Die Gegend rund um Seligstadt/Seliştat gehört zu den abgeschiedensten Regionen Südsiebenbürgens, und gleichzeitig zu den schönsten. Nur wenige Menschen leben noch in den einst sächsischen Dörfern, und noch weniger Touristen verirren sich hierher – nicht nur wegen der reparaturbedürftigen Straßen, sondern auch mangels zeitgemäßer Infrastruktur und Attraktionen. Seit Kurzem gibt es hier jedoch eine touristische Innovation zu entdecken – den ersten Audiowanderweg Rumäniens.
Der Name verheißt Großes, doch tatsächlich ist Seligstadt ein kleines Dorf, das von einem Großteil seiner Bewohner verlassen wurde. Der Verfall ist allgegenwärtig, viele Häuser bröckeln vor sich hin, in den einst geschlossenen Fassadenreihen klaffen heute große Lücken. Egal aus welcher Richtung man hierher kommen will, man sollte Zeit einplanen, denn die Straßen sind nicht im besten Zustand. Eine knappe Stunde dauert die Anfahrt aus dem etwa 30 Kilometer entfernten Fogarasch/Făgăraş, der nächsten Stadt im Umkreis. Die einzige mit dem Auto befahrbare Straße führt von Bekokten/Bărcut ins Dorf – von Seligstadt selbst führt nur ein Feldweg in das benachbarte Hundertbücheln/Movile.
Abgelegen, aber schön
Umso erstaunlicher, dass sich in dem Dorf mit dem von der evangelischen Kirche in Fogarasch/Făgăraş betriebenen Jugendzentrum ein touristischer Anziehungspunkt findet, der während der Sommermonate fast durchgehend belegt ist. Jetzt im Herbst ist Ruhe eingekehrt, nur an den Wochenenden kann es sein, dass sich noch eine Jugendgruppe für einen Ausflug einmietet, sagt Verwalter Nicolae Lupaşcu. Das Jugendzentrum befindet sich mitten im Dorf – direkt unterhalb der imposanten Kirchenburg – also genau dort, wo der eingangs erwähnte Audio-wanderweg startet. Der Wanderer kann auf einem markierten, acht Kilometer langen Weg von Seligstadt nach Bekokten an verschiedenen Punkten Informationen in Form von kurzen Hörbeiträgen anhören – ähnlich wie bei einem Rundgang durch ein Museum.
Der gesamte Weg ist sehr gut markiert. Erkennungszeichen sind ein an Steine und Bäume gemalter weißer Kreis mit rotem Punkt sowie weiß-rote Stangen. Eine Karte des Weges – erhältlich zum Beispiel im Jugendzentrm – erleichtert die Orientierung. Los geht es mit dem ersten von zwölf Hörbeiträgen, wie gesagt, an der Kirchenburg. Hier kommt Verwalter und Kirchenschlüsselverwahrer Lupa{cu zu Wort, der sich an die Zeit im Dorf erinnert, als noch die Sachsen hier wohnten. Wer sich mit Land und Leuten auskennt, für den werden manche Informationen nicht neu sein, etwa zur Siedlungsgeschichte der Sachsen, ihrer Traditionen, wie der Nachbarschaften, oder der Auswanderung. Dennoch berührt es, wenn Lupa{cu von seinen sächsischen Nachbarn erzählt oder der evangelische Pfarrer von Fogarasch, Johannes Klein, von den traumatischen Erfahrungen der Massenauswanderung, aber auch von hoffnungsvollen Neuanfängen, wie den ersten Schritten zur Gründung des Jugendzentrums auf den Trümmern einer untergegangenen Gemeinschaft.
Erinnerung als Lebensaufgabe
Einer der wenigen gebliebenen Sachsen ist Erich Lukas, der an der Hauptstraße des Dorfes ein kleines Heimatmuseum eingerichtet hat. Früher wohnte auf dem typisch siebenbürgisch-sächsischen Gehöft hier laut Audiobeitrag eine reiche Familie, so wie das gesamte Dorf einst groß und wohlhabend gewesen sein soll. Lukas, selbst 1981 ausgewandert und erst vor einigen Jahren in die Heimat zurückgekehrt, hat sich die Erinnerung an die sächsische Kultur zur Lebensaufgabe gemacht. Den Kontakt zu Lukas stellt man gern im Jugendzentrum her – oder sie fragen die Menschen auf der Dorfstraße.
In Sichtweite von Lukas´ Museum steht der Dorfladen in einem Bau aus kommunistischer Zeit. Rechts vorbei führt der Wanderweg aus dem Dorf hinaus und den Hügel hinauf. Elstern fliegen kreischend über den Köpfen der Wanderer, eine Gruppe Esel steht allein am Wegesrand und schaut neugierig zu der Menschengruppe herüber. Man wirft einen letzten Blick auf das am Talgrund entlanggestreckte Dorf bevor man im Buchenwald verschwindet. Die nächste Hörstation kündigt sich auf dem Telefon nach einem Kilometer an, wenn man auf der anderen Seite des Waldstücks auf eine Weide tritt – und den Blick über das Hügelland sowie die Fogarascher Berge/Mun]ii F²g²ra{ schweifen lässt.
Geschichten mit persönlicher Note
Hier erfährt man etwas über das harte Leben eines Schafzüchters. Eine Station später – auf dem höchsten Punkt der Tour – wird die Geschichte eines der größten Truppen-übungsgelände Rumäniens zwischen Großschenk/Cincu und Seligstadt erzählt bzw. besser erzählt Kristian Kern, ein ehemaliger Bundeswehrsoldat und heutiger Betreiber eines Kiosks auf dem Übungsgelände bzw. dem „Poligon“. Überhaupt haben die Macher des Audioguides – ein Team um die frühere Kulturmanagerin des Instituts für Auslandsbeziehungen in Fogarasch, Anne Wiebelitz, interessante Menschen ausfindig gemacht, die die Geschichten mit persönlichen Noten würzen. Wie zum Beispiel der pensionierte Telefonist Reinhold Schindler aus Scharosch/Şoarş, der aus Fogarasch stammende Förster Dietmar Groß, der Rohrbacher Landwirt Daniel Ongerth oder die 93-jährige Sofia Tonka, die älteste Sächsin aus Seligstadt.
Einige der Geschichten, die man unterwegs hören kann, greifen Sichtbares auf oder behandeln aktuelle Themen, etwa der in Rumänien oft beklagte illegale Holzeinschlag oder abgeschaltete Telefonleitungen in entlegene Dörfer. Andere widmen sich Themen aus der Lebenswelt der hiesigen Menschen, etwa der Tradition des Brotbackens, oder erzählen Menschenschicksale. Einmal – tief im schattigen Wald – gibt es einen Einblick in die siebenbürgisch-sächsische Märchenwelt. Vorgelesen wird die Geschichte „Der Junge und die Waldgeister“ aus dem Buch „Der tapfere Ritter Pfefferkorn“.
Im Pferdewagen geht’s zurück
Nach gut drei Stunden Spaziergang, denn beim Hören der Beiträge verlangsamt sich automatisch der Schritt und man kann eigentlich nicht mehr von Wanderung sprechen, verlässt man über Bekokten den Wald und beginnt mit dem Abstieg in Richtung Dorf. Es ist eine schöne und gut umgesetzte Idee, eine Wanderung durch die liebliche siebenbürgische Landschaft mit den Möglichkeiten moderner Technik zu ergänzen. Land und Menschen werden greif- und erlebbar und ergänzen das sowieso schon beeindruckende Naturerlebnis mit Vogellauschen und Rehsichtungen. Von Bekokten kann sich der müde Wanderer gegen einen kleinen Obolus mit dem Pferdewagen zurück nach Seligstadt fahren lassen – typischer lässt sich ein siebenbürgischer Wandertag kaum abrunden.
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Wie funktioniert der Audiowanderweg?
Ganz einfach: Man benötigt eine Karte der Route – zum Beispiel in Form des im Jugendzentrum verfügbaren Flyers – sowie ein modernes Telefon mit GPS-Ortung. Auf das Telefon wird vor dem Start der Wanderung die kostenlose App „Audiowanderweg-Siebenbürgen“ geladen, beispielsweise von der Internetseite www.audiowanderweg.seligstadt.ro. Verfügbar ist die App derzeit nur für Telefone mit dem Android-Betriebssystem. Nach dem Download müssen noch Audiodateien heruntergeladen werden – beides sollte der interessierte Wanderer vor der Anreise erledigen, da es im Dorf nur bedingt Handyempfang gibt und auch im Zentrum selbst kein Internet zur Verfügung steht. Unterwegs signalisiert das Telefon anhand der GPS-Daten, wann ein Informationspunkt erreicht ist und spielt dann automatisch den entsprechenden Audio-Beitrag ab. Um alle Beiträge während der Wanderung genießen zu können, sollte der Akku des Telefons voll geladen sein. Auf Nummer sicher geht man, wenn man mit zwei Telefonen läuft.
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Naturlehrpfad
Der Seligstädter Naturlehrpfad ist ein markierter Wanderweg, der stationsartig durch die Landschaft führt und auf acht Schautafeln Wissen über Flora und Fauna sowie zum kulturellen Hintergrund der Gegend vermittelt. Der Weg misst etwa vier Kilometer, Abkürzungen sind möglich. Wer mehr Zeit mitbringt, kann auch die Hügellandschaft bei Hundertbücheln/Movile besuchen – ein Abstecher dorthin lohnt sich.
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Jugendzentrum Seligstadt
Das Jugendzentrum Seligstadt bietet im ehemaligen Pfarr- und Schulhaus Platz für 58 Gäste. Das Haus ist ganzjährig für Gruppen und Individualreisende geöffnet, allerdings sollten sich Besucher etwa eine Woche vorher beim Pfarramt in Fogarasch anmelden. Auf Wunsch gibt es Vollverpflegung – die Kirchenführung mit Herrn Lupaşcu gibt es gratis dazu (nur in rumänischer Sprache). Ausführliche Informationen unter www.seligstadt.ro.