„Ich wollte den Namen von Elon Musk ändern, doch der Polirom-Verlag sieht kein Problem darin“

Schriftsteller Radu Vancu stellt seinen neuen Roman „Paradis“ vor

„Sollte ich der erste politische Häftling von Elon Musk werden, ist es das eben...“, meint Radu Vancu lakonisch. Ein Exemplar seines Romans „Paradis“ signierte er auch für Astra-Film-Festival-Leiter Dumitru Budrala (mit Brille). Foto: Klaus Philippi

Schriftsteller Marin Mălaicu-Hondrari ist auf der Suche nach Argumenten, Leser davon zu überzeugen, „ihn zu kaufen, ohne euch vorab inhaltliche Schlüssel zu geben.“ Gemeint war Dienstagabend, am 20. Mai, im Untergeschoss der Humanitas-Buchhandlung in Hermannstadt/Sibiu der neue Roman „Paradis“ seines Kollegen Radu Vancu, und vollständig über das Relevante auf den über 700 druckfrischen Seiten des broschierten Bands im Polirom-Verlag ausschweigen konnten sich weder der eine noch der andere Literatur-Könner am Tisch der Präsentation vor nicht überraschend brechend vollem Lokal. „Diese Buchhandlung hier kommt auch im Roman vor“, verriet Radu Vancu, und dass er auf „mindestens drei Erzählstränge“ angelegt werden würde, stand für ihn „von Anfang an“ fest. Kein Wunder bei 2039 als der Jahreszahl des Ringens von Ducu Tarcea um Orientierung, dem die von Elon Musk gesteuerte Welt den Zugang zum Paradies verbauen möchte. Seinem fiktiven Ich – „einem mittelmäßigen Poeten, der jedoch der Literatur leidenschaftlich verfallen ist“ – legt Radu Vancu doppelte Erinnerungs-Last auf. Der Verlust von Partnerin Camille während der Covid-Pandemie und der unfreiwillige Eintritt in das Paradies nach Vorgaben von Falschmünzer Elon Musk: beides liegt 20 Jahre zurück. Und hat Radu Vancu einen Roman gestalten lassen, worin das Fegefeuer, die Überwelt und das Inferno der Betrachtung und Beurteilung durch einen etwas zart Besaiteten unterzogen werden, dessen Stärke darin liegt, sich auf seine Hoffnung zu berufen. „All das Leiden von Ducu Tarcea geht auf das Gedächtnis und darauf zurück, dass er harrt“, wie Marin Mălaicu-Hondrari den Roman-Aufhänger erklärt.

Ort der Auseinandersetzung mit einer wegen Erinnerungs-Verlust an sich selbst zu scheitern drohenden Welt ist das „Maurer“-Haus im nahen Dorf Michelsberg/Cisnădioara bei Hermannstadt, nach dem Schwager des 2020 verstorbenen Kardiologen Dr. Gheorghe Nandriș benannt. „So heißt es nun nicht mehr, da es am Tag nach der ersten Buch-Präsentation verkauft wurde.“ Ein Entschlüsseln noch weiterer Zuordnungen hingegen wollte Radu Vancu seinen Lesern zur Aufrechterhaltung der Neugierde nicht gönnen. Dafür äußerte er sich breit, offensiv und literarisch versiert zum globalen Höchststand vielschichtiger Weltkrisen, woraus der Roman seinen Stoff bezieht. Wo Marin Mălaicu-Hondrari ein Lob Samuel Becketts betreffend Marcel Proust zitierte, demnach „der Mensch mit gutem Gedächtnis sich an gar nichts erinnert, weil er gar nichts vergisst“, legte Radu Vancu mit Ezra Pound nach, der aufgezeigt hatte, dass es „diffizil“ wäre, „ein Paradies zu schreiben, wenn alle Indizien an der Oberfläche darauf deuten, dass man eine Apokalypse schreiben soll.“

Für den meistgefragten Stammgast der Humanitas-Buchhandlung von Hermannstadt ist „das Gedächtnis das Paradies“, doch läge es auch in der Sache des Ersteren, „einen zu quälen“. Klar, dass Radu Vancu dieses Statement nicht eben zufällig brachte, sondern es als Öffner des Themas von Schuldfrage im Europa der Nachkriegszeit des vergangenen Jahrhunderts nutzte. „Deutschland ist durch das Inferno gegangen“ und „hat den eigenen Wiederaufbau geschafft“, während „bei uns das Strafgesetz für Verneinung rechter Gewalt nicht zur Anwendung gerät“. Obwohl Rumänien Hannah Arendt zufolge „das zweitgrößte faschistische Regime nach Deutschland“ gestellt habe. „Im Kommunismus war unsere ganze faschistische Schuld verdunkelt worden“, weiß Radu Vancu haargenau richtig zu beanstanden, und „während der 90er-Jahre haben wir unsere Zwischenkriegszeit unkritisch wiederaufgearbeitet“. Dichter und Volksmann Octavian Goga zum Beispiel müsste ohne Wenn und Aber als eine „sehr schuldige Persönlichkeit unserer Geschichte“ gelten.

Angeschnitten wurde in der Humanitas-Buchhandlung zur Stunde der Roman-Vorstellung von Radu Vancu natürlich auch das Fragen nach ihrer Stimmungslage bei unglücklichem Finale der zwei Tage zuvor pro-westlich bestandenen Stichwahl um die Präsidentschaft Rumäniens: „Ich war auch auf den anderen Fall vorbereitet“, sagte Radu Vancu, dessen Ratschlag auf das „Sauber-Halten der Wörter“ Marin Mălaicu-Hondrari selbstverständlich teilte. Ein wenig Spott aber ließ das Schriftsteller-Tandem sich nicht nehmen, indem es je eine volle Halbliter-Colaflasche mit klassisch rotem Etikett vor sich auf den Tisch stellte, wovon eines mit „George“ und das andere mit „Călin“ bedruckt worden war. „Im Paradies haben wir alle Platz“, hatte Mălaicu-Hondrari anfangs satirisch angemerkt. Radu Vancu schließlich führte auch die Vergleichsreferenz des Datums ins Feld, da sich tags darauf, am 21. Mai, die Ermordung von Professor Ioan Petru Culianu in Chicago – vormals Hauptstadt der US-Di-aspora früher rumänischer Emigranten faschistischer Kreise – zum 34. Mal jährte. „Er war von Mircea Eliade belogen worden. Eine schuldige Vergangenheit kehrt wieder und tötet.“ Der Mörder von Culianu ist bis heute nicht identifiziert worden. Im „Paradis“ von Radu Vancu dagegen herrscht nicht der geringste Zweifel darüber, wovor man sich zukünftig tunlichst schützen muss. „Ich bin davon überzeugt, dass Musk sich täuscht.“ Vom Druck, dem Ducu Tarcea ausgesetzt ist, sollten alle wissen, die im 21. Jahrhundert klaren Kopf behalten möchten.