Unlängst erschien im Schiller Verlag, Hermannstadt-Bonn, das 143 Seiten starke Buch „Was im Gedächtnis bleiben soll. Das literarische Werk von Karin Gündisch“. Der Autor, Volker Ladenthin, ist Hochschulprofessor für Historische und Systematische Erziehungswissenschaft an der Universität Bonn. Er erweist sich als einfühlsamer Kenner und aufmerksamer Leser der Bücher von Karin Gündisch. Sein Konzept läuft darauf hinaus, ihre Geschichten nicht als isolierte Geschehnisse oder Erzählungen um ein paar wenige Gestalten zu betrachten, sondern als Gesamtwerk darzustellen. Die Detailanalysen werden somit zu Teilen eines Ganzen, das als „sprachliche Arbeit an der Erinnerung“ aufgefasst werden kann, so Ladenthin in seinem Schlusswort. Verdienstvoll ist die Tatsache, dass er schon nach der Lektüre des ersten Buches von Karin Gündisch – „Im Land der Schokolade und Bananen“ – den besonderen Schreib- und Erzählstil der Autorin erkannte und sofort eine Rezension darüber veröffentlichte. Er gesteht, dass ein Kinder- und Jugendbuch über Aussiedler aus Osteuropa für ihn von Interesse war, weil es im Rahmen dieser Gattung eine Besonderheit war.
Emil Staigers literaturtheoretischen Überlegungen und werkimmanenten Interpretationsverfahren folgend, nimmt sich Ladenthin vor zu begreifen, was ihn ergreift. So gesehen, verstehen sich seine Textanalysen als Begründungsversuche für seine wiederholten Gündisch-Lektüren. Volker Ladenthin gelingt es, in seinem Buch einen Leitfaden durch das Werk der Autorin Karin Gündisch so zu erstellen, dass der Lesende allmählich in ihre Welt eintauchen und über die Botschaft ihrer Arbeiten reflektieren kann.
Einige seiner Texte aus dem vorliegenden Buch sind aus unterschiedlichen Anlässen für diverse Zwecke entstanden und wurden in verschiedenen Publikationen veröffentlicht. Die meisten Texte wurden chronologisch nach dem Erscheinen der Originaltexte, in systematischer Absicht eigens für dieses Buch geschrieben, um auf die „klassische Sprache“ der Autorin hinzuweisen, die alle Moden überstehen wird. Ladenthin beginnt seine eingehenden Untersuchungen mit den 1983 in Bukarest erschienenen „Lügengeschichten“. Es folgen „Geschichten über Astrid“ (Basel 1985/Hermannstadt, Bonn 2009), „Im Land der Schokolade und Bananen“ (Basel 1987/1990), „Weit hinter den Wäldern“ (Weinheim, Basel 1988 und 1992/Hermannstadt, Bonn 2010), „In der Fremde“ (Weinheim, Basel 1993), „Großvaters Hähne“ (München, Wien 1994/Hermannstadt, Bonn 2011), „Liebe. Tage die kommen“ (Freiburg/Br. 1994), „Peter und der alte Teddy“ (Hamburg 1997), „Geordnete Verhältnisse. Siebenbürgische Kurzprosa“ (1998), „Das Paradies liegt in Amerika“ (Weinheim, Basel 2000), „Gestern, vor hundert Jahren“ (2000), „Cosmin. Von einem, der auszog, das Leben zu lernen“ (München, Wien 2005), „Mia und Tante Milda“ (Freiburg, Wien 2005), „Lilli findet einen Zwilling“ (Düsseldorf 2007), „Die Kinder von Michelsberg“ (Hermannstadt, Bonn 2011), „George oder Vom aufrechten Gang des Menschen“ (Hermannstadt, Bonn 2013). Ladenthin bezieht sich außerdem auf die Tätigkeit von Karin Gündisch als Herausgeberin („Emil und die Detektive“, Bukarest 1979), auf die Unterrichtsreihe zu „Im Land der Schokolade und Bananen“ und vor allem auf das Projekt des Goethe-Instituts „Was im Gedächtnis bleibt. Jugendbiographien aus Rumänien. Erinnerungen nach fünfzig Jahren“ (2003), das in Zusammenarbeit mit Ioan Lăzărescu entstand, dem die Übersetzung ins Rumänische zu verdanken ist.
Auch wenn Ladenthin seine in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichten Texte aus unterschiedlichen Zusammenhängen reißt, um sie in einen neuen Kontext zu stellen, wird eine von ihm angestrebte „Poetik des Sammelbandes” erreicht. Die Wiederholungen, die unter diesen Umständen unvermeidlich waren, lassen den Lesenden Themen und Hauptmotive durch das Werk von Gündisch hindurch verfolgen, wie z. B. Minderheitenproblematik der Siebenbürger-Sachsen und der Roma, Recht auf Anderssein, Auswanderung, Sprache, Erziehung, Erinnerungskultur u. v. m.
Wer das Universum der Bücher, die Kindergestalten und die teilweise erlebten, teilweise fingierten Geschichten von Karin Gündisch noch nicht kennt, der möge sich das Buch von Volker Ladenthin besorgen: Es ist (s)eine Hommage an die äußerst lesenswerten versprachlichten Erinnerungen einer Autorin, die unter Beweis stellt, wie sehr sie ihren Beruf liebt, wenn sie behauptet: „Wir müssen uns Geschichten erzählen, damit wir mehr voneinander erfahren.”