„Nitzkydorf ist der liebste Ort auf der Welt – dort, wo ich zu Hause war und bin“

Gespräch mit Dr. Hella Gerber, Vorsitzende der Heimatortsgemeinschaft Nitzkydorf

Dr. Hella Gerber ist seit 2011 Vorsitzende der HOG Nitzkydorf.

Dr. Hella Gerber lebt seit Mitte der 80er Jahre in Deutschland. Als Nephrologin und Fachärztin für Innere Medizin ist die 61-Jährige ärztliche Leiterin im KfH-Nierenzentrum Neusäß bei Augsburg. Im Herzen von Hella Gerber hat die Liebe zum Beruf große Konkurrenz mit der Liebe für die Heimat und Gemeinschaft. Seit über sechs Jahren ist die Rumäniendeutsche Vorsitzende der Heimatortsgemeinschaft (HOG) Nitzkydorf und gleichzeitig auch Vorsitzende des Kreisverbandes der Banater Schwaben Augsburg, Beisitzerin des Hilfswerks der Banater Schwaben, Vorstandsmitglied des Vereins „Freunde der Lenauschule“, Vorstandsmitglied im BdV-Bund der Vertriebenen KV Augsburg Stadt und Mitglied im Gerhardsforum Banater Schwaben e.V. Mit guter Zeitplanung kann alles gut funktionieren, sagt sie überzeugt und scherzt dabei, wenn sie nach ihren zahlreichen Ämtern gefragt wird. Ernst wird es immer, wenn es um das Erhalten des Kulturerbes der Banater Schwaben geht, denn für Hella Gerber ist dies zu einem Lebensauftrag geworden. In den HOG-Unterlagen sind aktuell rund 1800 Personen erfasst. Über Pläne und Projekte hat die ADZ-Redakteurin Andreea Oance mit der engagierten Banater Schwäbin gesprochen.


Auch wenn Sie bereits seit über drei Jahrzehnten in Augsburg leben, engagieren Sie sich als Vorsitzende der HOG Nitzkydorf. Wie sind Sie dazu gekommen, Ihre Heimat in Deutschland zu vertreten?

Den Kontakt zu Nitzkydorf und zu den Menschen aus der alten Heimat habe ich nie verloren. In der Familie Gerber hat man sich schon immer für die Heimatortsgemeinschaft eingesetzt: Mein Mann war einige Jahre Schriftführer, mein Schwiegervater hat das Nitzkydorfer Adressenheft und den Friedhofsplan erstellt und meine Schwiegermutter, handwerklich sehr geschickt, hat unter anderem Trachten genäht sowie die Nitzkydorfer Vereinsfahne und Kirchweihstraußrosen angefertigt.

Als die damalige HOG-Vorsitzende Barbara Fetzer verkündete, nicht weiterzumachen, wurde ich Oktober 2011 zur HOG-Vorsitzenden gewählt. Ich wollte, dass die Arbeit der HOG fortgeführt wird. Ich wünschte mir aber auch, neue Impulse zu geben. Der Hauptgedanke war, den Kontakt zu Nitzkydorf zu bewahren sowie das kulturelle Erbe der Banater Schwaben zu erhalten und bekannt zu machen. So sind im Laufe der letzten Jahre sehr viele Projekte entstanden – sie entwickelten sich einfach eines aus dem anderen.


Heute ist Nitzkydorf als das Dorf der Nobelpreisträgerin Herta Müller bekannt. Der Name der Ortschaft hat durch ihre Bücher eine andere Bedeutung bekommen. Hat das dem Image des Dorfes geschadet?

Ja, heute ist Nitzkydorf das Dorf einer Nobelpreisträgerin! Dies ist eine große Ehre und Freude für die Banater Schwaben und natürlich auch für uns Nitzkydorfer. Für ihre Literatur schätzen wir sie sehr, denn durch ihre Bücher und ihr Schreiben hat sie das Banat zum ersten Mal weltweit bekannt gemacht. Das Schicksal der Deutschen aus dem Osten, mit der Russlanddeportation, hat sie auch in ihren Büchern vorgestellt. Das hat man früher in Deutschland nicht so richtig gekannt. Alles wurde infolge ihrer Bücher in der Öffentlichkeit viel mehr wahrgenommen als vorher. Dem Image von Nitzkydorf hat das gar nicht geschadet. Schriftsteller haben auch Phantasie beim Schreiben. Das, was geschrieben wird, muss nicht unbedingt als Geschichtsdarstellung angesehen werden. Herta Müller schreibt ihre eigene Darstellung von Nitzkydorf. Sie hat einen anderen Bezug zur Heimat. Dass nun jedes Jahr Schüler aus Deutschland und Rumänien nach Nitzkydorf, in das Dorf und in die Schule der Nobelpreisträgerin kommen, das freut uns besonders.


Immer wieder kommen die ausgewanderten Banater Schwaben nach Nitzkydorf zurück – sei es zum Dorfjubiläum, zur Kirchweih oder aus Anlass der Heimattage der Banater Deutschen. Doch auch in Deutschland finden verschiedene Veranstaltungen für die Gemeinschaft statt. Wie bleiben denn die Nitzkydorfer in Deutschland in Verbindung?

Alle zwei Jahre finden Heimattreffen mit Kirchweihfest in Augsburg statt. Das allein reicht aber nicht aus, um gut in Verbindung zu bleiben, zudem die Leute in Deutschland auch verstreut leben. Die meisten Nitzkydorfer wohnen in Bayern und Baden-Württemberg, viele sind in Augsburg. Wir, in Augsburg, beteiligen uns zum Beispiel auch an verschiedenen Aktivitäten der neuen Heimat, wie Tag der Heimat oder an einer die Landsmannschaft übergreifenden Gemeinschaftsveranstaltung 2016 „Rund um das Osterbrauchtum“. Zur Kontaktpflege, zum Erinnern und zum Bekanntmachen unserer Aktivitäten, schreiben wir seit 2014 ein Heimatblatt der HOG Nitzkydorf. Das Heimatblatt enthält Informationen, Berichte von früher aber auch Aktuelles aus der Gemeinschaft. Jeder kann einen Beitrag schicken. In diesem Jahr ist die dritte Auflage erschienen.


Was für Projekte bereitet die HOG Nitzkydorf für die Zukunft vor?

2015 wurden 230 Jahre Nitzkydorf gefeiert. Zum Dorfjubiläum haben wir auch das Schulmuseum mit Dokumenten von Herta Müller eröffnet. Neue Projekte und Ideen entwickeln sich ständig aus anderen Projekten: So z. B. ist nach der Jubiläumsfeier die Idee zur Gründung eines Zentrums für Dokumente der Banater Schwaben entstanden. Das Projekt sieht vor, ein Dokumentationszentrum für das ganze Banat in Nitzkydorf entstehen zu lassen. Studien und Dokumentationen, Dorfbücher u. a. sollen in der alten Schule in Nitzkydorf verfügbar sein.
Seit 2016 findet jährlich ein von Prof. Tiberiu Buhna-Dariciuc initiiertes Symposium zum „Kulturerbe der Banater Schwaben“ in Nitzkydorf statt. Das Symposium entwickelt sich stetig: Anfang August 2018 kommen wir wieder mit unserer HOG-Reisegruppe, mit Musikkapelle, Chor und Trachtenpaaren ins Banat und nach Nitzkydorf.

Wir nehmen uns vor, die schwäbische Tanzgruppe in Nitzkydorf unter der Leitung von Lehrerin Margareta Dragoş mit Trachten auszustatten und der Gruppe zu helfen, Anschluss bei anderen Gruppen zu finden. Der Austausch und die Kontakte zur Gemeinde, Kirche und Schule sind uns sehr wichtig. Die deutsche Sprache soll in der Schule weiter gepflegt werden. Dafür müssen wir aber kämpfen, deutschsprachige Lehrer an die Schule zu bringen. Als HOG haben wir auch andere Pläne für die Ortschaft. Es wäre schade, dass Nitzkydorf seine deutsche Identität verliert: zweisprachige Schilder aus- und einwärts des Dorfes und sogar Schilder mit zweisprachigen Straßennamen könnten angebracht werden.
Auch in Deutschland haben wir viele Projekte im Gange: verschiedene Treffen, Veranstaltungen und Feste und vor allem das Einbinden vor Kindern und Jugendlichen bleibt uns wichtig.