Wort zum Sonntag: Die höhere Kraft

Der oströmische Kaiser Theodosius erließ eines Tages eine Amnestie. Die Türen sämtlicher Gefängnisse Konstantinopels wurden geöffnet und die Gefangenen in Freiheit gesetzt. Der kaiserliche Hof wunderte sich über diese so weitgehende Milde. Ein hoher Beamte drückte dem Kaiser darüber sein Befremden aus. Theodosius erwiderte: „Wollte Gott, ich könnte alle Gräber öffnen und allen Toten das Leben wiedergeben, wie ich jetzt den Gefangenen die Freiheit wiedergab.“ Das war ein löblicher Wunsch, den er aber mit all seiner kaiserlichen Macht nicht erfüllen konnte. Menschen bringen nur das Gegenteil fertig, nämlich Mitmenschen vom Leben in den Tod zu befördern. Diese Fertigkeit beherrschen sie gut. Das menschliche Gehirn hat sich mannigfaltige Arten ausgedacht, wie man andere Menschen vom Leben zum Tode bringen kann. Die Juden steinigten die zum Tode Verurteilten. Die Römer erfanden noch grausamere Todesarten. Sie warfen die Christen den wilden Tieren zum Fraße vor. Rebellen und entlaufene Sklaven wurden ans Kreuz geschlagen. Nur römische Bürger genossen den Vorzug, mit dem Schwert enthauptet zu werden. Im Mittelalter wurden die Ketzer und die zu Hexen gestempelten Frauen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Man kann die Tötungsarten gar nicht alle aufzählen.

Während der Französischen Revolution wollte man die Hinrichtung „humaner“ gestalten. Ein findiger Kopf erfand die gesuchte „humane“ Hinrichtungsmaschine: das Fallbeil. Der Arzt Guillotin stellte dem Konvent diese Maschine zur Approbierung mit den makabren Worten vor: „Meine Herren, mit dieser Maschine schneide ich Ihnen den Kopf so schnell und schmerzlos ab, dass Sie es nicht einmal merken!“ Die Guillotine erwies sich als gut funktionierende Köpfmaschine. Man konnte damit Menschen aber nur einzeln, einen nach dem anderen, hinrichten. Das war für die braunen Hitlerschergen zu langsam. Sie erfanden eine Tötungsart, bei der viele Menschen auf einmal und in kürzester Zeit getötet wurden: die Gaskammer.

Das eine kann der Mensch: Leben töten! Das hat er im Laufe der Geschichte viele Millionen Male bewiesen. Nur das andere kann er nicht: Tote zum Leben erwecken! Ärztliche Kunst versucht das Leben zu erhalten. Eine wahrhaft humane Tat. Aber sie hat nur bescheidene Möglichkeiten; es gelingt ihr oft, den Tod für einige Zeit fernzuhalten, aber ausschalten kann sie ihn nicht. Das kann nur einer mit einer „höheren Kraft“. Wer ist mit dieser höheren Kraft ausgerüstet?

Das Evangelium stellt uns einen Mann vor, der diese „höhere Kraft“ besitzt: Jesus Christus! Sein Freund Lazarus lag bereits vier Tage im Grabe. Christus trat an das Grab, ließ die Steinplatte weg heben und rief mit machtvoller Stimme: „Lazarus, komm heraus!“ Das Unfassbare geschah: Der tote Lazarus kam als zum Leben Erweckter aus dem Grabe heraus. Wie war das möglich? Menschen können sich als Herr über das Leben anderer Menschen aufspielen und sie mit Gewalt töten, aber Tote zum Leben erwecken können sie nicht. Es fehlt ihnen die „höhere Kraft“. Nur Gott allein, der aus der leblosen Materie das Leben erschuf, kann Tote zum Leben erwecken. Jesus Christus hat an Lazarus diese einzig Gott gehörende Kraft ausgeübt. Das bringt uns zur logischen Erkenntnis, die uns wie Petrus das Bekenntnis sprechen lässt: „Du bist der Sohn des lebendigen Gottes!“

Es hat schon viele Geistesgrößen auf Erden gegeben: Religionsstifter, Denker, Wissenschaftler und Machthaber. Keiner hat es jemals gewagt, ein solches Wort wie Christus auszusprechen: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt!“ Wollte ein anderer Mensch solche Worte im Ernst aussprechen, würde man ihn als Narren auslachen. Im Munde Jesu sind diese Worte das Natürlichste auf der Welt, denn sie sind die Wahrheit.

Wir wollen diesem einzigartigen Lebensspender im Glauben, in der Hoffnung und in Liebe anhängen. Wer hat keine Furcht vor dem Tod? Wie können wir dieser Furcht entrinnen? Die wahre Überwindung der Todesfurcht gelingt nicht durch Verdrängen der Gedanken an den Tod, sondern durch die Hoffnung auf Christus, der die höhere Kraft besitzt. Verankern wir uns fest im Glauben an Jesus Christus, der Herr auch über den Tod ist. Dann brauchen wir den Tod nicht zu fürchten, denn auch wir werden getragen von einer „höheren Kraft“.