Eine „vierte industrielle Revolution“ steht bevor – die komplette Digitalisierung und Vernetzung der Produktion. Die jüngsten Entwicklungen zeigen eine stetige Bewegung in diese Richtung. In der wirtschaftlichen Produktion wird zunehmend auf digitale Technologien gesetzt, wodurch mehr und mehr Aufgaben durch Maschinen und Roboter übernommen werden. Dass sich dadurch auch der Arbeitsmarkt verändern wird, scheint offensichtlich. Ob allerdings zum Positiven oder zum Negativen, hängt auch von dem Staat und seiner Fähigkeit ab, seine Bevölkerung auf die industrielle Revolution vorzubereiten. Wie kann verhindert werden, dass eine digitalisierte Produktion mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in Rumänien, wo bereits in großem Stil im IT-Bereich gearbeitet wird, einhergeht?
Mögliche Antworten darauf sollte eine Podiumsdiskussion bieten, die in der vergangenen Woche von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Stiftung für eine Demokratische Linke in Bukarest organisiert wurde. Diskussionspartner waren Henning Meyer, Chefredakteur der „Social Europe“, Victor Negrescu, Präsident der Stiftung für eine Demokratische Linke, Varujan Pambuccian, Mitglied der Minderheitenfraktion in der Abgeordnetenkammer und Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Informations- und Kommunikationstechnologie, Radu Merica, Präsident der Deutsch-Rumänischen Industrie- und Handelskammer (AHK Rumänien), Dorin Pena, Generaldirektor von CISCO Romania, und Florentin Iancu, Präsident der Timisoara IT Trade Union (SITT).
„Tätigkeiten verschwinden nicht, Jobs verschwinden“, unterstrich Meyer in seinem Einstiegsvortrag. Am besten werde dies am Kassensystem deutlich, welches in US-amerikanischen Supermärkten inzwischen eingesetzt werde. Dort scanne der Kunde seine Lebensmittel selbst ein und bezahle anschließend am Automaten. Statt Kassenpersonal gebe es nur noch einen Mitarbeiter, der den Käufern bei Fragen oder Fehlfunktionen zur Seite stehe. Das bedeute zum einen, dass die Arbeitsplätze in Einkaufszentren massiv reduziert wurden, zum anderen aber auch, dass sich die Qualifikationen der neuen Arbeitsplätze geändert hätten. Erforderliche Kenntnisse über Kassenfunktionen seien durch nötiges Fachwissen für den Umgang mit digitaler Technik als Berufsvoraussetzung ersetzt worden. Für die Zukunft könne somit ein Anstieg der Anforderungen an Arbeitnehmer prognostiziert werden, wodurch für unqualifizierte Arbeitnehmer keine Jobs mehr existieren würden. Die Folge: Eine verringerte Kaufkraft. Eine höhere oder kostengünstigere Produktion wäre somit sinnlos, da die Nachfrage für die Waren sinken würde.
Wäre das Wirtschaftswachstum allerdings rückläufig, stünde die nächste Krise des kapitalistischen Systems schon vor der Tür. Die industrielle Revolution bietet also nicht nur Risiken für einzelne Personen, sondern kann auch für den freien Markt einen negativen Effekt haben. Wie kann das verhindert werden? Vorrangig sieht Meyer die Aufgabe der Regierung darin, neue Arbeitsstellen zu schaffen und die Schüler auf diese vorzubereiten. Dazu ist eine Reformierung des Schulsystems notwendig, denn fest stehe: Das Wissen für die Arbeitsstellen wird immer umfassender, da die einfachen Tätigkeiten von Robotern übernommen werden. Eine möglichst umfassende Qualifizierung wird folglich die beste Arbeitslosenversicherung sein. Dazu müsse aber auch das Angebot bestehen, sich in verschiedenen Bereichen weiterbilden zu können. Darin ist sich die Diskussionsgruppe weitgehend einig: Die richtige Bildung ist der Schlüssel zur Vermeidung einer Massenarbeitslosigkeit. Die Verantwortung der Regierung besteht also darin, diese bereitzustellen und zu gewährleisten.
Aber wie soll eine umfangreiche Bildung aussehen? Die Technik wird vermutlich immer schnelleren, größeren innovativen Schritten unterworfen sein. „Wird eine Arbeitsstelle, die heute noch sicher ist, das auch morgen noch sein?“, fragt Negrescu in den Raum. Die Debatte darf sich also nicht nur um das Hier und Jetzt drehen, sondern muss auch reflektieren, was sich in der Zukunft verändern wird. Eine lebenslange Bindung an einen Beruf wird nicht mehr möglich sein. Es wird die Notwendigkeit der Änderung, Umschulung und Bereitschaft zur Anpassung bestehen, wenn man der Arbeitslosigkeit entgehen will. Die Frage ist nur: Wie viel Flexibilität kann ein Mensch leisten? Eine Antwort gibt es vorerst nicht.
Der Abgeordnete Pambuccian sieht für eine solide Vorbereitung der künftigen Arbeitnehmer unterdessen den Schulsektor in der Pflicht: „Die Schule muss noch heute geändert werden, und der Staat hat sich aus der Organisation der Lehre zurückzuziehen!“ Zudem solle der Zugang zum gesamten Bildungssektor kostenfrei sein. Kritisch sieht er indessen den wachsenden Einfluss des Outsourcing-Sektors, also die Auslagerung von bisher in einem Unternehmen selbst erbrachten Leistungen an externe Auftragnehmer oder Dienstleister, auf den rumänischen Arbeitsmarkt: Dieser binde einerseits einen Teil des riesigen Potenzials im IT-Sektor, während er weder eigenen Nachwuchs schaffe noch zur Ausbildung und Qualifizierung beitrage. Zwar sei dieser Sektor auf Wachstumskurs, doch er fördere in keinster Weise die Aufwertung des Arbeitsmarktpotenzials in Rumänien.
Für Radu Merica löst dagegen eine stetige Innovationsbereitschaft künftige Probleme auf dem digitalisierten Arbeitsmarkt. „Kodak oder Agfa ging es mit ihrer Analogfotografie jahrelang ausgezeichnet. Es ging ihnen dermaßen gut, dass sie den Trend zur Erneuerung verpassten. Und wo sind sie heute?“, fragte er in die Runde. Zudem herrsche ein Entwicklungsrückstand in puncto Arbeitseffizienz. Statt unzeitgemäße Papierberge zu bearbeiten, könne sich etwa ein Steuerbeamter anderen, wichtigeren Aufgaben widmen. Effizienz, Innovation, Qualifikation – die Teilnehmer beleuchteten verschiedene Standpunkte, doch sie waren sich in der künftigen Hauptaufgabe der Regierung einig: In der Bildung liegt der erforderliche Schlüssel, um als Gesamtwirtschaft auf dem digitalisierten Arbeitsmarkt bestehen zu können. Henning Meyer: „Arbeit wird es immer noch geben, nur wird diese sich ändern“