Der rumänische Violinvirtuose Alexandru Tomescu, dem im vergangenen Jahr auf seiner Stradivari-Tournee durch Rumänien mit einem Paganini-Soloprogramm außerordentlicher Erfolg beschieden war, wurde kürzlich in einem Interview gefragt, was ihn an der Musik Johann Sebastian Bachs fasziniere. Sie öffne, so Tomescu, eine Tür zum Göttlichen hin, sei schlicht und einfach ergreifend und dabei von besonderer Schönheit. Auch wenn die Bachschen Violinkonzerte an den Solisten nicht dieselben technischen Anforderungen stellten wie etwa die Konzerte Paganinis, so konfrontierten sie den Interpreten dennoch mit höchst interessanten musikalischen Problemen von großer Tiefe, insbesondere in ihren langsamen Sätzen.
Die beiden Bachschen Solokonzerte für Violine und Streichorchester standen denn auch im Zentrum des Konzertabends Mitte vergangener Woche im „Mihail Jora“-Saal des Rumänischen Rundfunks. Die zwei Violinkonzerte in a-Moll (BWV 1041) und E-Dur (BWV 1042) stellen, neben dem bekannten Doppelkonzert in d-Moll (BWV 1043), die einzigen Violinkonzerte dar, die als solche von Bach überliefert sind. Allerdings vermuten die Bachforscher, dass einigen Bachschen Cembalokonzerten originale Violinkonzerte zugrunde liegen, deren Urfassung jedoch verlorengegangen sei.
Zusammen mit dem Radiokammerorchester, bestehend aus vier ersten und vier zweiten Geigen, drei Bratschen, zwei Celli, einem Kontrabass und einem Cembalo, brachte der 35-jährige Alexandru Tomescu diese zwei Juwelen barocker Violinkunst unter der Leitung des 1972 in Berlin geborenen Dirigenten Ralf Sochaczewsky, selbst ein ensembleerprobter Barockgeiger und Bratscher, im Großen Radiosaal zu Gehör. Auf der ihm vom rumänischen Staat leihweise überlassenen, über 300 Jahre alten und überaus klangvollen Stradivarius Elder-Voicu bot Tomescu die schnellen Ecksätze der beiden Violinkonzerte mit kräftigen Strichen dar, was beispielsweise im a-Moll-Violinkonzert bei den Bariolage-Passagen des Allegro assai-Satzes besonders zum Tragen kam. Aber auch feinste Pianoeffekte wurden von Tomescu und den ihn begleitenden Musikern unter behutsamer Führung des Dirigenten gekonnt inszeniert und sensibel ausgelotet.
Höhepunkte der Darbietung waren dabei die beiden langsamen Sätze Andante und Adagio, in denen die Bachsche Innigkeit klangmächtig nach außen drängte. Wunderbar anzusehen und anzuhören, wie in den über einen ganzen Takt hin sich erstreckenden langen Noten die Bewegung der nachfolgenden Figuren, obschon noch in sich ruhend, sich gleichsam im Voraus entfaltete. Tomescu gelang es, diesen Dramatismus im Kleinen, diesen Aufbruch im Verharren, musikalisch Gestalt werden zu lassen und seine Mitspieler in seine Auffassung der Bachschen Musik mit hineinzunehmen. Dass an diesem Konzertabend kein echtes Cembalo, sondern lediglich ein Digitalpiano mit Cembalo-Sound zur Verfügung stand, machte sich, gerade in den beiden langsamen Sätzen der Bachschen Violinwerke, äußerst störend bemerkbar.
Umrahmt wurden die beiden Bachschen Violinkonzerte durch zwei selten aufgeführte Werke eines nahezu unbekannten Komponisten, der beruflich außerdem auch als Diplomat wirkte. Es handelt sich dabei um einen Zeitgenossen Bachs, und zwar um den Niederländer Unico Wilhelm van Wassenaer, der 1692 in Delden geboren wurde und 1766 in Den Haag starb. Seine sechs Concerti Armonici wurden in der Musikgeschichte zunächst den italienischen Violinisten Carlo Ricciotti und Giovanni Battista Pergolesi zugeschrieben. Erst 1979 konnte zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass die sechs Konzerte von Unico Wilhelm van Wassenaer stammen. Der war offenbar mit seinen eigenen Werken jedoch nicht sonderlich zufrieden, denn er sah in ihnen ein breites qualitatives Spektrum von „passabel“ über „mittelmäßig“ bis „erbärmlich“. Dies war wahrscheinlich auch der Grund, warum er sich nicht nur einer Publikation unter seinem Namen, sondern auch einer ihm zugedachten Widmung der unter anderem Namen veröffentlichten Werke widersetzte.
Die vom Radiokammerorchester zu Gehör gebrachten Concerti Armonici Nr. 1 und Nr. 5 am Beginn des Konzertes und nach der Pause waren jedoch alles andere als bloß „erträglich“, vielmehr erklangen sie in munterer Frische und solider Ausführung, wenngleich ihnen das Strahlende etwa des Vivaldischen „L’Estro Armonico“ abgeht, was sicher auch daran liegt, dass das Solistische hier im Vergleich zu anderen Beispielen aus der Musikgeschichte tendenziell zugunsten einer Ensembleleistung zurücktritt. Durch die besondere Aufstellung der Musiker – erste Geigen und ‚Cembalo’ links, zweite Geigen und Bratschen rechts, Celli und Kontrabass in der Mitte – konnte man vor allem die Echo-Effekte der Stimmgruppen und das thematische Wechselspiel zwischen ihnen mit Genuss mitverfolgen, wenn es auch mitunter im Zusammenspiel zwischen den ersten und zweiten Geigen an Präzision mangelte.
Den Abschluss des Konzertes bildete, gleichsam als Coda, ein sinfonisches Werk, das gleichwohl Bezüge zur Barockmusik im Allgemeinen und zu van Wassenaers Kompositionen im Besonderen aufweist. Igor Strawinskys Pulcinella-Suite, die den Beginn seiner sogenannten neoklassizistischen Periode markiert, basiert zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auf van Wassenaers Werken, wobei Strawinsky weitere Anleihen auch bei italienischen Barockkomponisten wie Domenico Gallo oder Carlo Ignazio Monza machte. Der volle sinfonische Klang – herausragend die Bläser, vor allem die Posaune –, der Humor und die Modernität Strawinskys bildeten dabei einen schönen Kontrapunkt zur kammermusikalischen Gediegenheit van Wassenaers und zum innigen Ernst der Solovioline Bachs, sodass sich daraus am Ende der harmonische Gesamteindruck eines rundum gelungenen Konzertabends formte.