Sie sind kulturelle Botschaften Österreichs in Mittel-, Ost- und Südost-europa: 61 Österreich-Bibliotheken in 28 Ländern wollen die österreichische Kultur über die Grenzen hinaus fördern und den Dialog mit den Nachbarländern festigen. In den 1980er Jahren hatte die Kulturpolitische Sektion des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten (BMeiA) der Republik Österreich die Idee, Österreich-Bibliotheken in den sozialistischen Ländern Europas zu eröffnen. Als lokale Partner wurden Universitäten und Bibliotheken gesucht. Die erste Bibliothek wurde 1986 in Krakau eingeweiht. Nur drei Jahre später fiel der eiserne Vorhang. In den meisten Osteuropäischen Ländern fand ein Regimewechsel statt. Die kulturpolitische Mission der österreichischen Auslandsbibliotheken wurde durch die Öffnung der ehemals kommunistischen Staaten erleichtert. So entstanden besonders in den 1990er Jahren ein Großteil der heute bestehenden Kultureinrichtungen. In Rumänien wurden 1992 eine Österreich-Bibliothek in Bukarest und eine in Temeswar/Timişoara eröffnet. In diesem Jahr feiern beide ihr 20-jähriges Jubiläum. 2013 wird eine weitere Österreich-Bibliothek in Rumänien einen runden Geburtstag feiern: In Klausenburg/Cluj-Napoca wurde 2003 die dritte Bibliothek des Landes eröffnet. Nummer vier wurde 2010 in Jassy/Iaşi feierlich eingeweiht.
Dabei leisten die österreichischen Kultureinrichtungen nicht ausschließlich Bibliotheksarbeit, sondern veranstalten unter anderem mit Lesungen, Vorträgen, Musik- und Filmabenden, Bibliotheksführungen und Symposien auch Kulturereignisse. Fachlicher Betreuer der Bibliotheken ist die Österreichische Gesellschaft für Literatur, die mit dem Referat V.2d des BMeiA eng zusammenarbeitet. Inzwischen wird jährlich ein Kolloquium der Österreich-Bibliotheken im Ausland veranstaltet, wodurch die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Kultureinrichtungen hervorgehoben und eines der fast 30 Partnerländer Österreichs kulturell in den Vordergrund gerückt wird. 2012 wurde das Kolloquium erstmals auch in Rumänien veranstaltet. Rumänischer Gastgeber war die Österreich-Bibliothek Temeswar, die seit 1992 von der Literaturwissenschaftlerin Dr. Roxana Nubert geleitet wird. Austragungsort des eintägigen Kolloquiums, das am Dienstag, dem 25. September, stattfand, war die Aula der Zentralbibliothek „Eugen Todoran“. Zweites Gastgeberland 2012 ist Serbien. In den Städten Neusatz/Novisad und Belgrad/Beograd wurden ebenfalls Kolloquien veranstaltet.
Kolloquium in Temeswar
An dem Kolloquium und der damit verbundenen Studienreise nach Südosteuropa nahm auch die Leiterin des Referats V.2d, Christine Dollinger, teil. Dr. Nubert überraschte die Regierungsrätin mit einer besonderen Auszeichnung für ihre langjährigen Verdienste und Arbeit als Verantwortliche für die Österreich-Bibliotheken. Ihr wurde eine türkische Medaille mitsamt Urkunde aus dem Jahr 1915 verliehen, die Dr. Nubert von einer verstorbenen Herzensösterreicherin vor einigen Jahren erhalten hatte. Dollinger war zum ersten Mal auf Besuch in Temeswar. Die Regierungsrätin bedankte sich für die besondere Auszeichnung und verwies scherzend auf eine Stärkung der österreichisch-türkischen Beziehungen. Auch der Schirmherr des Kolloquiums, der ehemalige österreichische Botschafter in Rumänien Dr. Martin Eichtinger, wurde im Frühjahr von der West-Universtität Temeswar geehrt. Ihm wurde der Titel Doctor Honoris Causa verliehen.
Dr. Nubert sprach in einem Vortrag von dem Einfluss der Wiener Gruppe auf die Aktionsgruppe Banat. Unter dem Einfluss von H. C. Artmann schlossen sich Mitte der 1950er österreichische Schriftsteller in Wien zusammen. Wichtige Gegenwartsautoren wie Ernst Jandl hatten engen Kontakt zur Gruppe. In den 1970er Jahren gründeten junge Autoren aus dem rumänischen Banat die literarische Gruppierung namens Aktionsgruppe Banat. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten unter anderem der rumäniendeutsche Schriftsteller Richard Wagner, ehemals mit der Nobelpreisträgerin Herta Müller liiert und später verheiratet, der rumäniendeutsche Dichter Rolf Bossert, der 1986 Selbstmord beging, und der Journalist und Chefredakteur der „Banater Zeitung“ Werner Kremm – das einzige Mitglied der Gruppe, das nicht nach Deutschland ausgewandert ist. Roxana Nubert stellte in ihrem Vortrag die Entstehung und die Zerschlagung der Gruppe dar. Heute wird die Aktionsgruppe besonders unter dem Blickpunkt ihrer politischen Verfolgung durch die Geheimpolizei Securitate betrachtet. Die Mitglieder selbst sehen sich heute eher als Dissidenten, die durch ihre Literatur ein politisches System verändern wollten. Die Wiener Gruppe übte keinen politischen, sondern vorwiegend einen literarischen Einfluss auf die jungen Banater Schriftsteller aus. Genau wie die Wiener Autoren verwendeten die Mitglieder der Aktionsgruppe Banat Sprachspiele und -experimente. Auch das bekannte Gruppengedicht „Engagement“, das die rumäniendeutschen Schreibenden bei ihren Treffen als spielerisches Intro aufsagten, ist eine Entlehnung des Gedichtes „Eulen“ von Ernst Jandl.
In Ungarn üben österreichische Gegenwartsautoren auch heute noch einen großen Einfluss auf ungarische Schriftsteller aus. Das zeigte Dr. Attila Bombitz von der Universität Szeged in seinem Vortrag auf. Der bedeutende ungarische Schriftsteller und Essayist Péter Esterházy nutzt Zitate aus übersetzten Texten von Peter Handke und Thomas Bernhard. Auch auf das Schreiben von Imre Kertész übte Bernhardt einen großen Einfluss aus, so Dr. Bombitz. Der „österreichische Orient“ in der Literatur hätte sich auch nach Ungarn verirrt, meinte der Literaturwissenschaftler. Nicht weniger interessant war der Vortrag von Dr. Roman Kopriva aus Brünn/Brno. Er sprach über die drei übersetzten Werke von Herta Müller in Tschechien und übte scharfe Kritik an der Übersetzerin, die es nicht verstanden hätte, die sprachlichen Besonderheiten in Müllers Texten ins Tschechische zu transportieren. Dabei wurde die Schriftstellerin Radka Denemarková für ihre Übersetzungen ausgezeichnet. Eine Zuhörerin warf ein, dass in Tschechien großer Wert auf künstlerische Übersetzungen gelegt wird.
Jubiläumsjahr Österreich-Bibliothek Temeswar
Höhepunkt zum Schluss war der Vortrag von Dr. George Gu]u von der Bukarester Universität. Er sprach über verschollene Briefe des rumänischen Philosophen Emil Cioran, der mit dem österreichischen Sachbuch-Autor, Moderator, Literaturkritiker und Essayisten Wolfgang Krause korrespondierte. Der aus Hermannstadt gebürtige Cioran bediente sich im Briefverkehr mit Krause der deutschen Sprache. Eine deutsche Sammlung der Briefe ist allerdings bisher noch nicht erschienen. Laut Dr. Gu]u hat der Suhrkamp Verlag die Veröffentlichungsrechte erhalten. Eine rumänische Fassung ist bereits im Handel erhältlich.
Die Teilnehmer am Kolloquium in Temeswar besuchten abends auch das Deutsche Staatstheater. Daneben fanden Ausflüge in der Region statt.
Zum 20-jährigen Jubiläum hat die Österreich-Bibliothek in Temeswar im Frühjahr eine Festtagung zum Thema „Aktionsgruppe Banat“ veranstaltet. Auch die Aktionsgruppe wurde in diesem Jahr 40. Die Österreich-Bibliothek an der West-Universität Temeswar hat in den letzten Jahren zahlreiche wichtige österreichische Gegenwartsautoren in das ehemalige Klein-Wien gebracht. Zudem wurden Ausstellungen, Werkstätten sowie weitere kulturelle Veranstaltungen organisiert. Damit hat die Österreich-Bibliothek sich als kulturelle Botschaft in Rumänien mehrmals behaupten können.