Am Donnerstag, dem 29. Dezember, ist es endlich soweit: im kleinen Saal der Patria-Kinemathek werden zehn Schüler des Honterus-Lyzeums ein selbst verfasstes Theaterstück zum Thema „Geschichte der Siebenbürger Sachsen“ vorstellen. Für dieses Projekt arbeiten sie seit Mai dieses Jahres. Das Stück haben die Schüler nach einer ausführlichen Dokumentationsarbeit im Honterus-Archiv, nach Gesprächen mit Historikern, Zeitzeugen, einfachen Leuten und einer Serie von Workshops, alles unter der Koordination von Petra Antonia Binder, erarbeitet. Dabei haben sie ihre Inspiration auch aus dem Alltag genommen: entweder stammen sie aus Familien mit multikulturellem Hintergrund oder kennen jemanden, der aus einer solchen Familie kommt. Das Theaterstück „Spiegel der Zeit“ wird um 19 Uhr in einer szenischen Lesung vorgestellt. Danach wird es ein Publikumsgespräch geben. Das Projekt des Deutschen Jugendforums wird vom Institut für Auslandsbeziehungen (Ifa) unterstützt.
Dokumentartheater soll zum Denken anregen
In letzter Zeit kann man auf vielen Bühnen im In- und Ausland Theaterstücke sehen, die von wahren Fakten handeln. In einem dokumentarischen Theaterstück werden historische oder aktuelle politische oder soziale Ereignisse behandelt. Als Quellen fungieren oft Berichte, Bücher, Filme, Zeitungen Dokumente und Interviews. Obwohl dabei authentisches Material übernommen und in der Regel unverändert wiedergegeben wird, handelt es sich um eine fiktionale Kunstform. Die schöpferische Leistung der Autoren des dokumentarischen Theaters besteht in der Komposition des Roh-Stoffes und in der Konzentration aufs Wesentliche. Das Ziel eines dokumentarischen Theaterstückes ist, das Publikum über weniger bekannte oder diskutierte Fakten zu informieren und es zum Denken anzuregen. Anhand von Informationen, die sie einige Monate lang gesammelt haben, haben 11 Schüler der Honterus-Lyzeums zusammen ein Theaterstück geschrieben und es eingeprobt. Besonders in der Recherche-Phase sind den Schülern verschiedene Aspekte klar geworden, von denen sie vorher nichts wussten. Im Unterricht haben sie viel zu wenig über die Siebenbürger Sachsen gelernt. Doch nicht nur sie werden von dem Gelernten profitieren, sondern auch ihre Kollegen im Publikum. Die Arbeit der Schüler erfolgte in drei Etappen. Die erste Etappe, die Dokumentations- und Forschungsarbeit, wurde im Sommer beendet. Die Schüler haben anhand von Geschichtsbüchern und Interviews mit Angehörigen der deutschen Minderheit interessante Fakten über die Geschichte der Siebenbürger Sachsen von 1870 bis heute erfahren.
Über viele Aspekte wird nicht unterrichtet
„Manche haben über die Magyarisierung der Siebenbürger Sachsen gelesen, andere über die Rechte der Sachsen als Minderheit oder über die Deportation. Von allen diesen Themen wussten sie gar nichts oder sehr wenig. Auch über die Geschichte der Honterusschule wussten sie kaum etwas. Über viele der wichtigen Themen lernt man auch in der Schule nichts“, meint die Projektleiterin Petra Antonia Binder. In ihrer Dokumentation haben die Schüler auch ältere Familienfotografien, Karten und Statistiken über den Bevölkerungswandel verwendet. Dazu kamen Bräuche und Traditionen, Lieder, Zeitungsartikel, Gedichte und auch Küchenrezepte. Im Rahmen der zweiten Etappe, „Film und Media“, haben die Schüler verschiedene Dörfer in Siebenbürgen besucht und gefilmt. Dann folgten Interviews mit Angehörigen der deutschen Minderheit und der Besuch bei verschiedenen Festen (Sachsentreffen in Sächisch-Regen, Bartholomäusfest, Fest der Honterusgemeinde). Ende Oktober wurde mit dem Schreiben des Stückes angefangen. Parallel dazu gab es Schauspiel- und Schreibworkshops, Filmabende und Diskussionsrunden. Am Ende wurden die Teilnehmer in drei Gruppen aufgeteilt.
Spannende Themen
„Jede der drei Gruppen, bestehend aus drei bis vier Teilnehmern, hat sich ein Thema ausgewählt. Das war nicht sehr einfach, da sich alle Schüler in Rahmen einer Gruppe während der Dokumentationsarbeit mit verschiedenen Zeitspannen in der Geschichte der Siebenbürger Sachsen beschäftigt haben. Nachdem sie sich auf eine Idee geeinigt haben, hat jeder Teilnehmer eine Person für das Theaterstück erfunden. So sind drei Mini-Theaterstücke entstanden“, erzählt Antonia Binder. Die Themen, mit denen sich die drei Stücke beschäftigen, sind spannend. Aus dem ersten Theaterstück könnte ein Filmdrehbuch werden. Es erzählt die Geschichte von zwei guten Freunden aus Siebenbürgen, 17 und 18 Jahre alt, die im zweiten Weltkrieg gegeneinander kämpfen müssen – der eine dient der deutschen Wehrmacht, der andere kämpft in der rumänischen Armee. „Die Idee ist, dass wir nichts gegen die Geschichte tun können“, meint Antonia. Die Autoren des zweiten Stückes haben sich gefragt, wie es wäre, durch die Zeit zu reisen. Die Geschichte handelt von einer jungen Siebenbürger Sächsin, die in die Vergangenheit reist. Dabei erlebt sie die Deportation Anfang 1945 und die Auswanderung vor 1990. Im dritten Theaterstück geht es um vier Jugendliche, die in der Honterusschule lernen. „Zwei davon sind Rumänen, aber sehr aktiv in der deutschen Gemeinde und auch evangelisch konfirmiert. Einer kommt aus einer siebenbürgisch-sächsischen Familie, die nach mehreren Jahren in Deutschland nach Rumänien zurückgekehrt ist. Und bei der vierten Person handelt es sich um ein Mädchen mit siebenbürgisch-sächsischen Wurzeln, die von einer rumänischen Familie adoptiert wurde und das nicht sehr viel von der Kultur ihrer Vorfahren mitbekommen hat. In diesem Stück haben die Autoren ihre persönlichen Erfahrungen geschildert“, erklärt Antonia.
Publikumsgespräch nach der Lesung
Als letzte Phase des Projektes wird sie alle drei Geschichten zu einem einzigen Theaterstück umschreiben. Zehn der elf Autoren werden am 29. Dezember auf der Bühne stehen und aus dem Stück lesen. Die Lesung wird von Videomaterial begleitet, das die Schüler während der Dokumentationsetappe gedreht haben. „Wir wünschen uns, dass es nach der Lesung ein Publikumsgespräch gibt. Sicher wird der eine oder andere Fragen zum Stück haben, zu der Art und Weise, wie es entstanden ist oder zur Geschichte“. Für das Jahr 2017 haben die Autoren des Stückes und ihre Koordinatorin große Pläne. Sie wollen das Stück als richtige Aufführung auf die Bühne bringen und damit durch Siebenbürgen touren. „In einigen Jahren wird es die 100%-igen Siebenbürger Sachsen nicht mehr geben. Viele Sachen gehen während der Jahre verloren, aber einige muss man retten. Das versuchen wir mit unserem Projekt“.
Das Theaterstück „Spiegel der Zeit“ wurde verfasst von: Petra Antonia Binder, Diana Alexe, Teodora Banu, Ana Badea Caliţoiu, Alexandra Ciolan, Andra Gorun, Maria Ivănescu, Ana Lăcătuş, Andreea Maria Oroş, Ioana Paul, Emilia Sandu, Bianca Stăncescu. Auf der Bühne werden auftreten: Diana Alexe, Teodora Banu, Ana Badea Caliţoiu, Alina Cucu, Andra Gorun, Maria Ivănescu, Andreea Maria Oroş, Emilia Sandu, Bianca Stăncescu.
Video: Emilia Sandu, Ana Lăcătuş, Bianca Stăncescu, Ioana Paul.
Elise Wilk