Der in Rosenau/Râşnov geborene Schriftsteller Hans Bergel begeht am 26. Juli laufenden Jahres seinen neunzigsten Geburtstag in Gröbenzell (bei München). Die Themen seiner Prosarbeiten und Aufsätze sind vielfach der Burzenländer Heimatprovinz wie auch Siebenbürgen und ganz Rumänien verbunden. Eigenes Schicksal und das der Mitwelt in den Jahrzehnten vor und nach 1950 findet in eindringlichen Schilderungen Ausdruck. Hans Bergel hat durch sein Auftreten als beweglicher Publizist, als Berufsmusiker (Cellist) und Spitzensportler (Leichtathlet, Skiläufer) die Aufmerksamkeit der mit dem europäischen Südosten vertrauten Zeitgenossen auf sich gezogen. Hafterfahrungen sorgten für zusätzlichen Gesprächsstoff. Die Redaktion der ADZ und der Verfasser der folgenden Zeilen wünschen dem produktiven Autor zu seinem Geburtstag weitere in Gesundheit und in der an ihm gewohnten geistigen Lebendigkeit verbrachte Jahre.
Tagebuch-Schreiben hat seinen eigenen, kalendaristisch vorgeprägten, daher etwas schleppenden Rhythmus; er überträgt sich in gewissem Maß auch aufs Tagebuch-Lesen. Eile ist daher bei Lektüre eines „Diariums“ nicht angebracht, will man sowohl den einzelnen Eintragungen als auch dem Niederschlag dessen gerecht werden, was der Schreibende während eines kürzeren oder ausgedehnteren Zeitraums überlegt, gewünscht, befürchtet und durchgestanden hat.
Dessen eingedenk ließ ich mir Zeit, Hans Bergels „Notizen eines Ruhelosen“, diese „Tagesaufzeichnungen 1995 bis 2000“ (Berlin: Frank & Timme 2015, 940 S. Text plus 27 S. Personenregister), durchzugehen und habe gerade durch die ungeschäftige, die hastlose Aufnahme der Anmerkungen reichlich Gewinn davongetragen.
Eines hat sich mir dabei vielfach bestätigt: Wie sehr Hans Bergel es versteht, Beobachtetes sprachlich genau zu formen, wie sich seine Gabe bewährt, für komplizierte Sachverhalte, für weniger übliche gedankliche Verbindungen und zwingend sich einstellende Erinnerungen den jeweils zutreffenden Ausdruck zu finden und es dabei kaum je an lebendiger Darstellung fehlen zu lassen.
Das sprachliche Moment, die – nennen wir sie einmal so – Bergelsche Sprachqualität hervorzuheben, ist Anliegen dieser Zeilen über den südostdeutschen Essayisten, über unseren siebenbürgischen Erzähler, Romanautor und Dichter.
„Frühste Prägungen“ wirkten sich bei der Herausbildung seines Sprachempfindens aus, zu denen nicht nur die altersgemäße Lektüre zählte, sondern auch das im Familienkreis allabendlich betriebene gemeinsame Lesen. Einen wichtigen Anteil an Erziehung und Lebensgestaltung im Haus Bergel hatte die Musik – es wurde gesungen, und es erklang das Spiel der Instrumente. Solche Gemeinsamkeit unter künstlerischem Vorzeichen, schlicht und doch anspruchsvoll, war wohl „das Prägendste“ für ihn (S. 339).
Schon in jungen Jahren war Hans Bergel bemüht, die eigenen sprachlichen Ausdrucksmittel anhand des sich ihm in Überfülle Bietenden zu meistern. Vorbilder waren ihm hierfür Goethe und Kleist, deren Gestaltungsvermögen er sich auch in späteren Jahren stets verpflichtet fühlte. Besonders „in Stunden meditativen Alleinseins“ war er sich dessen gewiss, „zu keinen anderen Dichtern deutscher Sprache die innere Beziehung“ zu haben wie zu den zwei Großen. Beim frühen Umgang mit Goethes Erbe war es ihm, „als blendeten mich Sonnen“, und Kleists „Formwillen“ machte ihn zunächst „fassungslos“ (S. 704).
Die gestalterisch-stilistische Verpflichtung, die sich daraus ergab, dass er „ein Leben hindurch in beider Begleitung“ war (ebenda), erklärt Tagebuch-Äußerungen wie diese: „An der Notwendigkeit, uns dem Anspruch der Form zu beugen, führt kein Weg vorbei“ (S. 687), und lässt es als naheliegend erscheinen, sich und anderen „ein Höchstmaß an formalem Ausdruck“ abzuverlangen (S. 688). „Klarheit und Disziplin des Ausdrucks“ sind dem Autor unerlässlich (S. 719). Auch gibt er seinem Publikum zu bedenken: „Das Schwere am Schreiben ist nicht – wie der Dilettant meint – die zickige, sondern die ‘klassisch’ klare Ausdrucksweise“ (S. 851).
Die logische Konsequenz daraus kann nur lauten, die heutzutage allzu verbreitete „puerile Sympathie für das Kabarettistische in der Literatur, in der Kunst allgemein“ zu desavouieren (ebenda). Die „Tagesaufzeichnungen“ aus der zweiten Hälfte der 1990er Jahre hat Bergel in der Folgezeit offenbar nicht kontinuierlich fortgesetzt. Doch ruhte der Tageschronist nicht, wenn es ihn später dazu drängte, Reiseeindrücke zu verzeichnen, sei es im Nahen Osten, sei es in Rumänien und Italien. Erschienen sind in der Berliner Edition Noack & Block die Bände: „Von Palmen, Wüsten und Basaren. Reisenotizen aus Israel“ (2013) und „Europäische Impressionen. Reisebeobachtungen zwischen Klausenburg und Rom“ (2014). Beide Bücher gehen auf Unternehmungen des Jahres 2006 zurück.
Mein Augenmerk galt bei letzterschienener Veröffentlichung der uns gelieferten Auskunft, wobei ich auch Familiäres gerne zur Kenntnis nahm (Krankheit und Tod des Bruders Erich Bergel, des 1930 geborenen, im Mai 1998 verstorbenen bedeutenden Dirigenten und Musikwissenschaftlers, fallen in den geschilderten Lebensabschnitt, und das Ergehen der alten Mutter, einer tapferen Frau, wird in manchen Notaten nachvollziehbar). Mit Interesse las ich jene Tagebuchpartien, die von Hans Bergels eigener literarischen Produktion handeln. Gelassen registrierte ich, dass manche Zeitgenossen abgekanzelt werden, andere wiederum eine positive Würdigung erfahren. Und sah, voller Genugtuung, dass törichte und geschmacklose Tagesmoden bzw. Zeittrends recht kritisch kommentiert werden.