Zwischen Großartig und Verfall

Herkulesbad hat mehr touristische Aufmerksamkeit verdient

Bettenburgen, von Wäldern und Bergen umgeben

Herkulesstatue in der Altstadt | Fotos: George Dumitriu

In der Altstadt des romantischen Städtchens...

...zittern Ruinen einer besseren Zukunft entgegen.

Es gibt auch schon schön restaurierte Ecken.

Apollo-Bäder: Kaiserin Sissis Badewanne

Apollo-Bäder: das Aphrodite-Becken der Römerinnen

Überwältigendes Erlebnis: eine Schiffsfahrt in die Donaukessel

Der zauberhafte Bigăr-Wasserfall

Wanderwege

„Lasst uns nicht über Ruinen sprechen, sondern über das Potenzial von Herkulesbad“, plädiert Dan Buru, Kulturbeauftragter im Rathaus und Vertreter desselben in der „European Historic Thermal Towns Association“ (EHTTA) der Vereinten Nationen, der größten europäischen Balneotourismusvereinigung, die in Herkulesbad/Băile Herculane vom 7. bis 9. Mai ihr großes Jahrestreffen hatte. „Und die Leute waren begeistert!“, schwärmt Buru. Ruinen gelten anderswo nicht als Schande, sondern als Sehenswürdigkeit, fügt er schmunzelnd an. Und beginnt, die Attraktionen der Region aufzuzählen: eine außergewöhnliche Natur im Domogled Nationalpark, 21 Bergwanderwege; touristische Ziele, zum Greifen nah: die urigen Holzmühlen der Rudărie in Eftimie Murgu, die zauberhafte Donaukessel-Landschaft bei Orșova, am besten mit dem Schiff zu erkunden. Ganz zu schweigen von den unzähligen Mineralquellen von Herkulesbad und einem einzigartigen Klima reich an negativen Ionen. „Haideți să vorbim frumos despre Băile Herculane!“

Sprechen wir also schön von Herkulesbad, denn „die Dinge bewegen sich in eine positive Richtung“, meint Buru überzeugt. Selbst für die Ruinen: der europäische Denkmalschutz-Verbund Europa Nostra, der die Interessen von mehr als 400 Nichtregierungsorganisationen und Privatpersonen aus 45 Ländern gegenüber der Europäischen Union, dem Europarat und der UNESCO vertritt, hat seinen Besuch bereits angekündigt. Neben den „Gebäuden, die Hilfe benötigen“, wie er die verfallenden Gemäuer von Herkulesbad liebevoll nennt, gibt es inzwischen an die 100 Übernachtungsquartiere, davon 15 moderne oder renovierte Hotels, mit rund 5000 Betten.

Trotzdem ist die Besucherstatistik alles andere als ermutigend: Nicolae Lupu, Professor für Tourismus an der Bukarester Wirtschaftsuniversität ASE, zitiert: die mittlere Aufenthaltsdauer von Touristen liege bei 3,1 Nächten – im Vergleich zu 9 Nächten im Jahr 1988 „noch im vollen Kommunismus“! Wer damals zur balneologischen Behandlung kam, blieb sogar obligatorische 12 Nächte. Die aktuellen Zahlen hingegen deuten auf simplen Wochenend-Ausflugstourismus hin. Dabei hat Herkulesbad ein ganz anderes Potenzial: Badetourismus in der Nebensaison mit langfristigem Aufenthalt für bessere Heilerfolge, Wellness, Natur- und Aktivtourismus mit Wandern, Höhlen erkunden, Wildwasserrafting, Konferenztourismus und mehr.

Wir verbringen vier Tage in der Region: Erkunden touristische Attraktionen. Streifen durch den Domogled-Park. Schwelgen morgens vor dem Frühstück im salzigen, borhaltigen Thermalwasser des Hotels Roman – nicht mehr als 20 Minuten. Marschieren – auf Empfehlung schweigend – durch den Wald. „Wer schweigend wandert, kann keine negativen Gedanken haben“, erklärt Buru.  Wir reden mit Experten, besichtigen Hotels. Es gibt viel Lobenswertes, viel Beeindruckendes, viel Schönes zu entdecken!“ Aber, zugegeben, auch so manche „Ruine“...

Höhlen, Wasserfälle, Wildnis

Gleich hinter dem Hotel Roman liegt der Eingang in den Domogled Nationalpark mit Besucherzentrum, wo man sich auf Fauna, Flora und die Naturschutzregeln im Park einstimmen kann. Hier muss sich der Mensch an die Natur anpassen, Tourismus steht nicht im Vordergrund, erklärt unser Guide, Gheorghe Lungu, auch Lehrer für Geografie und Mathematik. Der auf über 60.000 Hektar über drei Landeskreise (Mehedin]i, Karasch-Severin, Dolj) ausgestreckte Nationalpark umfasst das Cerna-Tal und -Gebirge und stellt das größte hydrografische Becken Rumäniens dar. An der Izbucul Cernei hat der Fluss Cerna, der Herkulesbad durchfließt, einen Wasserdurchlauf von 15 Tonnen pro Sekunde.

Es gibt thermale Höhlen, in denen geschützte Fledermauskolonien leben, etwa die Hufeisennase in der Adams-Höhle, die wissenschaftlichen Zwecken dient und zudem eine besondere Kuriosität beherbergt: schwammartige Stalaktiten, die sich angeblich bewegen „was aber eigentlich unmöglich ist“, meint Lungu und zitiert verschiedene Theorien dazu. Vielleicht sind sie auf einem weichen Guanoberg oder auf einem gelartigen Film an der Höhlendecke gewachsen. In der Dampfgrotte benebeln stinkende Schwefeldämpfe die Sinne, sie nähren eine seltene Moosart. In der Ion-Barzoni-Höhle kann man Boden-Tropfsteingebilde aus Gips bestaunen. Wir klettern den Pfad zur Haidukken-Höhle hinauf, die zahlreiche Inschriften zieren, die älteste aus dem Jahr 1824. „So wird aus Vandalismus Geschichte“, scherzt Lungu. Buru erzählt von einem Forschungsprojekt der Universität Tübingen, in dem die Wände nach verborgenen, noch älteren Graffiti abgescannt werden sollen.

Drei Wasserfälle, der Cerna-Fall, die mehrstufige Cascada Cociului und der Fecioara-Maria-Fall sind auf markierten Wanderwegen von Herkulesbad aus in wenigen Kilometern zu erreichen. Rund 100 Kilometer entfernt liegt direkt an der Straße der berühmte Bigăr-Wasserfall, geeignet für einen kurzen Foto-Stopp, doch auch von dort aus lässt es sich in herrlicher Natur ins Gebirge wandern.

Wir schlendern auf der Asphaltstraße zurück nach Herkulesbad, die rauschende Cerna entlang. Hier entsteht bei entsprechendem Wasserstand, der am oberen Staudamm geregelt wird, spontan „eine großartige Tourismus-Industrie“, erzählt Gheorghe Lungu: Wildwasser-Rafting! Bedauernd fügt er an, dass die Verwaltung des Staudamms den Bitten aus Herkulesbad um einen zweistündigen Wasserschwall jedoch nur ungern nachkommt – „es sind halt verschiedene Institutionen. Dafür halten hier Autobusse mit Touristen aus Ungarn, man gibt ‚șpaga‘ und die Cerna sprudelt...“

Die umliegende Berglandschaft ist von einer besonderen endemischen Spezies, der Banater Schwarzkiefer geprägt, der sogar ein jährliches Festival gewidmet ist (Ende Mai).

Zu den geschützten Tieren im Domogled Nationalpark gehört auch die giftige Hornviper, die man aber in der intakten Wildnis nicht fürchten muss, so Lungu. „Sie hat einen hochsensiblen Vibrationssinn und flüchtet vor allen Tieren, die ihre Beutedimension übersteigen. Aber mit den Schlangen hier unten an der Asphaltstraße ist es halt wie mit den Bären in Kronstadt: Die am Straßenrand angebrachten Mülleimer ziehen Mäuse an, woraufhin sich dort dauerhaft Hornvipern einnisten, die aber von den vorbeidonnernden Lkws total gestört sind und entsprechend aggressiv reagieren.“ Auch vor Bären in freier Wildbahn müsse man hier keine Angst haben, illustriert er anhand einer Anekdote: Ein Bärenjunges sei einen Steilhang heruntergepurzelt, von der Mutter weit und breit keine Spur. Also brachte er das Baby in Sicherheit, nahm seine Schreie auf und spielte sie dann im Wald ab, um die Mutter anzulocken. Aber: „Mit den Bären auf der Transfogarascher Hochstraße würde ich mich das nicht trauen!“

Der Wald als Lehrmeister

Lungu kennt den Wald wie seine Westentasche. „Ein nicht ausgebeuteter Wald ist der größte Lehrmeister“, erläutert er am Beispiel eines vom Blitz getroffenen Baums, der, schwer verletzt, von Schädlingen befallen wird, aber seltsamerweise nicht stirbt. Denn die anderen Bäume ernähren ihn unterirdisch über ihr Wurzelsystem, „solange der Baum um sein Überleben kämpft.“ Warum? Weil er ihnen dadurch die Parasiten fernhält. „Eigentlich gibt es im Wald keine Schädlinge, selbst zwischen Jäger und Beute herrscht eine Art Beziehung. Der Wald ist die Quelle der Weisheit.“

Der Wald ist aber auch ein Gesundbrunnen: Früher verordneten die Ärzte ergänzend zu den täglichen Bädern ihren Patienten gezielt Waldspaziergänge. Es gab „poteci de cura“, „Kurwege“, auf denen man schweigen und lächeln musste. Noch wirksamer seien die Wanderungen, wenn man erst am nächsten Tag zurückkehrt. Dann sei man ein völlig anderer Mensch! „Hier wurden die Leute gläubig von der Magie des Ortes.“ Der Heilansatz sei früher ein ganz anderer gewesen, setzt Lungu fort. Viel längere Aufenthalte, gezielte tägliche Bäder, ausgiebige Waldwanderungen und die stark negativ ionisierte Luft hätten „im Gegensatz zu heute noch echte Heilungen“ zur Folge gehabt. Aus der Römerzeit sind 400 dauerhafte Heilungen dokumentiert, sagt Lungu. Auch Kaiserin Sissi sei in Herkulesbad von ihrer langjährigen Depression genesen.

Balneomedizin ist eine hohe Kunst

Nicht nur Dan Buru, auch Gheorghe Lungu sieht im Balneotourismus eine große Chance für Rumäniens Wirtschaft. Nicht umsonst besuchten einst Größen von Weltrang Herkulesbad. Etwa Kaiser Franz Josef von Österreich, der sich hier am 27. September 1869 mit Rumäniens König Karl. I. und Serbiens König Alexander I. traf, wie eine Gedenktafel am Straßenrand festhält. „In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Herkulesbad ein europäisches Spionagezentrum, so viele wichtige Leute kamen her“, scherzt Lungu.  

Die historischen Apollo-Bäder bezeugen die illustre Besucherflut: Dort gibt es steinerne Einzelbadewannen, benannt nach ihren häufigen Gästen: Kaiser Franz Joseph, König Ferdinand und Königin Maria, Musikgenie George Enescu, Bildhauer Constantin Brâncuși, der sich hier mit seiner Geliebten Maria Tanase traf… Ihre Konterfeis und Geschichten prangen an den Wänden dieser ältesten Badeanstalt Europas, die man als Museum besuchen kann.

Die Sammelbecken hingegen dienten den Römern als Offiziersbäder. Sie waren der Göttin Hygieia, Tochter des Äskulap, geweiht, die wie dieser mit einer Schlange dargestellt wird. Zum Dank für die Heilung warf man eine Münze ins Becken. Die Damen hingegen badeten der Schönheit wegen im Aphrodite-Becken, das ihre Statue ziert, im Wasser schwammen duftende Rosenblütenblätter.

Schon die römischen Ärzte beherrschten die hohe Kunst der Balneotherapie: In den ersten zehn Minuten öffnen sich die Poren und die Mineralien strömen hinein, anschließend musste man im warmen Wasser sitzend einen heißen Tee trinken und Schlackenstoffe ins Wasser ausschwitzen, erklärte Lungu.

Vorsicht ist geboten vor der Nutzung warmer Quellen im Freien, die von Campern aus dem ganzen Land geradezu belagert würden, die dann stundenlang darin dümpeln oder warm-kalte Wechselbäder praktizieren. So manchen hätte schon die Ambulanz vergeblich abgeholt, erzählt eine Therapeutin im Hotel Minerva. So seien schwefelhaltige Quellen Herzkranken und Bluthochdruckpatienten strikt verboten. Auch für Gesunde sollte die die Badezeit 20 Minuten nicht überschreiten. Wer sich in Herkulesbad behandeln lassen möchte, tut dies am besten auf ärztliche Empfehlung und mit Überweisung.

Neben 17 verschiedenen Multimineralquellen – nicht nur zum Baden, auch für Trinkkuren oder zur Behandlung der Augen – hat Herkulesbad auch eine ganz besondere Luft: Sie ist reich an negativen Ionen. Diese stabilisieren das Nervensystem, auch das habe zu Sissis Heilung beigetragen. Während in Sinaia zwischen 700 bis 1200 negative Ionen pro Kubikmeter und Sekunde entstehen, seien es hier 1200 bis 6000 – abhängig vom Klima, bei Regenwetter mehr.

Wellness und Therapien

Wir besichtigen drei moderne Hotels, drei bis vier Sterne, die Führung lässt uns beeindruckt zurück. Und frustriert, denn wir wohnen im vierten: Hotel Roman, lieblos renoviert, völlig überteuert, den kommunistischen Mief noch zwischen den Wänden. Das an sich großartige hauseigene Thermalbad – Mosaikwände, Steinbecken, borhaltiges Salzwasser, herrlich badewannenwarm – schockiert mit faustdickem Schimmel in den Ecken an der Decke; es gibt keine Badeaufsicht, an den Schlüsselkästen fehlen die Schlüssel, darunter Wollmäuse und zerknüllte Taschentücher. Das im Zimmerpreis inbegriffene Frühstück ist eine Zumutung: schlechte Qualität, ewige Servierzeiten, Kaffee oder Tee extra zu bezahlen.

Im Vergleich die Hotels „Diana“ (3 Sterne), „Afrodita“ (4 Sterne) und „Minerva“ (4 Sterne) – ein Unterschied wie Himmel und Erde! Mit der schönsten SPA-Landschaft – lebende Mooswände, Pflanzen, geschmackvolles Design aus Birkenstämmen, verschiedene Saunen, Saline, Salzgrotte zum Hineinschwimmen, Fitnesssaal – besticht „Afrodita“, wo das Konzept vor allem auf Wellness für die ganze Familie setzt, dafür gibt es keine Therapien. Klassisch elegant und gepflegt wirken die Schwimmlandschaften der anderen beiden Hotels, über deren umfassende Therapieangebote (Laser-, Elektro-, Magneto-, Ozon-, galvanische Therapie etc.) man sich auf deren Webseiten informieren kann.

Ausflugsziele in der Umgebung

Herkulesbad eignet sich auch als Ausgangsort für Ausflüge und Besichtigungen. Im nahen Almaj-Tal zwischen dem Semenik und dem Almaj-Gebirge locken Seen, Höhlen, Schluchten und Klöster oder der Weitwanderweg Via Transilvanica. Empfehlenswert ist ein Tagesausflug in die Rudăria mit ihren beeindruckenden hölzernen Wassermühlen. Ausgehend von Eftimie Murgu lassen sich 22 funktionelle Mühlen wandernd entdecken, insgesamt gibt es über 50.

In Orșova sollte man sich eine ca. dreistündige Schiffsfahrt in die Donaukessel nicht entgehen lassen, umgeben von bewaldeten Bergen und Hügeln auf rumänischer wie serbischer Seite. Im Dubova-Golf grüßt das gigantische Felsporträt von Dakerkönig Decebal vom Berg. Direkt mit dem Auto kann man auf einer schmalen Asphaltstraße das hoch über Orșova thronende orthodoxe Nonnenkloster Sfânta Ana erreichen, gegründet vom Journalisten Pamfil Șeicaru (1894-1980), dem das Klostermuseum gewidmet ist. Dort besticht nicht nur die Aussicht auf die Donau, sondern auch ein überwältigendes Blumenmeer das Auge.

Nur hundert Kilometer von Herkulesbad entfernt liegt Târgu Jiu mit seinem berühmten Brâncuși-Komplex. Wer aus Bukarest anreist, sollte unbedingt in Craiova Pause machen: das prachtvolle Kunstmuseum mit Brâncuși-Zentrum ist definitiv einen Besuch wert. Auch eine Stippvisite nach Kladovo, Serbien, mit Besichtigung der aufwendig restaurierten Festung Fetislam eignet sich als Halbtagesausflug. Über all diese Ziele werden wir in Folgeartikeln berichten.

Unser letzter Tag in Herkulesbad: Sonntagabend, Ende Mai. Die Stadt ist wie ausgestorben, die Lichter erloschen, nur schwer lässt sich um halb zehn Uhr noch ein Speiselokal finden, das Essen ist bescheiden. Einsam trotzt die Herkulesstatue dem beginnenden Regen, dahinter das Rauschen der Cerna. Das Nachtleben pulsiert hier wohl nur in den modernen Hotels. In der Altstadt zittern die Ruinen unter ihren dünnen Folienkleidern einer besseren Zukunft entgegen. Und wir drücken ihnen die Daumen: Herkulesbad hat eine Chance verdient!