Thomas Perle beendete offiziell seine Zeit als Stadtschreiber des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Temeswar mit der szenischen Lesung „SIDY THAL a schtikl“ im Rahmen des 9. Eurothalia Theaterfestivals am Donnerstagabend (21. September). Und so hat er die europäische Kulturhauptstadt Temeswar 2023 erlebt:
Ich habe die Stadt liebgewonnen. Sie als eine sehr offene wahrgenommen. Als Anziehungspunkt für viele durch die zahlreichen Kulturveranstaltungen im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres. Was mich besonders beeindruckt hat ist wie geschichtsträchtig Temeswar ist, dessen Schichten ich entdecken und freilegen konnte.
Was nehmen Sie aus dieser Zeit mit?
Ich nehme einiges mit, was ich hier lernen durfte, auch an menschlichem Miteinander. Viele neue Projekte, neue Texte, die ich geschrieben habe, Inspiration für weitere Texte, die ich noch schreiben möchte. Denn das Schreiben an dem neuen Stück „SIDY THAL“ hat viel Zeit in Anspruch genommen. Da blieb keine Zeit den Stadtschreiberblog weiter zu befüllen. Das möchte ich nachholen.
Ist das Theaterstück „Sidy Thal“ Teil ihrer Aufgabe als Stadtschreiber?
Es war Teil meiner Bewerbung und hat auch das Interesse der Jury geweckt. Somit war es auch klar Teil meiner Aufgabe als Stadtschreiber. Auch dadurch, dass a schtikl, ein Fragment daraus als szenische Lesung in der Synagoge die Abschlussveranstaltung des Stipendiums war. Es war eine intensive Zeit und sehr viel Material, das ich sichten musste. Mit dem Regisseur Clemens Bechtel gilt es nun dieses schwere Thema so zu behandeln und auf die Bühne zu bringen, dass es den Opfern gerecht wird.
Wie haben Sie Ihre Aufgabe als Stadtschreiber von Temeswar erfüllt?
Meine Aufgabe war es die Stadt mit meinem Blick wahrzunehmen und literarisch zu verarbeiten. Zu forschen, zu schauen, Eindrücke zu sammeln und neue Perspektiven auf Dinge zu richten. Das habe ich dahingehend auch mit den Texten, die ich gepostet habe, erfüllt. Eine weitere Aufgabe sah ich darin andere Künstler:innen in die Stadt zu locken, was mir gelungen ist. Im August war Katharina Martin-Virolainen mit ihrem internationalen Projekt „Donaugeschichte(n)aus junger Perspektive neu erzählt“ zu Gast und gemeinsam mit der britischen Dramatikerin Frankie Meredith leitete ich im AMG-Haus einen Workshop. Ebenso habe ich meine Kolleginnen und Kollegen von FORUM Text, dem Förderprogramm für szenisches Schreiben von uniT Graz, nach Temeswar eingeladen. Im Deutschen Staatstheater haben wir uns über unsere aktuellen Stücke und Texte ausgetauscht. Ganz in der Tradition der Aktionsgruppe Banat, wenn man so möchte. Ich habe sie auch gebeten mir ihre Temeswarer Eindrücke als literarische Gastbeiträge zu hinterlassen. Weitere Aufgabe war die Leitung der Schreibworkshops mit jungen Menschen am Lenau-Lyzeum. Ein weiteres Highlight meiner Zeit war der Schreibworkshop für identity.education im Minitremu, demqueeren(Un)Learning-Raum und safespace der Stadt, wo zahlreiche junge Menschen zum gegenseitigen Austausch und gemeinsamen Schreiben waren. Außerdem habe ich mehrere Anfragen von verschiedenen Gruppen und Personen erhalten, denen ich als Stadtschreiber von Temeswar die Stadt und ihre Geschichte, sowie ihre Kulturveranstaltungen näherbringen konnte. Das waren viele sehr schöne Begegnungen.
Ihre Tätigkeit und ein Text Ihres Stadtschreiberblogs gerieten bei Banater Deutschen in die Kritik: Es gab einen Kommentar in der Banater Zeitung, es gab kritische Mails und Kommentare. Warum haben Sie dazu keine Stellung bezogen?
Ich gehe davon aus, dass die Erwartungshaltungen an mich andere waren und dassich nicht von Anfang an klargemacht habe, was eigentlich die Aufgabe eines Stadtschreibers ist. Als Stadtschreiber ist man nämlich nicht Tourismusmanager, der PR-Texte für die Stadt verfasst, sondern ist in erster Linie Literat, der sich von der Stadt inspirieren lässt und die Eindrücke literarisch verarbeitet. Literatur braucht seine Zeit.
Ich habe mir nach diesen Angriffen professionellen Rat geholt, wie darauf zu reagieren ist. Nicht zu reagieren ist auch eine Reaktion. Stellung zu dieser ganzen Sache werde ich auf meine Art und Weise beziehen: literarisch verarbeitet auf dem Stadtschreiberblog.
Was haben Sie davon gehalten, dass Ihre Texte da zerrissen wurden?
Es war sehr erstaunlich und erschreckend zu sehen, wie meine Texte aus dem Kontext gerissen und falsch zitiert wurden. Auch von Journalisten, die dessen mächtig sein sollten, die sich scheinbar persönlich angegriffen fühlten von Literatur und das zum Anlass nahmen aggressiv und hetzerisch im Netz auf mich und meine Literatur loszugehen. Da waren Kommentare bis hin zu verschwörungstheoretischen Inhalten und schlicht diffamierende Lügen. Ein Glück, dass entschieden wurde diesen Post zu löschen. Denn ich war kurz davor Anzeige zu erstatten. Das ging irgendwann eindeutig zu weit. Mein Text liebling. ist in keinem Fall beleidigend verfasst, sondern ist die Analyse eines Außenstehenden. Ich empfehle allen sich selbst einen Eindruck durch Lektüre des Beitrags zu machen anstatt nur die aus dem Kontext gerissenen Fetzen zu lesen. Ebenso empfehle ich die Lektüre anderer Autoren aus dem Umkreis der Aktionsgruppe Banat, die sich mit Kerweihen beschäftigten.
Hass und Hetze im Netz ist ein großes Problem unserer Zeit, die Stimmen, die am lautesten schreien, bekommen leider die meiste Aufmerksamkeit. Zum Glück gab es aber auch Gegenstimmen, positive Rückmeldungen, diese meistens jedoch eher in persönlichem Austausch.
Ist Temeswar dem Titel Europäische Kulturhauptstadt 2023 bisher in Ihren Augen gerecht geworden?
Ja. Ich habe sie als wahnsinnig offene Stadt erlebt, in die die Touristinnen und Touristen strömten. Es gab und gibt viele Kulturereignisse, wo man beinahe den Überblick verlieren kann. Irgendwas ist immer los in der Stadt, was wunderbar ist. Und natürlich ist sie dem Internationalen, Europäischen Flaireiner Kulturhauptstadt gerecht geworden. Und Temeswar ist einfach auch eine schöne Stadt.