Wie kamen eigentlich die Israeliten nach Ägypten? Die berühmte Josefsgeschichte, die sich im ersten Buch der Bibel befindet, liefert uns die Antwort darauf.
Da war Jakob, einer der Erzväter Israels, der hatte zwölf Söhne. Unter diesen befand sich Josef. Das war der Lieblingssohn des Vaters. Seine Brüder sahen das nicht so gerne. Eines nachts hatte Josef zwei eigenartige Träume. Er träumte, dass seine Brüder sich vor ihm verneigten, und selbst Sonne und Mond mussten ihm die Ehre erweisen. Als er das seinen Brüdern erzählte, wurde ihre Eifersucht und ihr Neid so groß, dass sie ihn als Sklaven an eine Karawane nach Ägypten verkauften, um ihn loszuwerden. Und dem Vater erzählten sie, dass wilde Tiere ihn umgebracht hätten.
So kam Josef nach Ägypten. Doch hier landete er im Gefängnis. Alles schien verloren zu sein. Aber er schaffte es , wieder auf die Füße zu kommen. Er hatte nämlich die Gabe, Träume zu deuten. Als der Pharao eines Nachts träumte, dass sieben fette Kühe aus dem Nil stiegen, gefolgt von sieben mageren, die die fetten Kühe auffraßen, und dann von einem Halm, aus dem sieben dicke Ähren wuchsen und daneben sieben magere Ähren, die die dicken Ähren verschlangen, konnte allein Josef diesen Traum deuten. Beide Träume bedeuteten, dass zunächst sieben gute Jahre kommen werden mit reicher Ernte, gefolgt von sieben Jahren des Hungers. Daher sollte der Pharao Vorräte anlegen für sein Volk. So sollte es auch kommen. Und Josef wurde die rechte Hand des Pharaos und der Herr über die Kornkammern Ägyptens.
Währenddessen litten die Brüder Josefs in ihrer Heimat immer mehr unter der Hungersnot. Sie brachen deshalb auf nach Ägypten, um Nahrung zu besorgen. Als sie nun dort waren, trafen sie auf ihrem Bruder, aber sie erkannten ihn nicht. Auch gab Josef sich nicht zu erkennen. Erst als seine Brüder das zweite Mal nach Ägypten kamen, offenbarte er sich ihnen unter Tränen.
Als die Brüder zum dritten Mal nach Ägypten kamen, brachten sie ihren Vater mit, und sie ließen sich alle dort nieder. Ein glückliches Ende, könnte man meinen. Doch dann starb der Vater und die Brüder waren sich nicht mehr sicher, ob Josef es ernst meinte mit der Vergebung. Sie hatten Angst, dass er sich jetzt an ihnen rächen würde. Doch Josef tat das nicht. Vielleicht, weil er im Rückblick auf sein bisheriges Leben erkannt hat, dass trotz des vielen Leids, das er erfahren hat, sogar durch die Hand der eigenen Brüder, die gütige Hand Gottes ihn nicht verlassen hat. Gott ist der Handelnde in seinem Leben gewesen. Ihm verdankte er, was er geworden ist und was er nun hatte. Josef war sich sicher, dass Gott immer wieder seine mächtige Hand über ihn gehalten hat und schließlich alles wieder zum Guten gewendet hat. Dies hat ihn demütig und dankbar gemacht.
Manchen von uns geht es vielleicht auch ähnlich. Oft erleben auch wir zerplatzte Hoffnungen, Enttäuschungen, zerbrochene Beziehungen, Hass, Neid, Ablehnung. Das Leben verläuft halt oft anders als ersehnt. Da geschieht es leicht, dass wir andere anklagen, sie für unsere Not verantwortlich machen, sie für das Getane hassen und ihnen alles mit derselben Münze sozusagen heimzahlen. Doch ist das der Weg? Böses mit Bösem vergelten? Sagt nicht der Apostel Paulus: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ (Röm. 12,21)
Besinnen wir uns doch darauf und nehmen uns ein Beispiel an der Geschichte von Josef mit seinen Brüdern. Schuldeingeständnis und Vergebung bewirken Rettung und Frieden. Versöhnung wirkt Gemeinschaft. Keine einfache Sache, aber der einzige Weg, der zur Befreiung von Kummer und seelischen Lasten führen kann. Vergeben geschieht aber nicht automatisch, sondern ist letztendlich ein Willensakt. Wenn wir es tatsächlich wollen, dann können wir es auch. Schließlich kann jeder sagen: Ich überlasse es Gott, was er mit dem anderen tut, so wie es Josef mit seinen Brüdern getan hat. Und wer tatsächlich Gott vertraut, der vertraut auch auf seine Gerechtigkeit. Denn Er wird einmal einen jeden von uns früher oder später mit demselben Maß messen, mit dem wir in unserem Leben andere gemessen haben. Wer zur Vergebung bereit ist, der wird spüren, dass eine Last von ihm abfällt. Der wird freier, gelassener und dankbarer. Vergeben lohnt sich also. Tun wir es auch.