Das Interesse für Politik sowie die Wahlbeteiligung insbesondere der Jungwähler sinkt schon seit vielen Jahren unaufhaltsam. Hierzulande ging die Wahlbeteiligung seit den ersten freien Wahlen nach der Wende um 30 bis 50 Prozent zurück. Sich im aktuellen politischen Geschehen auszukennen, gilt bei der heranwachsenden Generation der Wähler generell als „uncool“. Dieser Tendenz entgegenzuwirken, war eines der Ziele des Projekts „Wagnis Demokratie“, das vom März 2011 bis Mai 2012 an mehreren deutschsprachigen Gymnasien in Rumänien durchgeführt wurde.
In den vergangenen 14 Monaten vertieften sich Schülerinnen und Schüler der 10. bis 12. Klassen nicht nur in die Geschichte der Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland, sondern machten sich Gedanken auch über die wichtigsten demokratischen Handlungen im Allgemeinen. Ausgangspunkt dieses Projekts war eine Ausstellung im Kultur- und Begegnungszentrum „Friedrich Teutsch“, in der Bundestagswahlplakate von 1949 bis 1990 gezeigt wurden. Am 3. und 4. Mai stellten die acht Schülergruppen nun in der Aula des Brukenthalgymnasiums in Hermannstadt/Sibiu die Ergebnisse ihrer Arbeit vor.
In seinem Grußwort sprach der Schirmherr der Veranstaltung, der Kreisratsvorsitzende Martin Bottesch, seine Freude über die zahlreichen teilnehmenden Schulen aus. Er erinnerte die Schüler daran, dass Demokratie nichts Bequemes sei, die Wahlen eine der wichtigsten demokratischen Handlungen darstellen und dass diese Gelegenheit, auf die Politik Einfluss zu nehmen, von den Bürgern nicht ungenutzt bleiben darf. „Gewählt werden solche Kandidaten, die den besten Eindruck bei den Wählern hinterlassen. Und sie sind vielleicht gar nicht die Fähigsten. Darum soll man das politische Geschehen auch zwischen den Wahlen verfolgen, um danach bewusst wählen zu können“, mahnte Bottesch. Auch der Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Hermannstadt/Sibiu, Thomas Gerlach, rief die Schüler auf, die Demokratie mitzugestalten.
Unter den aufmerksamen Augen einer kompetenten Jury, die aus den Schülern des Henfling-Gymnasiums aus Meiningen (Deutschland) bestand, traten acht Gruppen mit der Vorstellung unterschiedlicher Bundestagswahljahre auf. Dabei mussten sie nicht nur die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der jeweiligen Periode darstellen, sondern auch einen Bezug zu Rumänien zeigen. Die Juroren achteten gleichermaßen auf die sprachlichen Kenntnisse, die logische Struktur und den Inhalt des Vortrags, den Einsatz von Medien sowie die Kreativität der Gruppe. Die Inszenierung eines TV-Duells zwischen den Gegenkandidaten der betreffenden Wahlkampagne stellte einen wichtigen Punkt der Vorstellung dar. Die Akteure mussten nicht nur ein umfassendes Wissen zeigen, sondern auch die dem Protagonisten entsprechende Gestik, Mimik und Sprechweise wiedergeben. Die zeit- und situationskonforme Gestaltung des TV-Duells wurde ebenfalls bewertet.
Der zweite Teil der Präsentation der Gruppenarbeit erlaubte den Schülern, ihre eigene Meinung über das aktuelle Geschehen sowie ihre Vorstellung von der möglichen Zukunft zu äußern. Das Präsentieren von Plakaten für die Wahl einer fiktiven Partei ins Europaparlament ließ der Fantasie der Beteiligten freien Lauf. Die „Partei von Morgen“ (Deva) sprach sich für den Atomausstieg, die Förderung der erneuerbaren Energie und den sozialverträglichen Wandel im Bergbau aus. Die „Anti Alzheimer Partei“ (Fogarasch) setzte sich für mehr Korrektheit in der Politik ein. Sie wolle die Politiker, aber auch die Bürger, an die gemachten Wahlversprechen erinnern sowie die politischen Affären und Krisen nicht vergessen lassen. Die „National-Europäische Partei“ (Karlsburg/Alba Iulia) setzte auf die kulturelle Verbundenheit der Völker. Sie forderte „Kultur statt Wirtschaft“ und „ein Leben nicht nur für Euro“. „Die Robolitiker“ aus Schäßburg/Sighişoara schlugen den perfekten Politiker vor: einen Roboter. Unter dem Motto „Errare humanum est“ kandidierten zwei High-Tech-Politiker für das Europaparlament. Doch brannten bei einem die Sicherungen durch und beim anderen gab es Schwierigkeiten mit der Fernsteuerung.
Zum Schluss der Veranstaltung wurde der Unterschied zwischen den demokratischen und sozialistischen Wahlen in einem Film über die Wahlen in der Deutschen Demokratischen Republik im Jahr 1986 verdeutlicht. In einer literarischen Kollage unter dem Titel „Demokratie verteidigen“ las Gregorij von Leïtis Ausschnitte aus Werken der zeitgenössischen Autoren vor. Dadurch sollten die Anwesenden an die demokratischen Grundwerte in Zeiten politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit erinnert werden.
Die Gewinner des Projekts wurden von den Mitgliedern der Jury bekannt gegeben. Den dritten Platz sowie einen Büchergutschein im Wert von 600 Lei erhielt die Gruppe aus Kronstadt/Braşov. Mit einem Büchergutschein im Wert von 900 Lei wurde die Gruppe aus Fogarasch belohnt. Als Sieger gingen die Mädchen und Jungen aus Schäßburg hervor. Sie bekamen eine Einladung zu einer Reise nach Deutschland. Für Sabine Brünig, die Lehrerin der stolzen Sieger, gab es keine Zweifel daran, dass der Sieg verdient war: „Meine Schüler haben wirklich geackert“. Über 40 Mal traf die Gruppe für die Vorbereitung zusammen, recherchierte, schrieb die Texte und arbeitete das Gesamtkonzept aus.
Der Schirmherr des Projekts, Martin Bottesch, sieht im Vorhaben einen Erfolg, weil: „Die Teilnehmer werden darauf vorbereitet, mündige Bürger zu sein, die mit der Demokratie etwas anzufangen wissen.“