WORT ZUM SONNTAG: Advent und Bußtag


1. Es kamen aber zu der Zeit einige, die berichteten Jesus von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. 2. Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: „Meint ihr, dass diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle andern Galiläer, weil sie das erlitten haben? 3. Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen.“   Lukas 13,1 – 3
 
Der zweite Adventssonntag wird in der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien seit dem Jahr 1919 als „Landeskirchlicher Bußtag“ begangen. Als dieser Bußtag – damals durch Beschluss der Landeskirchenversammlung – eingeführt wurde, war gerade der Erste Weltkrieg zu Ende gegangen. Jeder Krieg hinterlässt körperliche und seelische Wunden; einige vernarben mit der Zeit, andere jedoch nie so richtig. Was aber besonders nachdenklich stimmt, ist die Tatsache, dass solche – von Menschen verursachte – Katastrophen in unterschiedlichen Größenordnungen im Laufe der Geschichte immer wieder vorkommen. Aus Fahrlässigkeit oder aber vorsätzlich vom Hass getrieben oder wegen dem, was manche Irren für Gottes Auftrag halten, fügen Menschen andern Menschen unermessliches Leid zu. In den vergangenen Wochen war die Berichterstattung voll davon.

Die erste menschliche Reaktion ist in der Regel eine voyeuristische. Soweit man nicht selber oder ein Bekannter bzw. ein Familienmitglied betroffen ist, ist die Mehrheit einfach neugierig. Die zweite Reaktion ist das Mitleid, die Empathie. Wem tun die jungen Menschen, welche im Bukarester Club „Colectiv“ zu Tode gekommen sind oder noch in den Krankenhäusern liegen, nicht leid? Die dritte Reaktion ist die Angst: Dasselbe, was ich gerade am Bildschirm gesehen habe, könnte auch mir oder einem nahe stehenden Menschen geschehen. Wenn höchste Terrorwarnstufe ausgerufen wird, und dies im Herzen Europas, dann gerät unsere gesamte freiheitliche Gesellschaftsordnung, zu der wir so froh waren, nun endlich auch dazugehören zu dürfen, aus den Fugen. Leider haben in solchen Zeiten die Radikalen aller Couleur Hochkonjunktur. Man kann nur hoffen, dass die Übeltäter endlich dingfest gemacht werden. Aber in ein paar Wochen oder Monaten kann sich das Szenario wiederholen.

Am „Landeskirchlichen Bußtag“ kann oder soll es aber auch eine vierte Reaktion geben, die theologische. Zunächst ein Blick in  die Geschichte: In der rabbinischen Theologie zur Zeit Jesu wurde ein enger Zusammenhang zwischen dem, was der Mensch tat (oder seine Vorfahren getan hatten) und dem, was ihm widerfuhr, gesehen. Von Menschen verursachte Katastrophen geschahen auch damals. Der römische Gouverneur in Jerusalem, Pilatus, war für seine Grausamkeit, welche er gerne zur Schau stellte, bekannt. Offenbar hatte er sich nicht gescheut, fromme Juden umzubringen, während diese im Tempel ihr Opfer darbrachten. Neben der Trauer und der Wut darüber, kam im damaligen Kontext die Frage hoch: „Womit haben diese so schwer gesündigt, dass ihnen so etwas widerfährt?“ Mit dieser Frage sind die Leute an Jesus herangetreten. Die Fragenden hatten – nicht anders als der Mensch von heute – voyeuristische oder empathische Motive, nach dem Motto: „Nun sieh mal an, was dieser Pilatus wieder zu tun imstande war!“ oder „Da wollten diese Unglücklichen einfach nur ihren religiösen Pflichten nachkommen, und dann widerfährt ihnen ein solch grausames Schicksal.“ Vielleicht hatten sie aber auch einfach nur Angst, dass sie bei ihrem nächsten Tempelbesuch selber das Ziel von Pilatus krankhaft-grausamer Phantasie hätten werden können.

Jesu Antwort fällt – wie so oft – anders als erwartet aus; sie weist über das damalige theologische Denken weit hinaus und ist heute aktueller denn je. Bemerkenswerter Weise lehnt Jesus einen direkten Zusammenhang von persönlicher Schuld und persönlichem Schicksal ab. Jesu Aussage zielt in folgende Richtung: Die Erfahrung von Leid in dieser Welt soll nicht den als Sünder entlarven, dem das Leid widerfährt, sondern soll die andern um ihn herum zur Buße führen. Nicht nur darum, weil dieses Leid allen andern (und selbstverständlich auch mir) genauso widerfahren könnte, soll es uns nachdenklich stimmen. Weil wir allesamt Sünder sind, sollen wir versuchen unser Leben zu ändern. „Änderung des Sinnes“ (griechisch: „metanoia“) ist das Schlagwort, welches Jesus ins Spiel bringt; es ist zugleich das Leitwort des „Landeskirchlichen Bußtages“. Indem der Mensch bereut, wird ihm bewusst, dass er nicht von der eigenen Sünde abhängt, sondern von der Vergebung, die ihm von Gott geschenkt wird. Das Ziel dieser Sinnesänderung ist jene, sich aufs Neue Gott zuzuwenden, das Verhältnis zu IHM wieder ins rechte Lot zu rücken. Durch die Menschwerdung seines Sohnes, hat er uns den Weg zur Überwindung dieser Welt gewiesen. Das dürfen und sollen wir uns im Advent aufs Neue in Erinnerung rufen.