Ungerührt blickt der hölzerne Bogdan vom Keisder/Saschizer Kirchturm. Ein Auto parkt auf dem Dorfanger. Ihm entsteigen vier Touristen aus Hermannstadt/Sibiu. Die beiden Frauen auf dem Rücksitz atmen etwas erleichtert auf. Das transsilvanische Auf und Ab durchs Harbachtal ist selbst bei ganz ruhigem Verkehr nichts für Empfindliche. Wie erholsam war da die Rast mit Picknick auf der Höhe vor Trappold/Apold: links das obere Harbachtal, rechts das Dorf im Schaaser Tal mit seiner imponierenden Kirchenburg. Je langsamer man sie bereist, umso zauberhafter ist diese Landschaft. Pferdewagen, von uns Autofahrern am Tag belächelt, bei Nacht gefürchtet, sind selten geworden, selbst hier im abgelegenen Gebiet. Mit ihnen verschwindet auch ein spezifisches Tempo.
Was aus Kronstadt/Braşov oder Mediasch per Auto in einer Stunde, aus Schäßburg/Sighişoara in dreißig Minuten zu erreichen ist, erreichen wir aus Hermannstadt über das Harbachtal, vorbei an Schafherden und ruhigen Dörfern, in mehr als zwei Stunden. Im Vorbeifahren sehen wir große Bauarbeiten an den Kirchen jenseits von Agnetheln/Agnita: Gerüste und ein renoviertes Dach in Neithausen/Netuş, die Kirche von Henndorf/Brădeni mit erneuertem hölzernen Wehrgang, Trappold in frischem Weiß. Als Musiker fragen wir uns, wie es wohl den Orgeln in diesen Kirchen geht. Manche klingen seit Jahren nicht mehr oder sind verwüstet, andere waren frisch restauriert und könnten nun unter den Baumaßnahmen erneut leiden.
Schäßburg umrunden wir am Fuße der Burg und genießen anschließend die frühlingsgrüne Hügellandschaft des oberen Kokeltales. Die Europastraße bringt uns nach rund 20 Kilometern ins Zentrum von Keisd.
Gotische Gewölbe und Wehrgang
Diese Wehrkirche ist UNESCO-Weltkulturerbe. Im Vorjahr wurden hier umfangreiche Restaurierungsarbeiten abgeschlossen. Nur der Bogdan und seine Behausung, der freistehende massive Kirchturm, warten noch auf eine Renovierung. Kuratorin Dorothea Ziegler öffnet das Portal und wir stehen in einer hellen Kirche mit gotischem Kreuzrippengewölbe. Von der Empore grüßt die alte Prause-Orgel mit ihrem besonders schönen Prospekt. Sie hat die Arbeiten im Kircheninneren halbwegs heil überstanden. Ihr sind noch schöne Klänge zu entlocken, auch wenn eine Restaurierung sehr empfehlenswert wäre.
Rudolf, Frau Zieglers Sohn, bietet uns einen ungewöhnlichen Rundgang an: am Dachboden, über Jahrhunderte alten Balken, wurde der Wehrgang begehbar gemacht. Wir befinden uns über dem Kirchengewölbe, am Fuß des mittelalterlichen, eindrucksvollen Dachstuhls. Das Auge kann sich nicht sattsehen an immer neuen Ausblicken auf das Dorf. Durch die kleinen Fenster blickt man auf die Gassen und Häuser von Keisd, das so einmalig eingebettet liegt, zwischen grünenden Hügeln, an den Ufern des Saubachs, im Schutz des Burgbergs mit den Resten seiner alten Bauernburg.
Trutzige Bauernburg am Hügel
Diese erreichen wir anschließend auf einem ein Kilometer langen Serpentinenweg. Schlüsselblumen und Adonisröschen blühen am Hang. Seitdem er gerodet wurde, ist die Keisder Bauernburg wieder von Weitem sichtbar. Der Aufstieg ist ein Fest fürs Auge. Aus immer neuem Blickwinkel bieten sich Dorf und Wehrkirche mit ihrem massiven freistehenden Turm dar. Wellige Hügel, grün und blühend, verlieren sich am Horizont. Die Burg ist als Anlage gut zu erkennen und entfaltet im Frühling einen eigenen Zauber.
Teppiche von Immergrün umschlingen klobige Steinmauern. Der Kuckuck ruft zum ersten Mal in diesem Jahr. War das hier einst der Wächterturm, war es der Tor-, Pfarrer-, Fürsten-, Pulver- oder der Schulturm?
Wir sind nicht die einzigen Besucher. Junge Mädels probieren das Model-Dasein und posieren vor ihren fotografierenden Freunden in Fensternischen und halbverfallenen Basteien. Ein- und Ausgänge der Burg kann man sich frei wählen und durch Lücken in den Mauern direkt in den Steilwald gelangen, der auf der dem Dorf abgewandten Seite liegt. Wir träumen mit offenen Augen: Wenn das alles hier renoviert wäre, wenn ein Asphaltweg bis vor die Mauern führte, wenn ein schickes Restaurant in dieser grünen Wildnis eröffnet hätte.... Tja, dann wäre das hier nicht Siebenbürgen, sondern die Schweiz. So trinken wir mitgebrachten Kaffee aus der Thermoskanne, sitzen beim Abstieg immer wieder auf hölzernen Bänkchen und genießen den Blick auf Keisd.
Romantische Gässchen und lokale Köstlichkeiten
Unten angekommen, besichtigen wir, was im Zentrum der Gemeinde sonst noch zu sehen ist: stattliche Häuser mit den ortstypischen Tulpen-Nischen im Giebel, die ehemalige evangelische Schule, die aus fensterlosen Öffnungen herüberblickt, daneben ein zerfallenes Haus. Hat da mal der Lehrer mit seiner Familie gewohnt? Das Pfarrhaus hat einen imposanten Gemeindesaal, ein weiterer großer Raum neben der Kirche wartet darauf, der evangelischen Gemeinde zurückgegeben zu werden. All das mit Leben zu füllen, Gäste und Touristen anzulocken und zu betreuen, das wird keine leichte Aufgabe sein.
Ein erster Schritt ist mit dem winzigen Laden an der Kirchenmauer getan, der täglich außer sonntags geöffnet hat: Marmeladen aus Rhabarber und Holunderbeeren, Säfte, Zakuska, Produkte der Region, hübsch abgepackt, locken als Mitbringsel. Auch kann man sich über Natur- und Umweltschutz sowie über weitere touristisch interessante Ziele informieren.
Musik aus früheren Zeiten
Warum sind wir die zwei Stunden aus Hermannstadt bis Keisd gefahren? Am 2. Juni soll hier das diesjährige Laudate-Konzert stattfinden. Im Chorraum, auf den Steinstufen vor dem Altar, so planen wir, wird der Projektchor „Laudate” stehen, davor das barocke Kammerorchester aus Miercurea Ciuc. Auf den Notenpulten werden die wiederentdeckten Dicta, Arien, Chöre und Kantaten aus alten siebenbürgischen Archiven liegen. Solisten proben bereits ihre Partien, Steffen Schlandt aus Kronstadt, Edith Toth aus Mediasch und Christiane Neubert aus Fogarasch werden je ein Werk leiten.
Wollen Sie live, sozusagen am Tatort, erleben, welche Musik in früheren Zeiten in der Pfingstzeit in Schaas, Klosdorf, Schäßburg und Keisd erklang? Dann lassen Sie sich herzlich am Sonnabend, dem 2. Juni, um 16 Uhr zum Laudate-Konzert nach Keisd einladen. Möglich, dass der Bogdan am Kirchturm dann seinen hölzernen Augen nicht traut. Was wollen alle diese Leute hier zu seinen Füßen? Die 700-Jahrfeier seit der ersten Erwähnung des Dorfes ist schließlich vor drei Jahren gewesen. Nur Musik? Wenn das Wetter es so gut meint, wie mit uns, dann planen Sie einige Stunden mehr ein: die alte Burg hoch überm Dorf und der mittelalterliche Wehrgang auf dem Kirchendach sind eine Besichtigung wert!