Lieber Weihnachtsmann,

Bild: sxc.hu

als ich noch klein war, lebte ich in Reschitza und glaubte an Dich. Und wenn ich heute an Dich denke, fühle ich mich plötzlich wieder wie ein Kind, und deswegen schreibe ich Dir jetzt diesen Brief. Und zwar mit der Hand und nicht mit dem Laptop. Ich habe zwar eine Sauklaue, aber Du, lieber Weihnachtsmann, kannst ja jede Art von  Schrift lesen, Du hast ja genug geübt, oder? Und ich fände es ganz blöd, Dir eine E-Mail zu schicken, denn du hast ja gar keinen PC, das weiß ich schon, seit ich drei Jahre alt bin.

Ich hoffe, dass Du dich noch erinnerst: Du hast damals gar nicht Weihnachtsmann geheißen, sondern Christkindl. Ja, so nannten wir Dich zu Hause, und so nennt man Dich manchmal immer noch.
Und im Kindergarten hat uns Genossin Helga erklärt,  dass Du, lieber Weihnachtsmann, in Wahrheit Väterchen Frost heißen würdest. Du könntest gar nicht Christkindl heißen, denn Christus gebe es nicht. Das ist eine dumme Gans, meinte Mama, als ich ihr das erzählte, aber das hat sie nicht zu mir, sondern zu Papa gesagt, und als ich es Genossin Helga sagte, kriegte ich Ärger, nur wegen des Christkindls.

Frost gab es damals im Winter monatelang, und es lag überall hoher Schnee, das war klasse! Aber gar nicht klasse war das, dass wir nicht immer genug Holz hatten, um zu heizen. Doch wem das nicht passte, der konnte ja ein paar flotte Turnübungen machen, und schon war es ihm wieder schön warm.
Ja, lieber Weihnachtsmann, so war das, doch die guten alten Weihnachtszeiten kommen leider nie wieder! Man konnte damals eine Menge prima Sachen kaufen, es gab praktisch alles. Aber nicht auf dem Markt. Dort fand man zu Weihnachten leider bloß ein paar hässliche Kiefern an Stelle von Tannenbäumen, wenn überhaupt. Also besorgte Papa immer einen super Tannenbaum aus dem Wald. „Eines Tages wird man dich noch erwischen, und dann werden wir ‘Oh Tannenbaum!’ ohne dich singen müssen“, meinte Mama.  

Und der Weihnachtsbaum war geschmückt mit Salonzucker, das waren kunterbunt verpackte Pralinen. Der Salonzucker hielt aber nicht lange, bloß ein, zwei Tage, so lange bis er in unseren Bäuchen verschwand.
Und wenn wir Glück hatten, lieber Weihnachtsmann, gab’s manchmal sogar eine Orange zum Weihnachtsfest, die haben wir dann untereinander aufgeteilt. Und viele Jahre später lernte ich sogar den Geschmack von Bananen kennen, durch eine ganz leckere Zahnpasta mit Bananengeschmack.
Und wir konnten von Glück reden, lieber Weihnachtsmann, denn Mama hatte eine Cousine in Stuttgart, und von ihr bekamen wir alljährlich den Quelle-Katalog zugeschickt, dort haben wir uns am Heiligen Abend die vielen tollen Geschenke angeschaut.
Unsere Nachbarin, Tante Grete, hatte sogar noch mehr Glück als wir, denn sie hatte einen Bruder in München, der schickte ihr immer zu Weihnachten ein riesiges Geschenkpaket. Aber Tante Grete war sehr undankbar, denn statt sich darüber zu freuen, hat sie danach immer nur geschimpft, nur weil man ihr jedes Mal bei der Zollkontrolle fast den ganzen Inhalt klaute.

Lieber Weihnachtsmann, das alles kommt mir vor, als ob es gestern gewesen wäre. Und weißt Du, was heute passiert ist? Ich traf plötzlich meinen Kindheitsfreund Helmut, und er sagte zu mir: „O Mann! Du hast dich aber verändert, du siehst ja jetzt aus wie der Weihnachtsmann!“ Also, das brachte mich nicht gerade in Weihnachtsstimmung. Der sollte mal lieber selbst in den Spiegel schauen!
Aber Schwamm drüber, ich finde Weihnachten in Düsseldorf heutzutage genau so schön wie damals in Reschitza. Und sogar noch viel schöner, denn es gibt hier nicht bloß einen Weihnachtsmann, sondern Hunderte, also einen wie Dich an jeder Straßenecke, und sie verteilen allerhand Geschenke, zum Beispiel schöne Werbeprospekte. Die kann man gratis mitnehmen und sie dann in die nächste Papiertonne werfen, für den Umweltschutz.

Und an vielen Hausfassaden hängen so große und starke Weihnachtsmänner wie Du, als Zierde. Sie sind aus Kunststoff, aber ich denke, nächstes Jahr könnte man dafür arbeitslose Banker einstellen, wenn schon nicht die Aktienkurse, dann sollen wenigstens sie hoch klettern.
Doch am allerschönsten ist freilich der Weihnachtsmarkt, aber geh bitte auf keinen Fall hin, sonst wirst Du angerempelt und man klaut Dir den schönen Gabensack!
Und aus allen Musikanlagen tönen super Weihnachtslieder, um daran zu erinnern, dass vor 2011 Jahren Du, lieber Weihnachtsmann, uns geboren wurdest. Äähm, pardon!... Oder war es vielleicht... der Nikolaus?