Mircea Tiberian ist heute ein berühmter rumänischer Jazzmusiker und zugleich Hochschullehrer an der Nationalen Musikuniversität in Bukarest, wo er die einzige Jazzabteilung Rumäniens leitet. Im Laufe der Zeit arbeitete er mit mehreren Jazzmusikern zusammen, darunter auch mit dem Temeswarer Saxophonist Liviu Butoi. Zu ihrer langjährigen Zusammenarbeit gehören mehrere gemeinsame Konzertauftritte und drei CDs: „Păsări“ (2005), „Dark“ (2006) und „Offerus“ (2013). Über seinen musikalischen Werdegang, die heutige Jazzmusik, das Jazzfestival in Wolfsberg/Gărâna und die neueste, unlängst auch in Temeswar/Timişoara vorgestellte CD, „Offerus“ sprach die BZ-Mitarbeiterin Iulia Sur mit dem Jazzmusiker Mircea Tiberian.
In welchem Alter haben Sie mit dem Kalvierstudium begonnen?
Das weiß nicht mehr so genau, im Alter von vier oder fünf Jahren. Wir lebten in Hermannstadt/Sibiu, damals mit einer deutschen Bevölkerung und einer gut erhaltenen Klaviertradition. So hatten wir zuhause auch ein Klavier, an dem ich „spielte”. Dann stellten meine Eltern eine Kalvierlehrerin an. Später kam ich zur Volkskunstschule, wo ich ein regelmäßiges Studium begann und als Sechsjähriger kam ich zur Musikschule, da ich das Glück hatte, dass gerade in dieser Zeitspanne die Musikschule in Hermannstadt gegründet wurde. Ich wurde angenommen, aber nicht ohne Abenteuer... Es war noch eine ziemlich eiskalte stalinistische Periode und ich wurde abgewiesen, wegen meiner „ungesunden” Herkunft, bzw. als Junge von Intellektuellen: mein Vater war Arzt und meine Mutter Lehrerin. Ich wurde abgewiesen, eigentlich durfte ich gar nicht am Klavier spielen, ich musste ein Lied vorsingen und ich hatte ein Lied aus einem Zeichentrickfilm ausgewählt, das sie als kapitalistisch bezeichneten. Immer wieder wurde ich abgewiesen, aber meine Mutter hielt so lange durch, bis ich in die erste Klasse an der Musikschule aufgenommen wurde, dann am Musiklyzeum usw. Dies in Hermannstadt, irgendwann in den 60er Jahren.
Wann haben Sie zum ersten Mal Jazz gehört?
Wahrscheinlich hatte ich früh Jazz gehört, nur nicht gewusst, was ich hörte. Bewusst, dass diese Musik Jazz hieß, war ich, als ich die erste LP kaufte, eigentlich die zweite aus der Electrecord-Serie, der Jazz-Serie, die einer Big Band aus Illinois, der Universität in Illinois, die unser Land etwa ’67-’68 besucht hatte. Ich war damals etwa 12. Sicher hatte ich bis dann Jazz gehört, aber ich stellte mir nicht die Frage, ob es Jazz war, denn der Jazz, den wir damals in Rumänien hörten, konnte irgendwie mit der Tanzmusik verwechselt werden und ein Teil der Tanzmusik entstammte dem Jazz oder wurde von Jazzorchestern gespielt. Als ich in der fünften Klasse war, schlug mir mein Klavierlehrer vor, Jazz zu hören, da ich eine Art Musik improvisierte. Er sagte mir: „Wenn Sie schon improvisieren, wenden Sie sich einem Bereich zu, wo Musik am meisten improvisiert wird.” Also Jazzmusik. Ich sollte diese LP kaufen. Wenn er sie mir nicht gar geschenkt hat. Ich glaube, so war es auch.
Welchen Musiker der klasssischen Musik bevorzugen Sie?
Das ist eine schwere Frage und ich glaube, niemand kann sie beantworten, außer den geborenen Kopisten. Ich habe einen Top, der dem Top der Weltgenien entspricht, bzw. Bach, Mozart, Beethoven, Wagner, Debussy, und, sagen wir, auch Enescu.
Und die Jazzmusiker?
Es ist schwieriger beim Jazz, denn es gibt hier mehrere Genres. Ich habe einen offiziellen Top, d.h. Armstrong, Ellington, Charlie Parker – das wäre der offizielle Top jedes Jazzlehrers – Miles Davis, John Coltrane und dann die Sonderfiguren... Thelonious Monk steht mir am nahesten und Mingus und einige weniger bekannte Gestalten der Avantgarde... Alle sind amerikanische Musiker, eigentlich afroamerikanische. Vom europäischen Jazz wäre es schwierig eine Persönlichkeit auszuwählen...
Ihr Erstauftritt war beim Internationalen Jazzfestival in Hermannstadt 1974 und ein Jahr später begannen Sie das Studium am Konservatorium...
Selbstverständlich, es gab damals keine auf Improvisationsmusik ausgerichtete Schulen. Eigentlich gab es keine Alternative und anstatt ein Jahr und vier Monate zum Militär zu gehen, stellte man sich zur Prüfung an der Hochschule, egal welche Abteilung, nur nicht zum Militär. Ich wählte die Pädagogik-Abteilung, die leichter war, aber ich könnte nicht sagen, dass meine Ausbildung zum Musiker unbedingt darin bestand. Ich hatte die Chance, am Konservatorium zu sein, während es dort noch sehr interessante Persönlichkeiten gab... Die Musikbibliothek des Konservatoriums hat sehr viel bedeutet, die LP- und Aufnahmenbank. Es gab ein reiches Konzertleben, z.B. sah ich Celibidache zweimal dirigieren. Es gab öffentliche Lehrauftritte, die drei Wochen lang dauerten, jeden Tag... Dann George Bălans Vorlesungen, wo die Studenten freien Zutritt hatten, der die Musik für andere Bereiche öffnete, er stellte Verbindungen her, die nicht unbedingt der offiziellen Linie der kommunistischen Musikologie entsprachen. Zugleich der Umgang in den Künstlerstudios, wo es eine Art kulturellen Underground mit Dichtern und Malern gab, weniger mit Musikern. Ich gehöre zur Generation der 80er Jahre, die mit der Gedichte-Welle und mit einer ziemlich nervösen Künstlergeneration: Kunst wurde mehr für die jungen Leute selbst als zum Verkaufen und Ausstellen in den offiziellen Salons geschaffen. Unsere Generation war – sicher, mit Ausnahme derjenigen der 50er Jahre, – die aus dieser Hinsicht meistgeschädigte Generation, denn auch das Regime war eines der repressivsten der damaligen Zeit.
Sie gründeten und leiten die Jazzabteilung an der Nationalen Musikuniversität in Bukarest. Welche Perspektiven haben die Absolventen?
Hier gibt es mindestens zwei Aspekte: einen sozialen und einen der persönlichen Genugtuung. Die Jazzmusiker fühlen sich wohl, wenn sie einen Weg einschlagen, wenn sie mit jemandem spielen können. Es ist eine Art Freude, die dir diese Musik gibt, so dass die Musiker oft für sehr bescheidene Honorare oder umsonst spielen. Sie tun es, weil die kollektive Improvisation eine große Genugtuung bietet, es ist wie ein Teamspiel, aber viel komplexer. Der soziale Aspekt, der der Lebensunterhaltskosten, ist von der Qualität des Musikers bedingt. Vorläufig hat Rumänien noch Assimilationsmöglichkeiten für diese Musiker, denn die Schulen für Jazz- und Improviationsmusik und für jede Form von afroamerikanischer Musik, Pop usw. haben sich bei uns noch nicht entwickelt. Das Bildungswesen in Lyzeen, Privatschulen oder der Fachunterricht übersieht leider den Bereich, der eigentlich die bedeutendste Ausbildung zurzeit darstellt: das musikalische Bildungswesen.
Welches Angebot bietet der Jazzmarkt?
Der Jazzmarkt ist nicht so arm, wie er von fern aussieht. Es gibt sehr viele Clubs und relativ viele Festivals, wo die jungen Musiker hingehen können. Sie können auch ihre Studien draußen fortzusetzen. Rumänien ist noch kulturell sehr abgesondert, also die Zirkulation der Künstler verläuft nicht so wie im Ausland. Von der Europäischen Union sind wir wahrscheinlich das abgesonderteste Land, aus kultureller Hinsicht, auch da wir zu weit von der Mitte Europas entfernt sind und die Infrastruktur schlecht ist... Der Verkehr läuft nicht natürlich. Billig bis nach Budapest zu reisen, in den Zug steigen und in drei-vier Stunden da sein... Irgendwann wird auch das geschehen, und diejenigen, die heute 20 sind, werden dann 30-35 sein und leichter herumreisen können. Sie werden öfter Besuche von Musikern, Generationskollegen, empfangen können usw.
Sie sind mehrmals beim Jazzfestival in Wolfsberg aufgetreten. Welche Bedeutung nimmt dieses Festival ein?
Ich finde, es ist ein Phänomen, das aus mehreren Perspektiven betrachtet werden muss: aus sozialer Hinsicht, es ist ein Modell für kulturellen Tourismus, ein Modell der Koagulation einer Gemeinschaft, wie es die Temeswarer Gemeinschaft ist. Es scheint hier Probleme mit den Lokalbehörden zu geben, aber das Phänomen ist letztendlich ein Temeswarer Phänomen. Es hat auch Bukarester Aspekte im Augenblick, denn es kommen auch sehr viele Bukarester zur Wolfsberger Gemeinschaft. Früher, beim Festival in Hermannstadt trugen sich die Dinge genauso zu, es kamen Menschen aus Temeswar, Bukarest und Klausenburg. In Wolfsberg, sicher, geschieht alles auf einer weit größeren Ebene, es gibt Fans, die hier anreisen, mit den Zelten kommen, wie an einer Art Ritual teilnehmen. Ich weiß nicht, ob es viele solche Orte in der rumänischen kulturellen Welt gibt. Aus musikalischer Sicht weiß ich nicht, ob es so wichtig ist, es ist kein Elite-Festival. Wichtig ist, dass ein breites Publikum die Möglichkeit hat, Improvisationsmusik live in einer wunderbaren Umgebung zu erleben.
Die etwa dreißigjährige Zusammenarbeit mit Liviu Butoi umfasst Konzerte und drei CDs, die neueste davon ist „Offerus”. Welches ist die Geschichte dieser CD?
Es ist mehr Liviu Butois Geschichte, denn er hat den Titel ausgewählt und sich bis zu 95 Prozent in die Herausgabe der CD, der graphischen Qualität und der Wiederherstellung des Tonmaterials von Bistritz/Bistriţa, wo die Aufnahme stattfand, beiteiligt. Aufgenommen wurde während eines Livekonzertes in der römisch-katholischen Kirche „Hl. Anton” ein Konzert, das wir nach einem Jahr video gesehen haben. Wir haben gemeinsam entschieden, dass es eine CD bilden könnte. Es hat, glaube ich, sechs Jahre gedauert, bis die Aufnahme vervielfältigt wurde.
Entspricht die CD Ihren Anforderungen?
Ja, sicher. Das, seit ich die Aufnahme hörte. Wir waren nur nicht sicher, dass es genügend Stoff in diesem Konzert gab, aber ich meine, es war zu ihrer Zeit eine inspirierte Musik und das ist am wichtigsten. Die Eingebung bindet dich an Dinge, die du nicht erklären kannst... Die Musik ist generell nicht von uns geschaffen, sondern irgendwo über uns, aber du musst dich vorbereiten, um hinhören zu können, was über uns geschieht. Derjenige, der die künstlerische Handlung durchführt, muss sich vorher darauf vorbereiten, die Angaben des Berufs kennen und die Erfahrung eines Menschen, der sich mit der Musik verbinden kann, ansonsten... nicht jeder Laie hat Zugang zur überlegenen Musik. Dann bleibt noch das Publikum, es muss sehen, was es dabei empfindet...