Nation. Nationalidentität. Nationale Symbole. Nationalhelden. Nationalstolz. Nicht nur, dass diese Begriffe sich als nicht überholt beweisen, so wie man in den Anfängen des globalistischen Denkens prophezeite, sondern sie sprechen auf weltweiter Ebene noch einen großen Teil der Bevölkerung an und setzen noch immer Mechanismen in Bewegung, die scheinbar der Vergangenheit angehören sollten. Und trotzdem tun sie es nicht. Daher darf und sollte man noch immer fragen, was hinter diesen Begriffen steckt, die vom Konzept der Nation abgeleitet werden.
Vor ein paar Wochen veröffentlichte Andrei Pleșu in „Dilema Veche“ einen Text, den er schon 2014 geschrieben hatte und nun aus aktuellem Anlass erneut aufnahm. „’Der Stolz, Rumäne zu sein’ – das ist ein erhabener und bedeutungsloser Spruch. In seiner Bedeutungslosigkeit ist er symmetrisch zu ‘die Schande, Rumäne zu sein’. Man kann nicht stolz sein auf (oder sich schämen für) eine Eigenschaft, die man nicht durch Verdienst oder aus freien Stücken erlangt hat. Niemand hat gefragt, ob man als Rumäne geboren werden will, und man wurde nicht von einer Jury nach dem Bewerten der eigenen Tugenden zum Rumänen erklärt“, schreibt der Philosoph in der Einleitung seines Textes. Zusammengefasst behauptet Pleșu, dass das, was man unter Nationalstolz versteht, sinnlos ist, da es keine reale Basis dafür gibt. Erstens ist das Referenzsystem nicht wirklich definierbar, zweitens sind die Verdienste oder die Mängel einzelner Personen nicht auf ein Volk übertragbar, drittens sollten die eigenen Verdienste die Basis für den eigenen Stolz liefern. „Der Stolz, Rumäne zu sein, ist etwas, das nicht als Ausgangspunkt, sondern als zu erreichendes Ziel betrachtet werden muss. Andernfalls bleibt er, was er seit Langem ist: eine Droge, eine Schlaftablette, ein Taschenspielertrick, anstatt ein Treibstoff zu sein“, schließt der Schriftsteller seinen Beitrag.
In den letzten Jahren wird von Politikern, Journalisten u. a., sowie von breiten Teilen der Bevölkerung der Staaten, die zum westlichen Kulturkreis gezählt werden, Nationalstolz mit Patriotismus gleichgestellt, doch sind die beiden Begriffe weder Synonyme, noch beziehen sie sich auf die gleiche Sache.
Patriotismus hat nicht unbedingt etwas mit Nation zu tun, setzt aber ein Mutter- oder Vaterland voraus. Dieses ist aber wiederum keine Gegebenheit, sondern kann einfach gewählt werden. Es besteht also nicht unbedingt ein direkter Bezug zwischen dem Ort, der Region, dem Land, in das man hineingeboren wurde, und dem besagten Gefühl. „Ubi bene, ibi patria“ sagten schon die alten Lateiner. Ein Tatbestand, der zum Beispiel beim größten Teil der ausgewanderten Mitglieder der rumäniendeutschen Minderheit wiederzufinden ist. Obwohl in Rumänien geboren, wird man schwer in ihren Reihen jemanden finden, bei dem man patriotische Gefühle für das eigene Herkunftsland nachweisen könnte, wobei eine derartige Beziehung zum Auswanderungsland eher zur Norm gehört. Obwohl Patriotismus nicht klar definierbar ist, kann man sagen, dass es sich dabei um ein Gefühl handelt, welches in direktem Bezug zu dem Ort der Selbstverwirklichung steht und eine starke individuelle Komponente beinhaltet.
Nationalstolz hat auf der anderen Seite eher etwas mit einer gewissen Abgrenzung zu tun. Bekannterweise ist nicht jedes Volk zugleich auch eine Nation. Es braucht einen gewissen historischen Entwicklungsprozess, der ein Volk zur Nation werden lässt. „Die moderne Nation verstand sich nach innen als eine im Prinzip gleichberechtigte, emanzipierte ‘Ressourcengemeinschaft’, und nach außen bildete sie eine Kampfgemeinschaft. Krieg und Gewalt waren (und sind) daher häufig Geburtshelfer der Nation und der Nationalstaaten. Im 19. Jahrhundert entstand in Europa kein einziger Nationalstaat auf friedlichem Weg“, kann man dazu auf staatslexikon-online.de lesen. Wenn man nun den Unterschied zwischen den beiden Begriffen so festhält, dass Patriotismus eher nach innen gerichtet ist, wobei der Nationalstolz eher eine Auswärtsrichtung mit sich bringt und bei dem zweiteren die Ab- und Ausgrenzungskomponente miteinbezieht, hat man einen Ausgangspunkt für die Erklärung extremistischer Bewegungen, die aus diesem erwachsen.
Nicht gut genug für uns
Dan Alexe, der Autor des bekannten Buchs „Dacopatia și alte rătăciri românești“ (Die Dakopathie und andere rumänische Irrungen), fragte sich unlängst in einem Posting, wieso sich die Vertreter extremer nationalistischer Bewegungen in Rumänien mit den Dakern, also mit den Verlierern der Geschichte, und nicht mit den Siegern, den Römern, identifizieren. Vielleicht liegt es daran, dass ihnen die Römer nicht gut genug sind. Wer alles nicht gut genug ist und dabei in die Kategorie der „Volksfeinde“ gehört, kann Listen, die im Netz, aber nicht nur, zu finden sind, entnommen werden. Auf diesen Listen, zum Beispiel die derjenigen, die im Laufe ihres Lebens Förderungen seitens USAid erhalten haben, finden sich Journalisten, Schauspieler, Sänger, Schriftsteller, Anwälte, Hochschulprofessoren usw. wieder. Derartige Listen sind nichts Neues, doch werden sie nun auch zu politischen Zwecken eingesetzt. Die oben genannte „Feindesliste“ wurde inklusive vom Ex-Präsidentschaftskandidaten Călin Georgescu kolportiert.
Leider können derartige Strömungen inzwischen auch auf höchster Ebene wiedergefunden werden. Das beste Beispiel dafür: der Fall Mircea Cărtărescu und die Rumänische Akademie. Bekannterweise ist der Vorsitzende der Rumänischen Akademie, der Historiker Ioan-Aurel Pop, Vertreter einer nationalistisch geprägten Geschichtsschreibung in Rumänien. Wiederum kein Einzelfall unter den rumänischen Wissenschaftlern und/oder Mitgliedern der Akademie, die sich eines gewissen Bekanntheitsgrades erfreuen. Wie in den rumänischen Medien berichtet, wurde die Aufnahme des renommiertesten rumänischen Schriftstellers Mircea Cărtărescu im Februar dieses Jahres abgelehnt. Nicht nur, dass Cărtărescus Bücher inzwischen in 23 Sprachen übersetzt wurden, der Schriftsteller ist auch Träger einiger der weltweit wichtigsten Literaturauszeichnungen: Thomas-Mann-Preis (2018), Formentor de las Letras (2018), FIL Award (2022), Dublin Literary Award (2024), etc. In diesem Jahr, kurz nach der erlebten Ablehnung, wurde er auf die erweiterte Liste für den Booker-Preis aufgenommen. Die Ablehnung seiner Aufnahme unter die Mitglieder der Akademie kommentierte Schriftsteller und Akademiemitglied Nicolae Breban wie folgt: „Er ist ein guter Schriftsteller, aber nicht auf dem Niveau der rumänischen Akademie. (…) Cărtărescu hat keine Romane geschrieben, sondern eine Trilogie, um die es viel Wirbel gegeben hat. Der erste Band enthält keine Fiktion. Es ist eine Familienchronik. Papi, Mami und Klein-Mircea. Darin gibt es einige Passagen, die ans Psychopathische grenzen, aber er ist nicht verrückt, er spielt den Narren. Cărtărescu ist das tiefste und beunruhigendste Zeichen unserer Fähigkeit oder Unfähigkeit zur bürgerlichen und psychologischen Reife, d. h. wir können das Erbärmlichste, das unpassendste Material verwenden, um Geld zu verdienen. Er ist ein guter Schriftsteller, aber er ist kein großer Romancier, denn er ist nicht fähig zur Fiktion.“ Das Ganze erinnert an den am Anfang dieses Beitrags erwähnten Text von Andrei Pleșu. Fazit: egal welcher Anerkennung sich Cărtărescu auch erfreuen würde, für „uns“ ist er nicht gut genug. Und da muss man sich mit Pleșu fragen: auf welches Rumänien bezieht sich der Nationalstolz dieser Personen?
Rumänischer Nationalstolz ohne Rumänien
Eine mögliche Antwort auf diese Frage lieferte die am 5. März in Bukarest verhaftete Verschwörergruppe „Vlad Țepeș“ (Vlad der Pfähler). Als erstes sollte nach der geplanten Machtübernahme Rumänien nicht mehr Rumänien heißen, sondern das Donau-Karpaten-Land in Geția umgetauft werden. Folgerichtig sollte auch die Hymne gewechselt werden, denn man kann ja nicht mehr „Erwache Rumäne“ singen, wenn es keine Rumänen gibt. Natürlich sollte das Land aus der NATO und der EU austreten (hier waren sie anscheinend einer Meinung mit Georgescu, der zeitgleich erklärte: „Rumänien braucht die EU nicht, denn wir haben Gott“). Das neu gegründete Land sollte von neun Ministerien geführt werden, wobei der Senat zum „Rat der Alten“ und die Abgeordnetenkammer zum „Komitee der Alten“ werden sollten. Natürlich wurde die Gruppierung um Adrian Robertin Dinu mit russischen Geldern und Know-how unterstützt. So kann man auch schnell verstehen, warum unter anderem die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu Russland, China und dem Iran, sowie die Aufnahme von Verhandlungen mit der Russischen Föderation zur Aufhebung des Ribbentrop-Molotow-Abkommens gefordert wurden. Als exemplarisch kann auch betrachtet werden, dass der Frontmann der Verschwörer der 101 Jahre alte General Radu Theodoru war, ein nicht unbekannter Holocaust-Verneiner. Wahrscheinlich hat dessen Alter auch eine entscheidende Rolle in der Auswahl der Parlamentskammernamen gespielt.
Natürlich kann man über diese Beispiele schmunzelnd den Kopf schütteln, doch haben uns die vergangenen Monate gezeigt, dass derartige Diskurse nicht auf taube Ohren stoßen. Vielmehr sprechen sie anscheinend eine tiefe Quelle der Unzufriedenheit an, die einen Feind, real oder erdacht, braucht, um ans Tageslicht durchzudringen. Zugleich darf nicht vergessen werden, dass in der Flut an Informationen, die über den Otto-Normalverbraucher im Minuten-Takt ausgeschüttet wird, im allgemeinen diese Bewegungen konkrete, durchdacht scheinende, einfache Lösungen anbieten. Meistens steckt nicht wirklich etwas dahinter, aber diese Untersuchung nehmen die wenigsten auf sich. „Make America great again“ sagt jedem etwas und wer möchte nicht Teil von etwas Großem sein. Und eben hier finde ich die Aktualität des Textes von Andrei Pleșu: der Erfolg der anderen färbt nicht ab, man hat auch keinen Verdienst daran, weswegen man auch nicht den Anspruch auf den dazugehörenden Stolz haben sollte. Umsonst sonnt man sich im Licht der Großen, wenn man selber nicht bereit ist, das Seine zu leisten. Und erst wenn man sein Bestes geschafft hat, darf man auch stolz sein, dass man es dort geleistet hat, wo man es getan hat. Und damit hat die Nation nicht wirklich was zu tun. Es geht um den gesunden Patriotismus und nicht um Nationalstolz.