Ein Zeichen sollte das Publikum an diesem kalten Winterabend der neuen DSTT-Premiere ungewollt in das dunkle Zeitalter der Tragödie “Titus Andronicus” von W. Shakespeare einstimmen: Pünktlich, um 19.30 Uhr, zu Spielbeginn, fiel das Theater wie das gesamte Stadtzentrum durch einen Stromausfall in minutenlange Finsternis. Die Inszenierung “Titus Andronicus”, das Gesellenstücks von Shakespeare (Entstehung 1589-92, erste Aufführung 1594) führte in die düstere Atmosphäre dieser bei seinen Zeitgenossen so beliebten Rachetragödien. Die Saga um den römischen Feldherr Titus Andronicus, den edlen Römer und Heerführer gegen die Goten, bringt eine der gar nicht ungewöhnlichen Dramen um Macht, Rache und Leidenschaft aus der Endzeit des Römischen Reiches auf die Bühne: Mord folgt auf Mord, grausame Folter, abgeschnittene Köpfe, Zungen und Hände werden durch andere Greueltaten wie Vergewaltigung und Schändung noch überboten.
Was soll das heute auf der Bühne? Das blutrünstige Stück (englisch “The Most Lamentable Roman Tragedy of Titus Andronicus” führt lediglich das zeitlose, blutige Spiel der Macht, einen leider allbekannten Leitfaden der Menschheitsgeschichte vor . Laut dem in London geborenen Regisseur Brian Michaels ist Shakespeare heute nach wie vor die große Herausforderung zur ständigen Sichtung unserer Lebenswirklichkeit, zur Wachsamkeit. ”Es gibt keine Theorien, nur William Shakespeare, den größten Schriftsteller, den die Welt je gesehen hat,”meint der Regisseur. Das Stück galt lange Zeit als “schwarzes Schaf” unter den 38 Dramen des großen Will. T.S. Elliot nannte es gar “eines der dümmsten jemals geschriebenen Stücken”. In einem offenen Brief Peter Brooks an Shakespeare wird es als “fürchterliches Stück” bezeichnet. Trotzdem: In der Neuzeit wurde es von der Kritik weit besser bewertet, man entdeckte starke Akzente aus den späteren großen Stücken wie “König Lear” oder “Hamlet”.
Stark und kompromisslos setzte Regisseur Michaels seine Akteure in dieser Inszenierung ein, allen voran, selbstzerstörerisch und brutal Radu Vulpe (Titus Andronicus), Enikö Blennessy (Tamora), die für jede Schandtat guten Söhne der Gotenkönigin Demetrios (Alex Halka) und Chiron (Alex S²vescu). Hervorragend das komplexe Spiel in Wort und Gestik von Georg Peetz als Außenseiter, der den gewissenlosen Fädenzieher und Ränkeschmied Aaron (aus dem Mohr wurde ein weißer Magier in dieser Inszenierung) überzeugend darbietet. Diese Gestalt gibt eigentlich auch den großen Rässoneur dieser Geschichte aus der Geschichte ab: “Das Morden? Das ist Politik!” Hervorzuheben auch Rare{ Hontzu (Saturninus, Kaiser von Rom), der mit seinem Spiel geschickt parodische Akzente einführt. Die Endzeitstimmung und die Demontage deutet zudem einfühlsam Ioana Popescu (Bühnenbild und Kostüme) mit ihrer Abbruchszenerie an.
Für die Regieassistez zeichnete Mizgin Bilmen (a.G.), für die Dramaturgie Hanns-Dietrich Schmidt (a.G.) und Valerie Seufert, die Musik komponierte Alex Halka.