Es gehört zur Mentalität dieses Landes, unangenehme Wahrheiten diskret, rasch und folgenlos unter den Teppich zu kehren. Dieses Schicksal droht auch einem Buch, das 2016 erschien und viel zu wenig beachtet wurde: „Der Preis des Goldes. Unbequeme Ehrlichkeit“. Autorin: die ehemalige Spitzenturnerin Maria Olaru.
Gleich vorneweg: der Preis ihres Goldes waren Erniedrigung, Prügel, psychischer Dauerdruck, Vergewaltigung ihrer Kindheit, unmenschlicher Erfolgsdruck seitens der Trainer (wir sprechen vom erfolgreichsten rumänischen Turntrainerpaar, Octavian Belu/Mariana Bitang) – in der Horror-Aufzählung fehlt nur eins: Doping. Ob das nun die Option der Autorin war, um ihre unter solchen Bedingungen erzielten Erfolge nicht nachträglich wegen zu viel Ehrlichkeit zu gefährden – wegen Dopings sind im Nachhinein viele Medaillen aberkannt worden – oder ob es tatsächlich im international so erfolgreichen rumänischen Frauen-Turnsport kein Doping gegeben hat, das wollen wir mal unter Fragezeichen belassen.
Die „unbequeme Ehrlichkeit“ der ehemaligen Spitzenturnerin Maria Olaru spricht etwas an, was in diesem Land zum Alltag gehört, das jeder kennt, das aber möglichst vor der (in- und ausländischen) Öffentlichkeit verborgen bleiben soll, durch Verschweigen, durch Nicht-Dagegen-Aufmupfen, durch Untern-Teppich-Kehren. So bleibt dann alles beim Alten und wir tun so, als ob es so etwas nicht geben würde.
Dabei sind dann, nach Außen, alle stolz auf die rumänischen „Spitzen“, im Sport (wer hat mal hinterfragt, wie Nadia Com²neci unter Béla Károly zur Olympiasiegerin wurde?), bei den Facholympiaden der Schüler (wer untersucht, wie viele „Privatstunden“ – altruistische oder irgendwie interessierte – Fachlehrer in Sieger oder Siegerteams bei internationalen Schülerolympiaden investieren, die dann als Standard für das „glänzende rumänische Schulsystem“ zitiert werden, das in Wirklichkeit aus dem letzten Loch pfeift), in der internationalen Wissenschaftsszene (wobei durchwegs alle, die beispielsweise im Silicon Valley, bei der NASA oder in Cern aufgefallen sind, ihre Hochschulen im Ausland absolviert haben) oder in der Wirtschaft (ist es ein Zufall, dass die meisten erfolgreichen Firmengründungen rumänischer Unternehmer ihren Sitz im Ausland haben?).
Direkt eingreifen, Rechenschaft fordern (von wem auch immer, wenn er irgendwie mit uns oder unseren Steuergeldern zu tun hat), aktiv werden, wenn etwas schiefläuft (und sei es auch „nur“ ein seit Wochen nicht geputztes öffentliches Klo), davor drückt man sich hierzulande. Man schwafelt viel und gern über die Notwendigkeit des Eingreifens. Etwas tun ist tabu.
Schmerzhafte Aufweckbücher, wie das der Maria Olaru, so empfindlich sie den rumänischen Nationalstolz treffen, müssten häufiger erscheinen.