Nur ein paar wenige Blätter hängen noch an dem großen Baum, der die 28 kleinen Besucher des evangelischen Kindergartens zu ihrem täglichen „Morgenkreis“ begrüßt. Was auf den ersten Blick etwas kahl erscheinen mag, ist Teil des pädagogischen Konzepts: Der Baum wird je nach Jahreszeit thematisch geschmückt, und jetzt ist eben Spätherbst. Das bedeutet nicht nur ganz profan, dass die Blätter fallen – sondern, dass sich auch die Kindergartengruppe spielerisch auf den Übergang zum Winter vorbereitet.
Das vertraute und bei den Kindern beliebte Begrüßungsritual markiert den Start in den gemeinsamen Tag: Im „Morgenkreis“ werden Lieder zum Wachwerden gesungen, und es wird das gerade aktuelle Thema vorgestellt – ein bestimmtes Fest zum Beispiel, oder ein Tier, mit dem man sich heute beschäftigen will. So haben die Kinder gleich zu Tagesbeginn die Möglichkeit, reihum ein paar Sätze Deutsch zu sprechen. Die erste Fremdsprache also, und das im Alter von zwei bis sechs Jahren? – Heute schon eher die Regel als die Ausnahme.
Tatkräftige Unterstützung aus Baden
„Das ist schon so ein Trend, sein Kind in deutsche und englische Kindergärten zu schicken“, meint auch Dorothee Daab aus Mosbach/Baden. Die 18-Jährige ist für ein ganzes Jahr nach Kronstadt gekommen, um ihren Freiwilligen Ökumenischen Friedensdienst (FÖF) in der hiesigen Honterusgemeinde abzuleisten. Vorher hatte sie bereits ein Praktikum in einem deutschen Kindergarten absolviert.
In Rumänien gehe es im Vergleich zu Deutschland schon viel früher um eine strukturierte Förderung und spielerische Vorbereitung auf die Schule, so die Beobachtung der jungen Abiturientin. Das habe ihrer Ansicht nach nicht ausschließlich mit einer ehrgeizigen Zukunftsplanung der Eltern, sondern auch mit der Wissbegierde der Kinder selbst zu tun. Im Morgenkreis zum Beispiel werde das Zählen auf Rumänisch, Deutsch und Englisch geübt; viele Kinder würden aber auch noch andere Sprachen dazu lernen wollen. Das stellt die Erzieherinnen manchmal vor Probleme – zum Beispiel, wenn gerade einmal keiner auf Portugiesisch zählen kann... diese Sprache hätte übrigens auch Dorothee im Rahmen ihres FÖF ohne Weiteres lernen können, denn es standen Stellen in Portugal, Costa Rica, Nicaragua, Uruguay, Argentinien, Italien, Israel und eben Rumänien zur Auswahl.
„Ich muss gestehen, ich habe Rumänien jetzt erst einmal nicht als so ein mega-interessantes Land wahrgenommen“, erzählt sie. „Aber dann habe ich mich natürlich damit beschäftigt, und das Interesse stellte sich ein.“ Nach einem Vorbereitungsseminar in Hermannstadt mit den fünf anderen deutschen Freiwilligen im Land hatte sie sich also ganz alleine in den Zug nach Kronstadt gesetzt, wo sie von ihren zukünftigen Kolleginnen schon gespannt erwartet wurde.
Heute hat sich Dorothee schon gut eingelebt und genießt die Vorzüge ihrer ersten eigenen Wohnung in unmittelbarer Nähe der Schwarzen Kirche. Noch spricht sie zwar kein flüssiges Rumänisch, doch das soll noch kommen – und die für die Arbeit mit den Kindern wichtigsten Ausdrücke hat sie sowieso schon längst alle verinnerlicht.
Zwischen Puppenstube und Dreigang-Menü
Nach dem gemeinsamen Morgenritual und Frühstück dürfen die Kleinen in den großzügigen, hellen Räumen des Kindergartens in eigener Regie spielen oder basteln. Thematische Ecken laden zum Bilderbücherschauen, Bauklötze bauen oder in die Puppenstube ein. Viele der Spiele, Bücher, Möbel und auch ein großes Puppentheater sind Spenden aus der Gemeinde und aus Deutschland. An manchen Tagen gibt es sogar noch ein Vormittagszusatzprogramm: Montags kommt die Ärztin Dr. Andrea Hampel-Binder zum Turnen oder zu Untersuchungen vorbei, außerdem unternehmen die Kinder mit den Erzieherinnen Diana Marcu und Noemi Biro sowie der Kinderpflegerin Monica Barbu regelmäßige Ausflüge, z.B. zum herbstlichen Blättersammeln oder zu Sehenswürdigkeiten wie dem Schwarzen Turm.
Bei gutem Wetter wird auch im schönen Innenhof gespielt, und im Gebäude gegenüber kann sogar selbst gekocht werden. Was diesen Punkt angeht, verdreht Kindergartenleiterin Ingrid Arvay scherzhaft die Augen: Das sei schon immer eine ganz schöne Aktion, allen Kindern für den kurzen Weg die Schuhe anzuziehen. Doch der Einsatz werde eben mit lecker selbst Gekochtem belohnt, deswegen wolle man die Möglichkeit in Zukunft auch öfter nutzen.
Gut versorgt ist die Gruppe bis dahin in jedem Fall. Mittags liefert ein Catering-Service ein kindgerechtes Dreigang-Menü: Suppe, Hauptgericht und Dessert. „Uns ist als Nachtisch natürlich immer Obst am liebsten“, lacht Dorothee. „Und den Kindern der Kuchen!“
Früh übt sich – in Fremdsprachen und Toleranz
Grundsätzlich wird, auch in solchen Alltagssituationen wie beim Essen, mit den Kleinen immer zuerst Deutsch gesprochen; nur, wenn nicht alle Kinder verstehen, was gemeint ist, wird das Ganze noch einmal auf Rumänisch wiederholt.Und nach dem Mittagessen stehen auch schon die ersten Eltern wieder vor Tür: von 8 bis 12.30 Uhr geht der „kurze Tag“ im Kindergarten, die „Nachmittagskinder“ werden gegen 16 Uhr wieder abgeholt.
Die intensive Betreuung und Förderung im evangelischen Kindergarten hat durchaus ihren Preis: 600 bzw. 800 Lei zahlen Eltern für einen kurzen bzw. langen Tag inklusive der Mahlzeiten. Das ist eine Summe, die längst nicht für jede Familie leicht aufzubringen ist. Mitglieder der Honterusgemeinde haben allerdings die Möglichkeit, einen Antrag auf Kostenverminderung an das Presbyterium zu stellen. Auch gibt es zwei Freiplätze, die derzeit durch ein Zwillingspärchen belegt sind, das ohne Eltern aufwächst.
Der Kindergarten wird von ungarisch-, deutsch- und rumänischstämmigen Kindern besucht, „also eine bunte Mischung“, fasst Arvay zusammen. So üben sich die Kleinen nebenbei auch noch spielerisch in Toleranz.
Die neuere Geschichte der Einrichtung, so erzählt ihre Leiterin, hat mit dem Rückerstattungsprozess begonnen: Die evangelische Honterusgemeinde erhielt die Räumlichkeiten nach der Enteignung wieder zugesprochen, und vor drei Jahren erst wurde dort mit sieben kleinen Besuchern der Kindergartenbetrieb aufgenommen. In der Kirchengemeinde selbst gibt es jetzt wieder einige junge Familien mit Kindern – oftmals gemischt sowohl in konfessioneller als auch ethnischer Hinsicht – sodass ein Bedarf vorhanden ist. Aber auch andere Eltern, die vom guten Ruf der Einrichtung und dessen Deutsch-Ausrichtung angesprochen wurden, geben ihre Kinder gerne dort in Obhut. Noch sei es ein mutiges Experiment mit vielen Quereinsteigern, berichtet Arvay, die sich selbst nach diversen Projekt-Erfahrungen als „Balkan-Tausendsassa“ bezeichnet.
Reine Glaubensfrage
Manchmal seien die Eltern zurückhaltend, was die konfessionelle Ausrichtung des Kindergartens betrifft: „Es soll ein evangelischer Kindergarten sein, natürlich mit einem christlichen Hintergrund und der Einbindung in Gemeindeaktivitäten, ohne aber die Eltern damit zu überfordern.“ Zum Konzept der Einrichtung gehört es, kirchliche Hochfeste nicht als Extra-Kindergartenfeste zu feiern, sondern die Eltern dazu in die Gemeinde einzuladen. Und das bereits mit gutem Erfolg: Ganze 19 Familien waren vor Kurzem zum Martinssingen in die Blumenau-Kirche gekommen. Das heiße natürlich nicht, dass die Familien nun evangelisch werden müssten; die Teilnahme sei selbstverständlich nicht verpflichtend. „Es geht um eine Heranführung, eine Kontaktaufnahme; und es ist eine Möglichkeit für die Eltern, etwas Andersartiges kennenzulernen. Vielleicht macht das unser Zusammenleben in der Zukunft besser, das ist der Hintergrund“, erklärt die Leiterin.
Auch im Kindergarten selbst wird ein natürlicher Umgang mit dem Glauben angestrebt. Als nächste Veranstaltung steht das Krippenspiel an, womit man ein wenig dem kommerziellen Gedanken des Weihnachtsfestes entgegenwirken wolle. Nach den langen Jahrzehnten des Kommunismus sei die Einstellung zur Kirche insgesamt schwierig; viele Eltern wüssten noch nicht, wie sie mit dem Thema umgehen sollen. „Als Europäer ist man ja gern ein bisschen New Age, oder ein bisschen buddhistisch...“, lächelt Arvay. Am wichtigsten sei es, zu sich selbst und den Kindern auch in punkto Glaubensfragen immer ehrlich zu sein.
Solide Zukunftsplanung
Im Endeffekt, so fasst Arvay bescheiden zusammen, sei ihr Kindergarten nichts Besonderes – und das solle er auch gar nicht sein. Im Gegenteil: „Wir versuchen, in der Tradition der deutschen Gemeinde auch die Anbindung an gemischt-konfessionelle Familien herzustellen und einen ganz einfachen Kindergarten zu betreiben – ohne Tango, ohne Karate, ohne Spektakel oder was weiß ich alles, sondern ganz solide.“
Was vielleicht eine kleine Besonderheit darstellt, ist der nächste Planungsschritt: Es wurde eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aus dem Presbyterium, dem Kindergarten, den Eltern und der Gemeinde gegründet. Somit erhält jede der Parteien in dieser AG, die weiter am Konzept des Kindergartens arbeiten und für sämtliche auftretenden Probleme erster Ansprechpartner sein soll, ein basisdemokratisches Mitspracherecht.
Das Team des Kindergartens schaut nicht nur hoffnungsfroh in die Zukunft – auch greift es immer wieder gerne auf erprobte Tipps und Tricks aus der Vergangenheit zurück. Denn bei Renovierungsarbeiten war auf dem Dachboden des Gebäudes Erziehungsliteratur von antiquarischem Wert entdeckt worden, die wohl bereits die Vorgängerinnen von Ingrid Arvay und ihren Kolleginnen inspirierte: Das „Hilfsbüchlein zur Heranbildung von Leiterinnen für Sommerbewahranstalten“ aus dem Jahre 1918 zum Beispiel. Sicher gibt es noch einiges aus der langen Tradition des evangelischen Kindergartens zu entdecken – dessen Geschichte in Kronstadt gerade um ein weiteres Kapitel fortgeschrieben wird.