Der Schlechtwettereinbruch, von dem wir nicht so recht glauben wollten, dass er wirklich kommt, kündigte sich frühmor-gens mit Nebelschwaden über dem Eingang von den Kleinen zu den Großen Kesseln her an. Im Golf von Dubova war es noch klar an diesem Morgen gegen Ende September, aber relativ kühl. Nur der stromaufwärts auf uns zu kriechende Nebel gab uns keine Chance, die aufgehende Sonne zu sehen, die eigentlich zwischen den Felswänden des Tors zu den Großen Kesseln sichtbar sein müsste. Schlechtwetter und Nieselregen war das Letzte, was wir uns wünschen konnten, vor allem weil es ein Hauptziel unserer Reise war, einen Fotovorrat anzulegen, von dem wir zehren wollten in den kommenden Jahren. Nun, wenn´s regnet und zu trüb ist, um die Ausnahmelandschaft des Donauengpasses fotografisch festzuhalten, schaut man sich um nach Nah- und Innenaufnahmen sowie nach Kontakten mit Menschen. Etwa einem Fischer, der tagtäglich auf die Donau rausfährt, mal um seine Netze auszulegen (und mit hässlichen Bündeln von PET-Flaschen zu markieren, die wie schwimmender Müll aussehen), mal, um die Netze auf Fang zu prüfen oder sie herauszunehmen ans Ufer und dort zu flicken.
Wir bekommen einen Anruf, der unseren Elan brüsk dämpft: Der Fischer, mit dem wir verabredet waren und der seit zwei Wochen wusste, dass wir mit ihm hinausfahren wollen, wenn er seine Netze prüft oder auslegt, und der unser Mitkommen auf die Donau gegenüber unseren Kontaktleuten auch bestätigt hatte (natürlich gegen ein pekuniäres Erkenntlich-Erweisen von ein paar Hundert Lei), sagt ab.
Fischen im Donaustause ist Fischen im Trüben?
Verzweifelte Anrufe bei unseren beiden Kontaktleuten in Dubova bringen das Versprechen, dass sie nochmals persönlich mit dem Fischer über unseren Wunsch nach Authentizität des Erlebens und Berichtens reden wollen – und eine Stunde später haben wir die endgültige und unwiderrufliche Absage: Der Fischer Dorin gibt vor, dass die Grenzpolizei es ihm nicht erlaube, sich mit zwei Journalisten auf die Donau – zugegeben: im Grenzbereich – zu begeben. Dazu hätten die Journalisten mindes-tens drei Wochen vorher beim Kommando der Grenzpolizei ansuchen müssen, lässt uns der Fischer wissen, der im weiteren Verlauf des Tages sein Mobiltelefon nicht mehr einschaltet.
Als wir die vielsagenden Blickwechsel unserer Kontaktleute bemerken („wir hatten für euch einen Fischer ausgewählt, von dem es heißt: der trickst nicht, der ist ehrlich!“), wird unsere Neugier angestachelt. Tacheles redet keiner mit uns darüber, was da los ist. Aus fallengelassenen Worten sowie früheren Gesprächen und Informationen ergibt sich aber für uns eine Vermutung: Es geht offensichtlich nicht ganz sauber zu beim Fischfang auf dem Donau-stausee.
Zwei Voraussetzungen müssen in Betracht gezogen werden: Es ist Grenzgebiet und auch Angler müssen auf dem Donaustausee Sondergenehmigungen vorweisen. Letztere bekommt man jedoch seit Ende des Sezessionskriegs um Jugoslawien anstandslos. Es ist aber auch ein Naturpark, der schon erwähnte grenzüberschreitende rumänisch-serbische Naturpark Eisernes Tor/Porțile de Fier – Djerdapp. Und in einem Naturpark gibt es Restriktionen fürs Fischen, alles selbstverständlich.
Wo mag aber der eigentliche Haken sein, dass die Fischer – wir haben es mit weiteren zwei versucht – es tunlichst vermeiden, Journalisten Einblicke in ihr Tun zu gewähren? Zumal wir auf unserer Reise in allen Donauabschnitten Dutzende Fischer in ihren Booten auf dem Stausee beobachten. Die Tatsache, dass es in jeder der zahlreichen Restaurationen an beiden Donauufern jederzeit Fisch zu bestellen gibt, beweist auf alle Fälle, dass all diese Bootsinsassen nicht bloß zum Betrachten des Wassers und der Natur ausfahren. Außerdem: Wozu hieße es sonst, dass am rumänischen Donauufer über hundert Berufsfischer autorisiert sind? Die leben doch wohl vom Fischen?! Im Trüben?
Verklemmte Falltür im Kiel
F.B. ist ein Ranger des Naturparks, der auch Führungen macht und Kurzausflüge leitet, und dem Reporter seit etwa einem Jahr bekannt ist, aber nur mit seinen Initialen erwähnt zu werden wünscht. Er erzählt uns, was ihm zu Beginn seiner Ranger-Karriere (von Haus aus ist er Ingenieur für Umwelttechnologien und begeisterter Wanderer und Bergsteiger, er hatte auch mal einen eigenen Fischereibetrieb) widerfahren ist. Da die übergeordneten Stellen nämlich immer wieder Beschwerden wegen illegaler Fischerei bekommen – was Mengen oder Fischarten oder selbst Fischen während der Schonzeiten zum Laichen betrifft – kommen zur Kontrolle öfters Untersuchungskommissionen aus Bukarest an den Donaustausee.
Bei F.B.s Ersteinsatz als Begleiter einer solchen Untersuchungskommission gab es eine Beschwerde gegen einen Fischer in der Gegend von Basiasch, der auffällig viele Zander zum Verkauf anböte. Dieser ist der beliebteste und von der Gastronomie begehrteste Speisefisch aus diesem Teil der Donau, vor allem seit es infolge des Baus der Staumauer des Donaukraftwerks, vom Eisernen Tor donauaufwärts, faktisch keine Wanderfische mehr gibt. Grund hierfür ist, dass beim Bau des Wasserkraftwerks Eisernes Tor keine Alternativrouten für Wanderfische (Hausen, Stör, Sterlet, Sternhausen usw.), die bis 1970 ihre Laichgebiete in den Kesseln der Donau hatten, geschaffen wurden.
Während die „Kommission“ die am Land ausgebreiteten Fische des Kontrollierten sortierte – es waren schätzungsweise 150 Kilo – fiel dem Neuling F.B. auf, dass der Fischer sein Boot nicht verließ und es immer wieder zum Schaukeln brachte, so, als müsste er sein Gleichgewicht wiedergewinnen. Außerdem schien ihm der Fischer zunehmend nervös zu werden und das nicht wegen der Fische am Ufer, unter denen sich tatsächlich ausnehmend viele Zander befanden. „Hast du die alle mit diesem Netz gefangen?”, fragte F.B. und zeigte auf ein trockenes Netz am Bootsende – „Natürlich!“ „Ist etwas mit deinem Boot?“, fragte F.B. „Nein, nichts, was sollte denn sein?” „Nun, ich wundere mich, dass du so viele Karpfen und Karauschen gefangen hast“, zeigte der Ranger blauäugig auf die Zander. „Hab eben Glück gehabt!“, erwiderte der Fischer, immer heftiger das Boot ins Schaukeln bringend. „Wenn du magst, kann ich dir beim Boot schaukeln helfen“, bot sich F.B. an. „Nicht nötig, es schaukelt ja bloß, weil ich mein Gleichgewicht nicht finde“, entgegnete der Fischer und wurde noch röter im Gesicht. „Ich komm doch in dein Boot“, gab sich der Ranger hilfsbereit und stieg ein. Da hörte er, dass es unten im Boot merkwürdig schwappte. „Hat dein Boot einen doppelten Boden?“, fragte F.B. „Wegen dem besseren Ausbalancieren. Ist Wasser drin, im Kiel“, belehrte ihn der Fischer. „Darf ich mal da unten reinschauen?“, fragte der Ranger, als er eine Falltür entdeckte. Er wartete keine Antwort mehr ab. Im Doppelboden des Boots befand sich ein Ultraschall-Spezialgerät, zum Töten der Fische in einem Umkreis von fünf-sechs Metern. Im eigentlichen Bootsboden, im Kiel, war eine kleine Falltür, die sich beim Wackeln und Schütteln des Boots öffnen und das Gerät durchfallen hätte lassen müssen. Nur: die Falltür im Kiel war verklemmt. F.B. berichtete dann weiter: „Seither haben mich meine Chefs von der Verwaltung des Naturparks nie mehr zur Untersuchung von Beschwerden gegen Donaufischer mitgeschickt, vielleicht weil ich Umwelttechniker bin...“ Übrigens: das pulvertrockene Netz, das der Fischer im Boot hatte, war extrem schlampig zusammengelegt. Als es ausgebreitet wurde, zeigte sich, dass es voller großer Löcher war.
Das nachmittägliche Hinausfahren zum Asulegen der Netze und das Aufstehen um fünf Uhr des kommenden Morgens sowie die Bootsfahrt auf die Donau bei Nieselregen mussten wir also aufgeben. Wir entschieden uns, in Richtung Orschowa zu fahren.
Eine Stadt mit wechselvoller Geschichte
Drei Ziele hatten wir uns vorgenommen: das Donaumuseum in Drobeta-Turnu Severin, die römisch-katholische Kirche in Orschowa und das Pfarrhaus des orthodoxen Pfarrers von Eșelnița, zwischen Orschowa und Dubova.
Unser Unstern schien aber noch nicht untergegangen zu sein. Der Versuch, wie immer Frau Gabi, die Messnerin der römisch-katholischen Kirche von Orschowa, anzurufen, scheitert mehrmals. Herr Hutterer, der Organist der Kirche und Verwandter des Otto-Alscher-Freundes Géza Hutterer, meldet sich auf Anfrage vom Festnetztelefon mit der Nachricht, dass die Schlüsselbewahrerin der Fackelmann-Kirche Urlaub macht und nicht in Orschowa weilt. Er hilft uns aus mit der Telefonnummer von Pfarrer Michael Sima. Das ist eigentlich ein alter Bekannter des Reporters und praktisch ein „Nachbar“ aus Reschitza: Pfarrer Sima ist seit Jahrzehnten der Priester der einzigen römisch-katholischen Kirche, die in Rumänien in kommunistischer Zeit gebaut wurde, und er stammt aus der Kroatengemeinde Lupak, spricht ausgezeichnet Deutsch, aber u. a. auch Ungarisch, Tschechisch, Rumänisch und Kraschowänisch. Er antwortet sofort, erkennt die Stimme am anderen Ende und ... entschuldigt sich: „Ich bin aber erst kurz vor Mittag in Orschowa und auch dann nur für kurze Zeit. Schau‘n wir mal, ob wir uns treffen können! Ich würd´ mich freuen!“
Wir fahren erst mal weiter nach Turnu Severin. Das antike römische Drobeta, später Szörényvár, Turnu Severin, Severin und seit 1972 Drobeta-Turnu Severin hat eine bewegte, viel zu wenig bekannte Geschichte. Hier werden die Reste eines Brückenpfeilers der „Trajans-Brücke“ gezeigt, jenes um 102-105 von Kaiser Trajans Lieblingsbaumeister Apolodorus aus Damaskus errichtete Bauwerk, über welches die Römischen Legionen zur Eroberung Dakiens marschierten. Heute kann man gleich nebenan – das ist im Innenhof des Museums des Eisernen Tors – die Ruinen des römischen Militärlagers sehen, wo sich erst ein vicus (eine Siedlung mit kleinstädtischem Charakter) entwickelte. Beide, Militärlager und vicus, wurden 123-124 von Kaiser Hadrian (Caesar Traianus Hadrianus Augustus, 76-136 n.Chr., Kaiser zwischen 115-136) besucht, der der Niederlassung den Titel eines municipium verlieh, das später von Kaiser Septimius Severus (Lucius Septimius Severus Pertinax, 146-211 n. Chr., Kaiser 193-211) zur colonia erhoben wurde. Vor 271, dem Jahr des Rückzugs der Römer aus den Territorien nördlich der Donau, hatte die Colonia Drobeta ihre maximale Ausdehnung. Das letzte Bauwerk, das im Zuge der Zerstörungen und des Wiederaufbaus der Zeit der Völkerwanderung verschwand, war der Turm des Justinian – Byzanz hatte auch in Drobeta, wie auf dem gesamten Balkan und vor allem entlang der Reichsgrenze an der Donau, sein Händchen im Spiel.
Szörényvár, zu deutsch Severinburg, entstand wieder unter der Jurisdiktion des im Banat und der Kleinen Walachei sehr aktiven Erzbistums von Kalócsa. Es war das Zentrum des Banats von Severin, aus dem später die „Kleine Walachei“ oder „Oltenien“ wurde. Als mittelalterliche katholische Kolonie Turnu Severin stand das Gebiet unter dem Patronat des Heiligen Severin von Noricum. 1246 wird ein Bischof Gregorius von Severin erwähnt, einer von sieben römisch-katholischen Bischöfen des mittelalterlichen katholischen Bistums Severin. Etwa aus derselben Zeit stammen auch die (heute konservierten) Grundmauern der Severin-Kirche, die man im heutigen Drobeta-Turnu Severin besichtigen kann. Nicolae Iorga legt das Gründungsjahr des mittelalterlichen Turnu Severin auf 1238 fest, die heutige Stadt ist eine Gründung des 19. Jahrhunderts. Nach dem Frieden von Adrianopel 1829, als die Donau als internationaler Schifffahrtsweg frei wurde, wurde 1833 der Beschluss gefasst, Turnu Severin planmäßig aufzubauen. Heute noch erkennt man das Schachbrettmuster des Straßenrasters. 1841 wurde der Kreissitz von Cerneți nach Turnu Severin (oder Turn-Severin, oder einfach Severin) verlegt.
(Schluss der Donaureportage in unserer nächsten Samstagausgabe)