Bei meinem Neapel-Besuch stellte ich Folgendes fest: Der typische Neapolitaner redet extrem viel und laut, und zwar nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit Händen und Füßen, denn er verfügt über einen beträchtlichen Energieüberschuss. Seine Zielstrebigkeit ist unübertrefflich, vor allem, wenn er sich auf Rädern fortbewegt. Er weiß ganz genau, wo er hinkommen möchte, und davon lässt er sich durch nichts abbringen, auch durch eine rote Ampel nicht. Rote Ampeln werden vom typischen Neapolitaner nie beachtet, wie ich bei meinem Neapel-Besuch bemerkte. Das stellte mich vor ein logisches Dilemma. „Wozu braucht ihr in Neapel denn eigentlich überhaupt noch Ampeln?“, fragte ich meinen Freund Vincenzo, der Friseur in Neapel ist. „Sie dienen zu rein dekorativen Zwecken“, kam die Antwort. Früher baute man also prächtige Pallazos, heute errichtet man Ampeln, denn der Sinn des echten Neapolitaners für Ästhetik ist nach wie vor ungebrochen.
Die Zielstrebigkeit der unzähligen neapolitanischen Mofafahrer bringt sie gelegentlich dazu, zwischendurch auch mal ganz spontan den Fußweg zu benutzen, wenn die Straße verstopft ist, was eigentlich fast immer der Fall ist. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn dadurch ist man als Fußgänger dazu angehalten, seine Reaktionsgeschwindigkeit zu trainieren. Dank Neapel entdeckte ich angenehm überrascht, dass ich viel höher springen konnte, als ich vermutet hätte.
In Neapel benutzen nicht selten drei oder vier Leute dasselbe Mofa, natürlich alle gleichzeitig. Und Rodolfo, ein Polizist aus Neapel, den ich bei Vincenzo kennenlernte, berichtete mir, er habe einmal, während er seinen Dienst ausübte, sieben Personen im selben kleinen Auto gesehen. „Ich wollte sie sofort anhalten“, so Rodolfo, „doch ich gab es auf, als ich plötzlich in einem noch kleineren vorbeifahrenden Wagen acht Personen entdeckte.“
In der Schweiz oder in Deutschland hätten diese acht Leute in der Regel acht verschiedene Autos gebraucht, die dann freilich auch eine achtfache Umweltverschmutzung verursacht hätten. Also Verkehrswidrigkeiten hin oder her, eins muss man den Neapolitanern lassen: Ihr Beitrag zur CO2-Reduzierung ist einfach beachtlich. Kein Wunder also, dass sie über ein so gutes und stabiles Klima verfügen.