Es gibt Geschichten, die schreibt das Leben, und die sind grausiger als mancher Gruselfilm. Im Januar werden solche Geschichten Jahr für Jahr „laut“, wenn die deutschen Gemeinschaften in Rumänien der Opfer der Deportation zur Zwangsarbeit in die damalige UDSSR 1945 gedenken. „Laut“, weil es immer weniger lebende Zeitzeugen gibt, die damals im Alter zwischen 16 und 45 Jahren für bis zu fünf Jahre ihren Heimen entrissen wurden.
Manche von ihnen wurden schon nach kürzerer Zeit mit Krankentransporten nach Rumänien oder Deutschland geschickt. Die Heimreise aus der sowjetisch besetzten Zone der DDR war mühseliger, als mancher es heutzutage vermuten würde. Peter Krier schrieb in der Banater Post darüber bereits 2015 die Dokumentation „Der weite Weg nach Hause“.
Dieser Weg endete jedoch für einige Heimkehrer tragisch an der rumänischen Grenze, was auch bereits in mehreren Berichten ehemaliger Russlanddeportierter wie auch in Dokumentationen über ihr Schicksal festgehalten wurde. So auch im genannten Artikel von Peter Krier: „Am gefährlichsten war in den Jahren 1946-1949 das Überqueren der rumänischen Grenze. In Rumänien herrschte damals die Clique um Gheorghe Gheorghiu-Dej, Ana Pauker und Teohari Georgescu. Es galt Schießbefehl an der Grenze, mehrere Heimkehrer wurden dort erschossen.
Bekannt ist die Tragik einer aus neun Personen bestehenden Heimkehrergruppe aus Bakowa: Eva Duckhorn, Maria Fischer, Maria Garand, Michael Pettla, Katharina Richter, Georg Ringler jun., Georg Ringler sen., Eva Frombach und Anna Schönherr. Die Genannten waren krankheitsbedingt vorzeitig aus der Zwangsarbeit über Frankfurt (Oder) in die Sowjetzone entlassen worden. Nachdem sie einige Monate in verschiedenen Lagern verbracht hatten, begaben sie sich im Spätsommer 1948 gemeinsam auf den Heimweg. Nach der Überwindung vieler Schwierigkeiten wollten sie bei Tschanad die Grenze nach Rumänien überqueren. Sie alle waren rumänische Staatsbürger und hatten einen ordentlichen Entlassungsschein aus sowjetischem Gewahrsam. Doch danach fragten die Grenzer nicht. Die rumänischen Soldaten eröffneten sofort das Feuer und schossen so lange, bis alle regungslos am Boden lagen. Sieben Heimkehrer waren sofort tot, zwei hatten Glück: Anna Schönherr fiel um und blieb vor Schreck liegen, Eva Frombach war an der Schulter verletzt. Mit einem Stiefeltritt stellte ein Grenzer den Tod der Erschossenen fest, man kümmerte sich nicht weiter um die beiden Frauen. Sie blieben den ganzen Tag regungslos in der Sonne liegen, und erst als es dunkel wurde, wagten sie es, nach Tschanad zu gehen. Der dortige Pfarrer half ihnen weiter.“ Dieser spezielle Fall wird auch aus anderen Quellen in den Beiträgen „Der Tod hat viele Gesichter: Banater Schicksale aus drei Jahrhunderten (Teil 10)“ von Helga und Helmut Ritter (Banater Post 2021/2022) oder „Gedenken an die Deportationsopfer in Ingolstadt“ (2019) erläutert.
Im Zuge der diesjährigen Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer der Russlandverschleppung, wie sie bei den Banater Schwaben heißt, erinnerte die Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Großsanktnikolaus/Sânnicolau Mare, Dietlinde Huhn, an ein solch tragisches Schicksal, von dem sie sich fragt, ob die Angehörigen der jungen Opfer wohl Bescheid wüssten. Eine Bekannte und ehemalige Mitarbeiterin aus Tschanad/Cenad habe ihr von zwei jungen Frauen berichtet, die an der rumänischen Grenze 1948 erschossen worden seien. Ihr Vater sei beauftragt worden, sie auf dem Anhänger seines Traktors in die Gemeinde zu bringen (wohl nicht das einzige Mal, das er Tote vom Grenzstreifen in den Ort fahren musste). Der Vater, der wahrscheinlich der einzige im Ort war, der einen Traktor fahren konnte, da die anderen Männer an der Front waren, hatte selbst eine Schwester in Russland verloren. Der römisch-katholische Pfarrer Josef Pettla setze sie auf dem katholischen Friedhof bei und vermerkte dies auch in der Matrikel mit den Daten, die er in den Papieren der beiden fand.
Es waren wohl siebenbürgisch-sächsische Frauen, die in Hermannstadt 1945 ausgehoben und zur Zwangsarbeit in die damalige Sowjetunion gebracht worden waren. Geboren war die eine 1928 in Kronstadt, die zweite 1922 in Hermannstadt. Sie wurden am 10. Januar 1948 von den rumänischen Grenzsoldaten erschossen. Huhn bezeichnet es als eine mutige Tat des Pfarrers, diese Frauen zu bestatten, da er selbst dem Tod durch Erschießung haarscharf entkommen sei. („1944, als die sowjetischen Soldaten ins Dorf kamen, wollten sie ihn erschießen. Nur Dank dem Eingreifen des damaligen serbisch-orthodoxen Pfarrer ist Pfr. Pettla am Leben geblieben“, berichtet Diözesanarchivar, Dr. Claudiu Călin)
Die Tschanader Familie blieb von dem Schicksal der beiden Sächsinnen tief geprägt. Wie tragisch: Mit 17 und 23 Jahren deportiert werden, wahrscheinlich wegen Krankheit früher (1947) entlassen zu werden, sich Grenze um Grenze zu Fuß oder mit dem Zug oder per Anhalter durchzuschlagen (oft wurde man ja auch unterwegs wieder zurückgeschickt) und dann mit kaum 20 beziehungsweise 25 Jahren an der Grenze zum Heimatland erschossen zu werden.
Ein Grab im Banat, mit Grabstein, steht als stummer Zeuge da. Jahr für Jahr brachte die Familie aus Tscha-nad Kerzen zum Grab der beiden. In diesem Jahr zündeten Dietlinde Huhn und Erna Toth vom Großsanktnikolauser Forum die Kerzen an. Die Forumsvorsitzende entdeckte erst diese Woche das Grab in Tschanad, nachdem die Suche ihr bereits zweimal missglückt war, denn der Grabstein sei von Efeu umwuchert und niedrig am Boden. Nun haben die beiden Frauen ihn freigelegt.
Vom Schicksal der beiden Sächsinnen berichtete bereits 2011 das Grabatzer Heimatblatt (nebst weiterer Erschießungen) im Artikel „Ungeklärte Machenschaften. Es ist ratsam, die Erinnerung wach zu halten“ von Jakob Dietrich.
Dass die beiden Begebenheiten keine Einzelfälle gewesen seien, bestätigt nebst genannten Artikeln auch Diözesanarchivar Dr. Claudiu Călin, der aus Ferdinandsberg/Oțelu Roșu stammt und auch von Gruppen seiner dortigen Landsleute weiß, dass sie bei der Heimkehr an der Grenze (wohl bei Nadlak) erschossen worden sind. Es gäbe wohl mehrere Gründe für diese Vorkommnisse: unzureichende Papiere der nach Deutschland entlassenen Zwangsarbeiter, die strengen Kontrollen an den Grenzposten und wohl auch den Übereifer der Grenzsoldaten. Inwiefern diese Erschießungen alle aktenkundig gemacht wurden oder auch Angehörige letztendlich davon erfahren haben, was passiert ist, bleibt offen.