„Die Literatur wird dann politisch, wenn man sich mit unserer Gegenwart auseinandersetzt“

Interview mit dem österreichischen Autor, Performancekünstler und Kurator Robert Prosser

Szene aus der Vorstellung „Gemma Habibi“ am Deutschen Staatstheater Temeswar Foto: Ovidiu Zimcea

Das Theaterpublikum hat in den letzten Monaten nur wenige Chancen gehabt, auf seine Kosten zu kommen. Eine davon war das Gastspiel „Gemma Habibi“, das vor Kurzem auf der Bühne des Deutschen Staatstheaters Temeswar stattgefunden hat. Dafür reisten aus Österreich der Autor Robert Prosser und der Musiker Lan Sticker an; es traten die DSTT-Schauspieler Olga Török und Richard Hladik auf. Robert Prosser ist vielseitig tätig: als Autor, Performancekünstler und Kurator. Nach dem Studium der Komparatistik sowie der Kultur- und Sozialanthropologie hat er Asien, mehrere arabische Staaten wie auch England bereist. Er hat Prosa wie auch Lyrik und Essays veröffentlicht und ist mehrfach ausgezeichnet worden, darunter mit dem Writer-in-Residence der One World Foundation in Sri Lanka 2020, dem Österreichischen Projektstipendium 2018/2019, er stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2017 und erhielt das Grenzgänger-Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung 2014 sowie den Reinhard-Priessnitz-Preis 2014. Die Vorstellung in Temeswar geht auf den 2019 erschienen Roman „Gemma Habibi“ zurück. Robert Prosser las den für die Bühne adaptierten Text dem Publikum vor. Über die Vorstellung in Temeswar sowie über andere seiner Projekte sprach Robert Prosser mit der Redakteurin Ștefana Ciortea-Neamțiu.

 

Die Aufführung „Gemma Habibi“ wäre wegen der Pandemie fast gecancelt worden. Das hat sich wenige Tage vor der Aufführung doch noch verändert. Wie fühlen sich diese Zeiten für einen Künstler an, gerade wenn man auf Tournee gehen will?

Es ist eine große Freude, wenn eine Veranstaltung dann doch noch stattfindet. Für mich und für den Musiker Lan Sticker war es sehr wichtig, dass wir doch gekommen sind. Andererseits ist es dann doch eine Belastung, weil man aktuell nie weiß, ob die Veranstaltung zustande kommt oder nicht. Es ist in Österreich zurzeit auch so, dass sich innerhalb eine Woche ändert oder dass man dann doch einige Tage davor erfährt, ob man wirklich auf die Bühne kann. Es ist aktuell schon eine besondere Herausforderung, man muss immer auf den letzten Drücker antreten.

Bei „Gemma Habibi“ handelt es sich um einen Box-Roman, aber auch um einen Migrationsroman, welche Rezeption hatte der Roman in Österreich?

Er wurde vorwiegend als Schilderung aus einem bestimmten oder eher unbekannten sozialen Milieu, sofern er sich um die Kampfsportszene und das Boxen konzentriert, wobei es hier nicht nur ums Boxen geht, sondern vor allem auch um dieses integrative Element, das der Sport hat. Vielleicht als Erzählung aus einer bestimmten sozialen Schicht, aus einer Szene, die eher unbekannt ist.

Ihre Bücher sind auch sehr politisch. Warum ist es Ihnen so wichtig, über Orte zu erzählen, wo Sie auch selber waren, zum Beispiel im Libanon, in Bosnien, auf Lesbos, und über die ganz schwierigen Themen, über die man in den heutigen Zeitungen liest?

Es ist gar nicht mein ernstes Anliegen, politisch zu schreiben, aber ich glaube, dass es gar nicht anders möglich ist, und dass Literatur dann politisch wird, wenn man sich mit unserer Gegenwart auseinandersetzt. Mich interessiert es, in den Romanen auch Missstände und Entwicklungen zu verarbeiten, die meine Gegenwart betreffen oder die derzeit in Europa wirken. Wenn man sich damit beschäftigt, zum Beispiel mit Fluchtbewegungen, und wenn man sich dann anschaut, was eine Kampfsportszene ausmacht, was es für einen Hintergrund für Mechanismen und Motivationen gibt, dann wird ein Text politisch. Ich empfinde das positiv für gegenwärtige Literatur, dass sie auch politisch wirkt.

Für Ihr zuletzt erschienenes Buch, „Beirut im Sommer“ waren Sie auf Recherche mit einem Fotografen, fast wie ein Journalist. Ist es wichtig für Sie, dass Sie das Thema umarbeiten oder glauben Sie, dass das Leben dann doch die herzzereißenden Geschichten schreibt?

„Beirut im Sommer“ ist eine Reportage, kein Roman. Durch „Gemma Habibi“ haben sich die Kontakte zur syrischen und kurdischen Diaspora ergeben und dadurch wiederum haben sich die Kontakte im Libanon ergeben, da dachte ich, es wäre gut, zum einen den Roman zu haben, „Gemma Habibi“, zum anderen aber auch zu zeigen, was die Immigration, die Fluchtgeschichten betrifft, was es hier für reale Hintergründe gibt und das zu verbinden, ich meine den Roman mit der Reportage. Und ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, ob die wahren Geschichten dann herzzereißender sind. Ich glaube, dass das Zusammenspiel sehr interessant ist, anzuschauen, was wirklich passiert und dann versuchen, diese Fülle an Schicksalen, Begegnungen und Erlebnissen in die Form eines Romans zu bringen, also im nächsten Schritt das in die Sprachkunst zu fügen.

Zum Schluss, welches waren Ihre Erwartungen an dem Publikum in Temeswar?

Einfach die Bereitschaft, sich mitreißen zu lassen. Es ist eine sehr energetische Performance, sie dauert auch nicht lange und ich glaube sie kann sehr ergreifen. Ich wünsche mir ein offenes, ein begeisterungsfähiges Publikum.