigen Lexika (...). Diese Staatsleistungen sind wiederum völlig unabhängig von der Kirchensteuer, die der Staat gegen Gebühr mit der Steuer für die Kirchen einzieht. Hinzu kommen eine anteilige staatliche Finanzierung der Pfarrergehälter als „Entlohnung“ für deren Religionsunterricht an staatlichen Schulen sowie zahlreiche Zuschüsse und Subventionen. Die Sanierung unserer Gemeindekirche in Erkersreuth hat die staatliche Oberfrankenstiftung 2014 mit fast 300.000 Euro gefördert! 

Herr Wang kann dies alles (noch) nicht wissen. Höchst ärgerlich und bedenklich ist freilich, dass diese vielen Falschaussagen und Fehlinformationen seitens des Journalisten unkritisch weiterverbreitet werden. Professioneller Journalismus sieht anders aus. Doch was dem Autor wichtig ist, wird daran deutlich, dass er sich im letzten Satz kommentierend noch einmal jene niveaulose Kaffeesatzleserei über die nächste Papstwahl zu eigen macht, wonach „das Despotische wieder im Vatikan heimisch werden könnte“. Plumper geht’s nicht. 


Dr. Jürgen Henkel ist Pfarrer der Bayerischen Landeskirche und Publizist, Prof. h.c. an der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg und Herausgeber der Zeitschrift „Auftrag und Wahrheit. Ökumenische Quartalsschrift für Predigt, Liturgie und Theologie“, die im Schiller Verlag Bonn-Hermannstadt erscheint.