Im „Friedrich Teutsch“ Begegnungs- und Kulturzentrum in Hermannstadt/Sibiu präsentierte Bischof Reinhart Guib am 10. Dezember 2025 den Jahresrückblick der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien. Der Bericht umfasste zentrale Themen, die das Jahr geprägt haben: Demokratie und Kirche, die Rolle der Frauen, ökumenische Jubiläen, die Ordination neuer Geistlicher und wachsende Gemeinden. Zugleich wurden Projekte für das kommende Jahr vorgestellt – darunter die Sanierung von Kirchenburgen mit Unterstützung aus Deutschland.
Demokratie als Fundament
„Unsere Kirche lebt seit Jahrhunderten von demokratischen Strukturen“, betonte der Bischof. Schon seit der Reformation im 16. Jahrhundert sei die Evangelische Kirche durch Mitbestimmung geprägt. „Demokratie ist nicht nur ein Schlagwort, sondern gelebte Praxis in unserer Kirche“, so der Bischof. Diese Tradition reicht zurück bis zum Edikt von Tohrenburg/Turda 1568, das erstmals in Europa Religionsfreiheit und individuelle Glaubensverantwortung festschrieb – ein Meilenstein, der bis heute nachwirkt. So war die Themensetzung „Kirche und Demokratie“ für das Jahr 2025 eine natürliche. „Es war uns ein wichtiges Anliegen, aus der Perspektive der Kirche zu verfolgen, wie sich Demokratie in der Kirche, aber auch in der rumänischen und der europäischen Gesellschaft entwickelt.“
Frauenarbeit und Ökumene
Ein weiterer Schwerpunkt des Jahres war die Rolle der Frauen in der Kirche. Vor 30 Jahren wurde die Frauenarbeit offiziell wiederbelebt, nachdem sie im kommunistischen Regime verboten worden war. Heute sind Frauen nicht nur als Pfarrerinnen tätig, sondern auch als Gemeindeleiterinnen und Kuratorinnen. „Die Frauen sind ein essentieller Bestandteil der kirchlichen Arbeit“ erklärte Guib und erinnerte, dass auch in Zeiten, in denen Frauenvereine verboten waren, die Frauen im informellen Rahmen einen entscheidenden Beitrag zum kirchlichen Leben geleistet haben. Besonders hervorgehoben wurde das Jubiläum des Weltgebetstags der Frauen, der vor 50 Jahren von der Evangelischen Kirche in Rumänien eingeführt wurde. „Ohne die Frauen wäre unsere Kirche nicht denkbar“, erklärte der Bischof. Die Feierlichkeiten würdigten die jahrzehntelange Arbeit und die internationale Vernetzung, die durch den Weltgebetstag entstanden ist.
Das sich zu Ende neigende Jahr war reich an ökumenischen Begegnungen. Be-sonders hervorgehoben wurde das 1700-jährige Jubiläum des Konzils von Nicäa, das mit einem Symposium und ökumenischen Gottesdiensten in Schäßburg/Sighișoara und einer Tagung in Hermannstadt gefeiert wurde. Auch im weiteren Sinne nahm die Evangelische Kirche ihre Rolle und Aufgabe als aktiver Partner im ökumenischen Dialog wahr. „Ecumenia“, wie Bischof Guib es nannte, sei heute wichtiger denn je, um Brücken zwischen den Konfessionen zu bauen. Dabei war man auf den unterschiedlichsten Ebenen bemüht, auf nationaler Ebene den interkonfessionellen Dialog zu fördern und mitzugestalten. Auch die internationalen Beziehungen gehören in den Bereich der Ökumene. Die Kirche pflegte 2025 weiterhin enge Kontakte zu Partnerkirchen in Deutschland, Österreich und Estland. Besuche in Berlin, Dresden, Hannover und Wien stärkten die Zusammenarbeit. „Unsere Kirche ist klein, aber international vernetzt“, betonte der Bischof. Diese Partnerschaften seien entscheidend für die Zukunft. In diesem Kontext betonte Guib die wichtige Rolle, die das Zentrum für Evangelische Theologie Ost (ZETO) gespielt hat und würdigte dessen Arbeit in der Aufrechterhaltung bestehender Partnerschaften und dem Aufbau von neuen.
Neue Geistliche und wachsende Gemeinden
Ein historisches Ereignis für die Evangelische Kirche A. B. in Rumänien war die Ordination von gleich vier Geistlichen – drei Pfarrern und einer Pfarrerin. „Das ist mehr als in manchen großen Kirchen Deutschlands oder Österreichs“, betonte Reinhart Guib. In den vergangenen Jahren war es üblich, dass höchstens ein Absolvent der Theologie nach seiner Zeit als Vikar ordiniert wurde. Dass nun vier neue Geistliche ihren Dienst aufnehmen, gilt als starkes Zeichen der Erneuerung. Die neuen Geistlichen wurden in Kronstadt/Brașov, Mediasch/Mediaș, in dem Gemeindeverband Fogarasch/Făgăraș und im neugegründeten Gemeindeverband Bartholomae-Honigberg/Hărman eingesetzt.
Besonders erfreulich war die Gründung neuer selbstständiger Gemeinden. Nach dem Kirchenstatut können sich kirchliche Gemeinden entweder als eigenständige Gemeinden, als Diaspora-Gemeinden oder als Gemeindeverbände organisieren. In den vergangenen Jahren entstanden acht solcher Gemeindeverbände, die Verwaltung und Seelsorge bündeln. 2025 kamen zwei weitere hinzu.
Auch der Beitritt vieler im Ausland lebenden Siebenbürger Sachsen zu ihren Abstammungsgemeinden, welcher durch das Abkommen mit der EKD betreffend die doppelte Kirchenmitgliedschaft möglich ist, führte zu einem spürbaren Aufschwung. Über tausend Menschen nutzen diese Möglichkeit und traten erneut in die Evangelische Kirche A. B. in Rumänien ein. Dadurch konnten zwei Diaspora-Gemeinden wieder eigenständig werden: Deutschweißkirch/Viscri und Großpold/Apoldu de Sus. Beide wuchsen von wenigen Dutzend Mitgliedern auf mehrere Hundert. Das Wachstum zeigt sich nicht nur in Zahlen, sondern auch in der Lebendigkeit der Gemeinden. Während viele Gemeinschaften schrumpfen, gibt es Orte, die wieder Hoffnung ausstrahlen. Die Kirchenleitung wertet dies als Zeichen einer Stabilisierung und als Grundlage für eine neue Phase der Entwicklung.
Strukturreformen und neue Abteilungen
„Wir wollen eine Kirche sein, die nicht von Einzelnen abhängt, sondern von starken Teams getragen wird“. Mit diesen Worten fasste Bischof Guib die sich noch im Gang befindende Umstrukturierung der Kirchenleitung zusammen. Die umfassende Neuordnung der Kirchenleitung war ein zentrales Thema des Jahres. Der Bischof machte deutlich, dass bislang zu viele Entscheidungen direkt beim Bischof und beim Hauptanwalt lagen und dass es notwendig sei, die Verantwortung breiter zu verteilen und die Arbeit stärker zu demokratisieren. Im Zuge dieser Reform wurde das Konsistorium neu strukturiert und es entstanden fünf zentrale Abteilungen, die künftig die Arbeit der Kirche tragen sollen. Sie decken die Bereiche Strategie und Zukunftsplanung, Spiritualität, Diakonie und gegenseitige Hilfe, Bildung und Kultur sowie Management und Digitalisierung ab. Damit wurde nicht nur eine neue Organigramm-Struktur eingeführt, sondern auch die Grundlage geschaffen, die Verantwortlichkeiten klarer zu ordnen und die Arbeit in Teams zu organisieren, statt sie auf wenige Personen zu konzentrieren. „Wir wollen eine Kirche sein, die nicht nur von Tradition lebt, sondern auch organisatorisch modern und effizient arbeitet“, erklärte Guib die Beweggründe dieser Umstrukturierung. Die Reformen gelten als entscheidender Schritt, um die Evangelische Kirche A. B. in Rumänien auf die Herausforderungen der kommenden Zeit vorzubereiten.
Die Stiftung Kirchenburgen
Ein Höhepunkt des Jahres war die Nachricht, dass der Deutsche Bundestag 2,3 Millionen Euro für die Sanierung der Kirchenburgen in Siebenbürgen bewilligt hat. Ursprünglich waren 3,2 Millionen beantragt worden, doch ein Teil der Mittel wurde für ein Projekt in Polen umgeleitet. Dennoch gilt die Zusage als großer Erfolg, denn sie ermöglicht die Fortsetzung von Sanierungsvorhaben. „Damit können wir weitere Kirchenburgen erhalten und für kommende Generationen sichern“, erklärte Cristian Cismaru, Geschäftsführer der Stiftung Kirchenburgen.
Die Stiftung Kirchenburgen koordiniert Restaurierungen, entwickelt Nutzungskonzepte und sorgt dafür, dass die Kirchenburgen nicht nur als historische Denkmäler bestehen bleiben, sondern auch als lebendige Orte für Kultur, Tourismus und Gemeindeleben. Die Stiftung ist bemüht, eng mit lokalen Gemeinden, internationalen Partnern und staatlichen Institutionen zusammen zu arbeiten. Sie organisiert Führungen, kulinarische Kulturangebote und Bildungsprogramme, um das Bewusstsein für den Wert der Kirchenburgen zu stärken. Gleichzeitig setzt sie sich für nachhaltige Nutzungskonzepte ein, die den Erhalt mit wirtschaftlicher Tragfähigkeit verbinden – etwa durch touristische Angebote oder kulturelle Veranstaltungen. „Die Kirchenburgen sind nicht nur steinerne Zeugen unserer Geschichte, sie sind auch Orte der Begegnung und des Dialogs“, betonte der Bischof. Mit den neuen Mitteln aus Deutschland sollen vor allem dringend sanierungsbedürftige Kirchenburgen gesichert werden. Die Stiftung arbeitet zurzeit konkrete Pläne aus, um die Gelder effizient einzusetzen.
Gemeinde der Zukunft
Für das kommende Jahr steht die „Gemeinde der Zukunft“ thematisch im Mittelpunkt. Kleinere Gemeinden sollen sich weiterhin zu Gemeindeverbänden zusammenschließen, um Verwaltung und Seelsorge effizienter zu gestalten. Dieses Modell hat sich bereits in den vergangenen Jahren bewährt: Aus verstreuten Diaspora-Gemeinden, die oft nur wenige Mitglieder zählen, entstehen durch Zusammenschlüsse tragfähige Einheiten mit eigenem Pfarrer, Sekretariat und Verwaltung. Der Bischof betonte, dass diese Struktur nicht nur organisatorische Vorteile bringt, sondern auch das geistliche Leben stärkt, da die Gemeinden gemeinsam Gottesdienste feiern, Projekte durchführen und sich gegenseitig unterstützen können. Der neue Kirchenkalender greift das Thema auf und zeigt die bereits bestehenden neun Verbände sowie drei weitere, die sich in der Gründung befinden. Ziel ist es, mittelfristig die gesamte Kirche nach diesem Modell zu ordnen, sodass jede Region durch eine stabile Struktur vertreten ist – sowohl auf geistlicher Ebene als auch in der diakonischen und administrativen Arbeit. Besonders wichtig sei dabei, dass die Gemeinden trotz Zusammenschluss ihre Identität bewahren, gleichzeitig aber von den Synergien profitieren. Die „Gemeinde der Zukunft“ ist damit nicht nur ein organisatorisches Konzept, sondern auch ein geistliches Leitbild. Sie soll die Kirche befähigen, den bevorstehenden Herausforderungen zu begegnen und gleichzeitig neue Formen der Gemeinschaft zu entwickeln. „Wir wollen eine Kirche sein, die in kleineren Strukturen lebendig bleibt und durch Zusammenarbeit stärker wird“, fasste der Bischof zusammen.
Die Kirche lebt
„Wir sind gewachsen“, sagte der Bischof. „Das ist ein kleines, aber wichtiges Zeichen: Unsere Kirche lebt.“ Dieses Wachstum mag zahlenmäßig bescheiden erscheinen, doch es trägt eine große symbolische Bedeutung. Es zeigt, dass die Evangelische Kirche A. B. in Rumänien nach Jahren des Rückgangs wieder Hoffnung schöpfen kann, dass Rückkehrer und neue Mitglieder das Gemeindeleben bereichern und dass die Tradition nach Möglichkeit bewahrt, aber auch erneuert wird. Die Kirche versteht dies als Ermutigung, ihre Reformen weiterzuführen, ihre Gemeinden zu stärken und ihre Stimme im gesellschaftlichen und ökumenischen Dialog zu erheben. „Wir wissen, dass der Weg nicht einfach sein wird“, fügte Bischof Reinhart Guib hinzu, „aber wir haben die Zuversicht, dass unsere Kirche nicht nur überlebt, sondern lebendig bleibt – getragen von Glauben, Gemeinschaft und der Verantwortung für kommende Generationen.“





