Die österreichische Medizin war zu Beginn des 20. Jahrhunderts weltweit führend in der Forschung und legte Grundlagen für die heutige Medizin. Clemens von Pirquet (1874-1929) führte 1906 den Begriff „Allergie“ ein, der heute zahlreiche Zivilisationsreaktionen definiert. Ernst Peter Pick (1872-1960) veröffentlichte 1912 eine wegweisende Studie zur Antikörperforschung. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gingen vier Nobelpreise für Medizin an Österreicher (Robert Bárány, 1876-1936; Julius Wagner-Jauregg, 1857-1940; Karl Landsteiner, 1868-1943; Otto Loewi, 1873-1961) und alle Entdeckungen (Gleichgewichtsorgan des Innenohrs; Behandlung von Spätformen der Syphilis, Malariaimpfung; Blutgruppenentdeckung; chemische Übertragung der Nervenimpulse) fußten auf grundlegenden Erkenntnissen aus der Zeit zwischen 1900-1914.
Nicht ganz folgerichtig, aber die sozialen Zusammenhänge gründlich überdenkend, hat Gustav Klimt, als er den Auftrag für seine „Fakultätsbilder“ erhielt (das Ausschmücken der Wiener Universität) keine Verherrlichung der glorreichen österreichischen Medizin seiner Zeit vorgenommen, sondern Göttin Hygeia in den Vordergrund gestellt, streng, unnahbar, und eine von ihr unberührte Menschheit dargestellt in einer breiten Palette von Sinnes- und Seelenzuständen, von Leid, Verzückung bis Siechtum. Den Skandal besänftigte er, indem er die Bilder entfernte und auf Schloss Immenhof in Niederösterreich ausstellte (und anschließend keine öffentlichen Aufträge mehr annahm) - wo sie bei den Kriegshandlungen in den letzten Tagen des zweiten Weltkriegs verbrannten...
Ob und inwiefern die bahnbrechenden Forschungen Sigmund Freuds im Bereich der Psychoanalyse quasi „in der Luft“ lagen (Freud meinte, sie seien „sicher nicht vom Himmel gefallen“), Eros und Tod, Traum und Wirklichkeit, Hysterie und Weiblichkeit, das Unbewusste, das war sicher nicht bis in die ländlichen Räume des Banats bedrungen oder gar bewusst, obwohl es Überlieferungen über am Land wirkende Wunderdoktoren gibt, denen Allheilkunst nachgesagt wurde (die derartigen Überlieferungsfragmente hat unseres Wissens noch niemand schriftlich fixiert) und die nicht selten in Wien studiert und also bestimmt etwas von dem mitbekommen hatten, was damals „in der Luft lag“.
Den Konflikt zwischen Innenwelt und sozialer Norm haben jene Landärzte in ihrer Tagespraxis bestimmt erkannt, nur darf man rätseln, inwieweit sie auch einen Gesprächskreis hatten, durch welchen dieser weiter hinaus, unter die Leute kam.
Fakt ist, dass auch alldiese Entwicklungsansätze jäh vom Krieg abgebrochen wurden und dass der Blutzoll, den jede Ortschaft entrichtete, einen Entwicklungsbruch im Physischen wie Geistigen hervorrief – wie hier auf der Gedenkstele von Moritzfeld lapidar dargestellt, indem bei allen Kriegsopfern das Alter angegeben wird. Zwischen 18 und 51 Jahre alt waren die weit mehr als hundert Moritzfelder Gefallenen des ersten Weltkriegs, mehrheitlich zwischen 20 und 35. Das banatschwäbische Dorf blieb ohne Männer. (wk, Fotos: ak)