Sprachaktivistin ohne Grenzen

Daniela Boltres: Ob Odachlose, Roma oder Migranten, ihr Herz hat immer für die soziale Problematik geschlagen

Daniela Boltres: „Manchmal brauch ich meine ‘Siebenbürgeninfusion’, doch dann fehlt mir auch immer wieder Berlin.“

Während der Fahrt nach Chișinău mit dem Hilfskonvoi | Fotos: Sophie Reuter

„Ich muss von Berlin nach Brüssel. Bleibe unterwegs in Hermannstadt stehen und werde in Bukarest noch manches erledigen.“ Für wen die geografischen Koordinaten gerade durcheinandergekommen sind, der kennt Daniela Boltres noch nicht. Für die, die sie schon kennen, ist es das natürlichste der Welt, dass der Boltressche Kompass die Welt anders versteht, als diese auf der Landkarte festgehalten ist. 
Fragt man sie nach ihrer Abstammung sagt Daniela: „Ich bin teils Sächsin, teils Rumänin, teils Polin und habe auch noch österreichische Vorfahren. Ich bin in der deutschsprachigen Minderheit in Rumänien aufgewachsen, und meine Muttersprache ist Siebenbürgisch-Sächsisch. Vom Glauben her finden sich bei mir lutherische, orthodoxe, katholische und jüdische Prägungen wieder.“ Und diese Vielfalt merkt man ihr auch an. Mit den Kopfhörern auf den Ohren, den farbenfrohen Kleidern, dem Rucksack am Rücken, ist Daniela überall wie zu Hause.  


Die gebürtige Bukaresterin, die in Zeiden/Codlea aufgewachsen ist, lebt zur-zeit in Berlin. Hier arbeitet sie als ehrenamtliches Vorstandsmitglied in der Betreuung von Obdachlosen für Karuna – die Sozialgenossenschaft mit Familiensinn und hauptamtlich in der Integration von Roma aus Osteuropa für das Evangelische Jugend- und Förderwerk. Ihr Herz hat immer für die soziale Problematik geschlagen. Ihre Einsatzbereiche reichen von der Gewerkschaftstätigkeit bis hin zu der freiwilligen Unterstützung von Migranten oder dem Einsatz für den Erhalt des siebenbürgischen Kulturerbes. Aus ihrer Zeit als Gewerkschaftsaktivistin erzählt Daniela: „Wir haben es damals geschafft, den Einzelhandel zu einem fairen Verhalten gegenüber den vorwiegend weiblichen Angestellten, aber auch gegenüber den lokalen Produzenten zu bewegen, und die Folgen sieht man bis heute noch, auch wenn wir nicht allen helfen konnten“. Nachhaltige Nahrungsversorgung und fairer Handel sind zwei ihrer Steckenpferde.  

Wenn man sie unterwegs trifft, hat sie immer ihren Rucksack mit Laptop und Unterlagen dabei, denn es könnte ja sein, dass sich eine freie Minute ergibt, in der man noch etwas machen könnte. Für Daniela Boltres wird Zivilgesellschaft und zivilgesellschaftliche Verantwortung mit großen, leuchtenden Buchstaben geschrieben. Ein Tag, an dem sie nicht etwas für eines der Projekte tut, in denen sie mitwirkt, ist für sie unvorstellbar. Sie gehört in die Kategorie Menschen, bei denen man sich fragen muss, ob die 24 Stunden eines Tages auch nur 1440 Minuten dauern.

Als im Februar 2022 der Ukraine-Krieg begann, wusste sie, es wird an allen Ecken und Enden Hilfe brauchen. Sofort war sie in ihren Netzwerken in Rumänien, der Republik Moldau und Deutschland aktiv und begann, Geflüchtete und Organisationen zu verknüpfen. Für Einrichtungen in Chișinău, Temeswar und Cernowitz organisierte sie mit Mitstreitern Spendenaktionen. Am Bahnhof in Berlin koordinierte sie mit einem Team die Planung von Freiwilligen, die den Ankommenden halfen. Sie organisierte Hilfstransporte in die Republik Moldawien und in die Ukraine, die sie auch selbstverständlich begleiten wollte. „Wir waren auf dem Weg nach Odessa. Wir wollten die Hilfsgüter bis zum Endziel liefern, was dann aber leider doch nicht möglich war, da die ersten Bomben über Odessa fielen“ erzählt Daniela. Zurzeit entwickelt sie zusammen mit ihrem Geschäftspartner im Rahmen des Vereins „Elysion“ i. G. aus Berlin Konzepte, die Wissenstransfer zwischen West- und Osteuropa bzw. Europa und dem Nahen Osten realisieren.  Ab Februar 2023 sollen dort Fortbildungen für medizinisches Fachpersonal im Bereich Onkologie, sowie im Bereich Migration für das Personal von Flüchtlingseinrichtungen organisiert werden. 

Da sie selber nicht in ihrem Heimatland lebt, hat sie ein Herz für Migranten. Seit ihrer Zeit in Rostock organisiert Daniela Boltres zusammen mit Migranten unter anderem Schreibwerkstätten. Mittels von Migranten geschriebenen Gedichten zu Themen wie: Heimat, Fremde, Tod, Liebe usw. versucht sie, eine Brücke zwischen Einheimischen und Migranten zu schlagen. Daraus entstand die Ausstellung: „Wer versteht das schon?“. Zweisprachig, in der Originalsprache und auf Deutsch, wurden die von den Migranten geschriebenen Gedichte auf Lastkraftwagenplanen abgedruckt. Die Planen stellen symbolisch den Weg, den diese Menschen zurücklegen mussten, dar. Die Ausstellung wurde auch in Rumänien (Hermannstadt/Sibiu, Zeiden/Codlea und Temeswar/Timișoara) gezeigt. Die Ausstellung selber bleibt ein „work-in-progress“ Projekt, denn Daniela lässt sich gerne Gedichte in den verschiedensten Sprachen schenken, die sie dann mit der Zeit in das Projekt einbaut.  

Mehrsprachige Erzähl- und Schreibwerkstätten für Menschen jeglicher Herkunft gehören zu den Lieblingstätigkeiten Danielas. Sie organisiert und führt diese für unterschiedliche Einrichtungen durch, sei es aus dem zivilgesellschaftlichen oder kirchlichen Bereich. Dabei geht es ihr in erster Linie nicht um die literarische Qualität der Produkte, sondern sie versucht, den Teilnehmern zu helfen, einschneidende Erlebnisse aus der eigenen Biographie auf dem Hintergrund erlebter Zeitgeschichte zu verarbeiten. Sie versteht die erzählerische oder schriftliche Auseinandersetzung mit erlebter Geschichte als soziale Kunst, denn sie definiert sich selber als „Sprachaktivistin“.  Dabei wird sie von einem Spruch ihres Großvaters geleitet: „Versuch, die Sprache der Menschen zu sprechen, und du wirst einen Weg zu ihren Herzen finden.“

Die zentrale Rolle der Sprache in ihrem Leben kann man auch der Tatsache entnehmen, dass Daniela Boltres die sprachlichen Barrieren als Chance versteht und versucht, dort Brücken zu bauen, wo diese nicht vorhanden oder eingestürzt sind: „Das beschäftigt mich darum auch noch einmal anders: die Möglichkeiten, jemanden auszugrenzen und ins – innere oder äußere – Exil zu treiben, scheinen unendlich vielfältig zu sein. Da haben wir Menschen sehr viel zerstörerische Phantasie! Menschen in diesem nicht selbst gewählten, ungefestigten Zustand zu begleiten oder gar zu unterstützen, erscheint mir wiederum die plausibelste Sache der Welt zu sein. Da ist Sprache sehr hilfreich.“

Dass ihr Engagement auch eine politische Komponente hat, liegt auf der Hand. Wer sich von Daniela durch Berlin führen lässt, steigt sofort in die aktuellsten Debatten um Wohnungssicherheit, urbanen Umweltschutz, Gendergerechtigkeit usw. ein. In dem regen, farbenfrohen, ethnisch durchmischten und nie stillstehenden Berlin fühlt sie sich wie ein Fisch im Wasser. „Berlin ist meine Stadt. Hier fühle ich mich zu Hause. Zugegeben, manchmal brauch ich meine „Siebenbürgeninfusion“, doch dann fehlt mir auch immer wieder Berlin.“ Politisch aktiv ist Daniela Boltres auch in der rumänischen Diaspora (z. B. in der „Rețeaua de solidaritate“), so war es ein Natürliches, dass sie Anfang Dezember Mitglied einer Delegation der rumänischen Zivilgesellschaft war, die in Brüssel mit Europaabgeordneten ein Gespräch über den Rechtsstaat in Rumänien führte.  

Daniela ist viel unterwegs. Am liebsten reist sie mit der Bahn. Die Vielfalt der Mitreisenden, die Landschaftserfahrung und die Muße, ungestört zu arbeiten, gehören für sie zum Wohlgefühl, „dieses kann man nur im Zug erleben.“   

Manchmal aber bleibt Daniela Boltres auch stehen. Die Einzigen, die sie zum Stillstand bringen können, sind die Poesie und die Literatur. Überhaupt in der Poesie bleibt sie der rumänischen Sprache verbunden. Sie kennt mehrere rumänische zeitgenössische Dichter persönlich und befindet sich im regelmäßigen Austausch mit ihnen. Daher ist es keine wirkliche Überraschung, wenn man von ihr, via Berlin, Informationen über Neuerscheinungen in Rumänien erhält. 

Würde man sich ein Europa ohne Grenzen vorstellen wollen, dann muss man sich nur ansehen, wie Daniela mit Grenzen umgeht: Es gibt sie einfach nicht. Sie zieht sie nicht neu, nein, durch ihre Art, zu denken und zu handeln, hebt sie diese einfach auf.