Nur wenige sind es, die im heutigen Rumänien Alarm schlagen, wenn es um die regionalen Unterschiede geht, um die unausgewogene Entwicklung der Landesteile Rumäniens, um das Gefälle zwischen Stadt und Land, zwischen dem Banat und Siebenbürgen einerseits und dem Altreich andererseits. Die Bukarester Tageszeitung „Ziarul Financiar” präsentiert immer wieder öffentliche Statistiken, die darauf hinweisen, dass das Land ökonomisch und gesellschaftlich auseinanderdriftet.
Man blicke auf die jüngst veröffentlichte regionale Distribution des Exportaufkommens: Wenn im vergangenen Jahr der Landkreis Temesch für 9,5 Prozent der Gesamtausfuhren Rumäniens (5,2 Milliarden Euro) verantwortlich war, so kamen die Kreise Gorj und Giurgiu im Süden für jeweils 0,1 Prozent der Exporte auf, der Landkreis Vaslui in Ostrumänien für 0,3 Prozent. Einen mickrigen Beitrag zur rumänischen Exportwirtschaft leisten im Grunde alle Landkreise des Altreichs, mit Ausnahme von Arge{ (9,7 Prozent), Prahova (3,5 Prozent) und Konstanza (3,7 Prozent). Mit einem Anteil von 17,3 Prozent belegt die Region Bukarest-Ilfov den ersten Platz in der Statistik, und zwar deshalb, weil zahlreiche Exporteure ihre rumänische Zentralniederlassung in der Hauptstadt betreiben und ihre Ausfuhren dort registriert werden. Es folgen die erwähnten Verwaltungskreise Arge{ und Temesch, sodann der Kreis Arad (5,7 Prozent), der Kreis Kronstadt (5,1 Prozent), der Kreis Hermannstadt (4,2 Prozent), der Kreis Konstanza (3,7 Prozent) sowie die Kreise Bihor und Prahova mit jeweils 3,5 Prozent. Kein anderer Landkreis erreicht die Drei-Prozent-Marke, einen 2 bis 2,2-prozentigen Anteil weisen die Kreise Klausenburg, Olt, Dolj und Maramure{ auf. Auf die Hälfte der Temescher Ausfuhren kommen die fünf oltenischen Landkreise zusammen, die Westregion (Temesch, Arad, Hunedoara und Karasch-Severin) exportiert drei Mal so viel wie die gesamte Moldau (Suceava, Botoșani, Jassy/Iaşi, Neamţ, Bacău, Vaslui, Vrancea und Galatz).
Zwischen Siebenbürgen und dem Banat ist die Bilanz ausgewogener. Die Vorreiter liegen alle an der Westgrenze (Temesch, Arad, Bihor) und in Südsiebenbürgen (Kronstadt, Hermannstadt). Als ein schwaches Exportzentrum entpuppt sich Klausenburg, wo nur 2,2 Prozent der rumänischen Exportprodukte hergestellt werden. Schlusslichter der Region sind die bevölkerungsarmen und strukturschwachen Landkreise Sălaj (0,9 Prozent), Harghita und Karasch-Severin (jeweils 0,6 Prozent) und Covasna (0,5 Prozent) - aber auch diese stehen besser da als die im Landesvergleich exportschwächsten Landkreise Gorj, Giurgiu, Mehedinţi, Vaslui, Teleorman, Ialomiţa oder Brăila. Zusammenfassend: In den ersten zehn bestplatzierten Landkreisen werden zwei Drittel der Exporte verzeichnet, in den letzten zehn gerade einmal 3,5 Prozent.
Was müsste die Regierung aus einer solchen Statistik herauslesen? Was müssten die Kommunalbehörden tun, um die Exportwirtschaft zu fördern? Eindeutig steht fest, dass sich nach 1989 die exportorientierte Wirtschaft dort konzentriert hat, wo eine Industrietradition bereits vor dem Zweiten Weltkrieg existiert hat. Im Banat, in Siebenbürgen, sowie nördlich von Bukarest, in den Verwaltungskreisen Prahova und Arge{, teilweise auch in Konstanza, dem Schwarz-Meer-Hafen. Und natürlich dort, wo die Verkehrsanbindungen am besten waren, die Wege zu den westeuropäischen Märkten am kürzesten: Entlang der ungarischen Grenze. Nicht zufällig erwirtschaften jene Landkreise, die an Ungarn grenzen, von Sathmar/Satu Mare bis Temesch, ein Fünftel der Gesamtausfuhren, die 16 Banater und Siebenbürger Landkreise knapp 43 Prozent.
Das heißt, dass der Autobahnbau, so wie er heutzutage stattfindet, mit Müh und Not, im Banat, in Süd- und Zentralsiebenbürgen, diese Regionen weiterhin wirtschaftlich stärken wird, während der Süden und der Osten aus der ökonomischen Misere nicht herauskommen werden. Denn wenn in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren eine Autobahn zwischen Neumarkt/Târgu Mureş und Jassy sowie eine zwischen Craiova und Temeswar/Timişoara fertig sein sollte, könnte es zu spät sein. Der Verödung ganzer Landstriche in diesen Regionen müsste entgegengewirkt werden, und zwar sofort. Sicher, eine Autobahn zwischen Nadlak und Hermannstadt sowie eine zwischen Thorenburg/Turda und Mühlbach/Sebeş sind absolute Prioritäten, da dort bereits gearbeitet wird und bis 2018 mit der Fertigstellung aller Streckenabschnitte zu rechnen ist. Aber so lange die Moldau keinen vernünftigen Anschluss an Mitteleuropa bekommt, solange die Karpaten in west-östlicher und nord-südlicher Richtung nicht mit einer vierspurigen Straße überquert sind, kann dort nur wenig geschehen.
Auch wenn entlang der Westgrenze akuter Arbeitskräftemangel herrscht, wird sich das ausländische Kapital noch längst nicht in Bârlad, One{ti oder Târgu Jiu ansiedeln. Bevorzugt werden immer noch Städte im Westen, selbst Kleinstädte. Man schaue sich nur den Landkreis Arad an, ausländische Fabriken gibt es in jeder Kleinstadt, in Sanktanna, Pankota, Ineu, Lippa/Lipova, Chi{ineu-Criş und in Petschka. Dasselbe gilt für die Temescher Kleinstädte Großsanktnikolaus/Sânnicolau Mare, Hatzfeld/Jimbolia und Detta, ja sogar für das verschlafene ehemalige Kurstädtchen Busiasch. Mühlbach im Kreis Alba ist ein wahres Industriezentrum geworden, stärker als der Kreisvorort Karlsburg/Alba Iulia. Und selbst im ärmeren Banater Bergland und im Kreis Hunedoara (dort mit Ausnahme des Schiltals) hat sich, im geringeren Umfang, aber immerhin, ausländisches Kapital angesiedelt. Der Kfz-Zulieferer SWS und der Philips-Konzern in Broos/Orăştie tragen wesentlich zur Außenhandelsbilanz von Hunedoara bei.
Auf sich selbst gestellt hat sich das Kapital, vor allem das ausländische, also dort angesiedelt, wo es die höchste Effizienz zu erwarten hatte. Wo es Personal gefunden hat, wo die Wege kurz waren und die Produktion relativ schnell anlaufen konnte. Selbstverständlich kann keine Regierung privates Kapital dorthin lenken, wo sie es gerne haben will; der plumpe Versuch eines PSD-Ministers der N²stase-Regierung, eine US-amerikanische Investition von Temeswar nach Galatz umzuleiten nahm niemand ernst, nicht einmal im Rumänien von vor 15 Jahren. Aber eine kluge Regierung kann zumindest solche Maßnahmen treffen, die dem strukturschwachen Osten und Süden erlauben, einen regeren Anteil am Wirtschaftsleben zu entfalten. Indem sie vor allem die Infrastruktur auf Vordermann bringt und in Bildung investiert. Will sie verhindern, dass sich die Entwicklungsunterschiede verfestigen, dass der Wohlstand sich weiterhin auf derartig ungleiche Weise verteilt (Bukarest plus der Westen vs. Süden plus Osten) und irgendwann in den kommenden Jahren die sozialen Spannungen zunehmen. Denn weite Landstriche leeren sich, Dörfer entvölkern sich, zahlreiche Kleinstädte verfallen zusehends. All das mag düster klingen, doch der Wandel geschieht, befördert natürlich auch durch die Auswanderung von mindestens drei Millionen Bürgern seit 2002.
Es sei noch einmal unterstrichen: Direkt kann und darf der Staat in ökonomische Freiheiten nicht eingreifen. Aber die Wettbewerbsfähigkeit der rumänischen Volkswirtschaft muss der Staat fördern. Auch, indem er versucht, regionale Ungleichheiten abzufedern, arme Regionen bewusst und effizient fördert und vor allem das baut, was zurzeit schier unmöglich scheint: Straßen.