Seit Januar dieses Jahres ist Sebastian Metz Geschäftsführer der Deutsch-Rumänischen Industrie- und Handelskammer (AHK). In einem Interview spricht er u. a. über die zukünftigen Schwerpunkte der Kammer, über bekannte und weniger bekannte Wirtschafts- und Geschäftspotenziale Rumäniens und nicht zuletzt über Berufsausbildung. Mit Sebastian Metz sprach Markus Kleininger.
Herr Metz, die deutsche Wirtschaft boomt nach wie vor, in Rumänien haben wir einen erneuten Abschwung im ersten Quartal von 0,1 Prozent. Woran liegt es?
Ja, Sie haben recht, der deutschen Wirtschaft geht es weiterhin gut. Die offiziellen Stellen prognostizieren 0,7 bis 1,0 Prozent Wirtschaftswachstum für 2012. Obwohl wir einen kleinen Dämpfer im Schlussquartal (Q4) 2011 von -0,2 Prozent hatten, stieg das BIP für Q1 2012 bereinigt um 0,5 Prozent gegenüber dem Vorquartal – überwiegend getragen durch eine weiterhin gute Exportentwicklung. Aber es gibt sicherlich auch ein paar dunkle Wolken am Horizont. Die Schuldenkrise in der Euro-Zone; die Entwicklungen auf dem wichtigsten Absatzmarkt für Deutschland aber auch für Rumänien werden entscheidend die weitere Wirtschaftsentwicklung beeinflussen. Des Weiteren kann sich Deutschland wie auch Rumänien nicht von der weltweiten Wirtschaftsentwicklung abkoppeln. Es bleibt interessant zu sehen, ob die Schwellenländer – allen voran die sogenannten BRIC-Staaten – ihren hohen Wachstumskurs aufrecht halten können. Auch hier werden beide Länder, Deutschland und Rumänien, sich dem allgemeinen Trend kaum entziehen können – Rumänien spürt diese Entwicklung vielleicht etwas zeitlich verzögert. Gut gerüstet sind aber und werden auch in Zukunft immer die Länder sein, die erforderliche Strukturreformen umsetzen wie zum Beispiel Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, Anpassung der Sozialsysteme und eine disziplinierte öffentliche Haushaltsführung. Es kommt hierbei natürlich immer auf das Timing und die Art und Weise der Umsetzung der Maßnahmen an.
Um auf Ihre Eingangsfrage zurückzukommen. Ja, wir konnten eine leichte Abkühlung der rumänischen Wirtschaft beobachten – nach einem sehr erfreulichem Jahr 2011 mit 2,5 Prozent Wirtschaftswachstum. Die offiziellen Statistiken geben das Wachstum in Q4 2011 und Q1 2012 mit -0,2 bzw. -0,1 Prozent gegenüber dem jeweiligen Vorquartal an. Sprich technisch gesehen, liegt hier eine kleine Mini-Rezession vor. Aber die Prognosen für Q2 2012 sehen schon wieder positiver aus. Ich sehe für das ganze Jahr 2012 zuversichtlich in die Zukunft, auch vor dem Hintergrund der guten Entwicklung in Deutschland, der wichtigste Absatzmarkt für Rumänien und einer der wichtigsten ausländischen Investoren in Rumänien. Die offiziellen Prognosen liegen bei rund 1,5 Prozent Wachstum für 2012. Dieses Jahr ist aber schon durch eine gewisse Unsicherheit gekennzeichnet; einerseits durch die genannte Euro-Schuldenkrise und den sich daraus ergebenen teilweise stark abkühlenden Exportmärkten für Rumänien, andererseits haben wir für 2012 zwei wichtige politische Ereignisse, die Kommunal- und Parlamentswahlen, im Juni und November dieses Jahres. Es verhält sich halt immer so: Ein geringeres Maß an Planungssicherheit geht zu Lasten der Investitionsbereitschaft der Privatwirtschaft und des Konsumverhaltens der Bevölkerung.
Deutschland ist Rumäniens wichtigster Handelspartner. Was kann die Deutsch-Rumänische Industrie- und Auslandshandelskammer konkret leisten?
Die AHK Rumänien vertritt die Interessen ihrer Mitglieder, das heißt sowohl rumänischer wie auch deutscher Unternehmen. Des Weiteren sind wir vom deutschen Wirtschaftsministerium (BMWi) beauftragt, die Interessen der deutschen Wirtschaft in Rumänien zu vertreten. Wir sind eine bilaterale Handelskammer, daher lege ich auch sehr viel Wert darauf, dass wir auch rumänische Interessen in Deutschland partnerschaftlich mit rumänischen Institutionen an die jeweiligen Stellen adressieren.
Wir unterstützen deutsche und rumänische Unternehmen beim Markteintritt in Rumänien bzw. Deutschland. Das beginnt bei der einfachen Adressenrecherche und geht bis zu Geschäftspartnersuchen bzw. -vermittlungen, Marktstudien und der Organisation von Delegationsreisen. In den Bereichen Investorenberatung und Personalsuche begleiten wir hauptsächlich deutsche Unternehmen, die in Rumänien investieren wollen, aber übernehmen auch die Erst-Beratung von rumänischen Unternehmen, die in Deutschland investieren wollen. Es ist interessant, zu sehen, dass rumänische Unternehmen zunehmend über die nationalen Grenzen hinausschauen und den Sprung ins Ausland wagen.
Außerdem vertritt die AHK Rumänien die Messen Hannover und Berlin sowie die Spielwarenmesse in Nürnberg und die Expo Real, die Internationale Immobilienmesse der Messe München. Durch unsere Messevertretungen bieten wir rumänischen Unternehmen die Gelegenheit, international führende deutsche Messen zu besuchen, um dort geeignete Geschäftspartner zu treffen. In diesem Rahmen betreuen wir auch rumänische Aussteller bzw. organisieren Gemeinschaftsstände.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich auch unsere Kompetenz im Bereich der Umwelttechnologie nennen. Wir haben unsere gesamten Aktivitäten in diesem Bereich in unserer GreenTech-Plattform „econet romania“ gebündelt. Für die deutsche und rumänische Umweltbranche verfügen wir über ein hervorragendes Netzwerk und abgestimmte und hochwertige Dienstleistungspakete. Außerdem stellen wir umfassende Wirtschaftsinformationen auf Deutsch, Rumänisch und Englisch über die Umweltbranche in den beiden Ländern im Internet unter www.econet-romania.com zur Verfügung.
In der Vergangenheit haben sich mehrere Messevertretungen selbstständig gemacht. Planen Sie, die wieder ins Boot zu holen?
Wir sind jederzeit offen, die Kammer als guten Partner für deutsche Messegesellschaften hier in Rumänien anzubieten. Es gibt noch Messeunternehmen, die noch nicht hier in Rumänien präsent sind. Da muss man sehen, welche Messen hier Marktpotenzial haben und welche nicht. Grundsätzlich sind wir jederzeit offen für Messegesellschaften, die wir früher hier vertreten haben. Wenn die denken, dass die AHK Rumänien wieder ein guter Partner ist, dann sind wir diesen Messegesellschaften gegenüber sehr offen.
In Ihrer Antrittsrede beim Neujahrsempfang der AHK sprachen Sie über nicht so bekannte Wirtschafts- und Geschäftspotenziale Rumäniens. Welches sind diese?
Ja, das stimmt. Generell gibt es noch viel zu tun, um Rumänien besser in Deutschland als attraktiven Investitionsstandort und Absatzmarkt mit beeindruckendem Geschäftspotenzial in Südosteuropa bekannt zu machen. Die Vermarktung Rumäniens in Deutschland ist meines Erachtens noch zu schwach. Gegenüber deutschen Unternehmen steht Rumänien in weltweiter Konkurrenz mit anderen Standorten.
Traditionell sehr stark vertreten in Rumänien sind die deutsche Automobilzulieferindustrie, der deutsche Einzelhandel und die Bauwirtschaft sowie vom Handel her die gesamte Maschinen- und Ausrüstungsgüterindustrie und die chemische und pharmazeutische Industrie.
Zu den Sektoren, die meiner Meinung nach für die Zukunft noch ein enormes Entwicklungs- und damit Geschäftspotenzial haben, gehören unter anderem die Umweltbranche insbesondere der Bereich der Erneuerbaren Energien, wo wir derzeit einen richtigen Boom erkennen können, die Land- und Ernährungswirtschaft, wo Rumänien allein schon auf Grund der Fläche und der Bodenqualität über einen natürlichen Standortvorteil verfügt, und die Gesundheitswirtschaft, die als einer der Grundbedürfnisse automatisch bei steigendem Einkommen einer wachsenden Nachfrage gegenübersteht.
Ich möchte Sie bei dieser Gelegenheit noch auf eine andere Entwicklung aufmerksam machen. Deutsche Investitionen werden nicht mehr nur als sogenannte „Verlängerte Werkbank“-Investition getätigt, sondern deutsche Unternehmen bauen zunehmend ihre Aktivitäten im Bereich Forschung und Entwicklung aus. Aber hier muss noch viel getan werden seitens der rumänischen Verwaltungen, um die Rahmenbedingungen für diese Tätigkeiten zu verbessern; an dieser Stelle möchte ich auf das Bildungssystem und eine Verbesserung des rechtlichen Rahmens zum Schutz des geistigen Eigentums verweisen.
Sie sind seit Januar dieses Jahres Geschäftsführer der AHK Rumänien. Welches werden die neuen Schwerpunkte der Kammertätigkeit sein?
Ich habe Ihnen die verschiedenen Sektoren genannt, die sich in der Zukunft interessant entwickeln werden. Mit „econet romania“ haben wir uns gut in der Umweltbranche positioniert. Das verfolgen wir weiter. Des Weiteren werden wir perspektivisch unsere Kompetenzen in den Bereichen Ernährungs- und Landwirtschaft sowie Gesundheitswirtschaft ausbauen. Das Schöne daran, das sind Bereiche – wenn ich zum Beispiel an die Umwelt denke – wo sich Win-Win-Situationen (von denen habe ich auf dem Neujahrsempfang gesprochen) ergeben werden, also Konstellationen, die zum Ausbau einer stabilen, nachhaltigen deutsch-rumänischen Partnerschaft weiter beitragen.
Außerdem haben wir noch zwei weitere, relativ neue Aktionsfelder. Erstens das Ständige Schiedsgericht der AHK Rumänien, welches deutschen und rumänischen Unternehmen zur Verfügung steht, um zur Beilegung von Rechtsstreitigkeiten zuverlässig, transparent und schnell eine Lösung herbeizuführen. Die Schiedsgerichtsbarkeit bietet eine zuverlässige Alternative, die mit den sich ständig verändernden Abläufen des Wirtschaftsverkehrs Schritt halten kann und deren Vorteile für die Unternehmen insbesondere in Ländern wie Rumänien voll zum Tragen kommen und die auch zu einer deutlichen Entlastung der staatlichen Gerichte beitragen kann. Wir wissen, dass dieses Themenfeld insgesamt etwas komplizierter ist und weiterer Beratung bedarf. Hierfür stehen wir gerne zur Verfügung.
Und zweitens ist der Bereich Berufsausbildung für uns sehr wichtig. Insbeson-dere vor dem Hintergrund, dass dieses Thema auch die Unternehmen direkt betrifft – Stichwort Fachkräftemangel – und für die Entwicklung der rumänischen Wirtschaft von besonderer Bedeutung ist. Neben verschiedenen anderen volkswirtschaftlichen Aspekten hier in Rumänien, ist das Thema Berufsausbildung einer der wichtigsten Bereiche, wo wir vorankommen müssen. Aus unserer Sicht ist es absolut notwendig, die Ausbildungslücke unterhalb des universitären Systems zu schließen.
Noch einmal zum Ständigen Schiedsgericht der AHK Rumänien: Wie weit ist das Projekt gediehen?
Das Projekt ist soweit gediehen, dass wir das Schiedsgericht bei uns in der Kammer eingerichtet haben. Wir bieten jetzt Beratung sowohl Anwaltskanzleien als auch Privatunternehmen an. Der springende Punkt bei dem Schiedsgericht ist, dass eine Vertragsklausel aufgenommen werden muss, um dieses Schiedsgericht vertraglich zu verankern. Und diesen Aufklärungsbedarf – was ist ein Schiedsgericht überhaupt, wie kann ich diese Vertragsklausel aufnehmen – diese Beratung leisten wir derzeit. Wir wissen, dass einige Unternehmen diese Klausel aufgenommen haben. Es ist, zum Glück aber leider für uns, noch zu keinem Streitfall gekommen. Wir standen schon einmal kurz davor, aber das konnte dann noch abgewendet werden. Es bedarf bei einem Schiedsgericht einer gewissen Vorlaufzeit, das Gericht muss sich etablieren. In diesem Punkt sind wir bereits, nun müssen wir Informationskampagnen machen, wir müssen Aufklärung leisten.
Zu guter Letzt: Berufsausbildung. Warum ist dies einer der wichtigsten Bereiche, die vorankommen müssen?
Es gibt über 18.000 Unternehmen mit deutscher Beteiligung am gezeichneten Kapital. Die deutschen Investitionen in Rumänien beliefen sich Ende 2011 auf rund 5,6 Milliarden Euro (lt. Angaben der Deutschen Bundesbank). Damit ist Deutschland einer der wichtigsten ausländischen Investoren in Rumänien und ein stabiler und strategischer Partner. Deutsche Unternehmen sind sehr an der Zukunft des Landes interessiert. Wir investieren nicht in ein Land und verschwinden dann wieder, weil uns das hier nicht passt, sondern wir beschäftigen uns mit dem Land und versuchen dann hier, gemeinsam Lösungen zu finden und das Investment möglichst gewinnbringend für Deutschland wie auch für Rumänien zu realisieren. Da deutsche Unternehmen verstärkt unter Fachkräftemangel leiden, ist die Berufsausbildung für deutsche Investoren umso wichtiger. Deswegen ist die Berufsausbildung ein Thema, dem wir uns als Vertreter der deutschen Wirtschaft in Rumänien annehmen müssen.
Gerade im Bereich Berufsausbildung hat die Kammer die Unterstützung der Politik genossen, in ihrem Tagesbetrieb hat sie immer wieder mit der Politik zu tun. Wie viel Politik braucht die Wirtschaft?
Eine gute Frage. Wir leben in einer Marktwirtschaft. Angebot und Nachfrage finden am effizientesten auf einem Markt zueinander. Natürlich gibt es Ausnahmen davon. Die Welt ist nicht schwarz oder weiß. Die Politik ist wichtig, weil sie die Rahmenbedingungen setzt, die für die Marktteilnehmer gelten. Das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Außerdem gibt es staatliche, hoheitliche Aufgaben, die vom Staat übernommen werden müssen. Das Bildungssystem gehört dazu und deshalb benötigen wir weiterhin politische Unterstützung.
Herr Metz, wir danken für dieses Gespräch.