Es geschah vor 71 Jahren: Anfang 1945 wurden 75.000 arbeitsfähige Deutsche aus Rumänien zur Zwangsarbeit in die damalige Sowjetunion verschleppt. Einer von fünf verstarb an Unterernährung, Erschöpfung und den miserablen Lebensbedingungen in den Arbeitslagern, die anderen kehrten fünf Jahre später krank und geschwächt wieder nach Hause zurück. Nur wenige leben heute noch. An ihr Leid erinnern Denkmäler, die an mehreren Orten in Rumänien aufgestellt wurden. In Schimonidorf/Satu Nou im Kreis Arad, das zur Gemeinde Misca gehört und nun mehrheitlich von Ungarn bewohnt ist, gibt es ein solches Denkmal, wo jährlich Gedenkveranstaltungen stattfinden. Am ersten Februarsonntag war es mal wieder soweit: Neben dem Bürgermeister der Gemeinde, dem Direktor der Dorfschule, mehreren Dorfbewohnern und Gästen aus dem Kreis Arad war auch ein ehemaliger Russlandverschleppter zugegen. Ein einziger. Alois Weil.
„Überraschung ist zu wenig gesagt“, meint der mittlerweile 88-Jährige, „ich werde als Musterstück, als Ausstellungsstück präsentiert.“ Alois Weil wurde 1928 geboren. Nach Russland wurde er mit 17 verschleppt. „Ich war der Jüngste im Lager“, sagt er. „Von 1200 Leuten, Männer und Frauen, zusammen mit Heinrich Krackauer aus Arad. Wir zwei waren die Jüngsten. Er ist voriges Jahr gestorben.“ Auch wenn seither 71 Jahre vergangen sind, kann sich Alois Weil noch gut an die damalige Zeit erinnern. „Ich war Dolmetscher vom ersten Augenblick an. Das hat mir sehr viel geholfen. Und daher kann ich jedem jungen Menschen nur raten: Lernt Sprachen, denn Sprachen bedeuten Macht. Ich habe viel Macht dadurch gehabt, dass ich auf Russisch schreiben, lesen und rechnen konnte. Alle, die das leisten konnten, haben weniger schlecht gelebt, als die anderen.“ Dennoch waren die fünf Jahre in Russland keine leichten Jahre. „Na ja“, sagt Alois Weil, „ich würde es nicht wiederholen. Ein Mal war genug. Eine Lektion für´s Leben.“
Magdalena Kontras konnte damals der Zwangsarbeit entkommen. Seit nun rund 25 Jahren kümmert sie sich aber um die Belange der ehemaligen Russlandverschleppten aus dem Kreis Arad. Warum sie das wohl tut? „Erstens, weil ich Onkel und Cousine gehabt habe, die dort gestorben sind“, sagt die mittlerweile über 90 Jahre alte Frau. „Und zweitens, weil ich eine Deutsche bin und weil ich den nachkommenden Generationen darüber erzählen möchte. Sie haben so etwas nicht erlebt und sie sollen auch nie erleben, was unsere Ahnen damals erleiden mussten.“
Ein Zeichen in Erinnerung an jene Zeit will auch Alois Weil als einziger Überlebender der Russlandverschleppung aus seinem Ort setzten. „Sigmundhausen, Zsigmondháza auf Ungarisch, Mure{el auf Rumänisch. Das war ein selbstständiges Dorf als Vorstadt von Arad an der Marosch, angesiedelt vom Denkmal der 13 Generäle bis nahe zu Saderlach. Aus diesem Dorf wurden 33 ethnisch Deutsche gemäß der Volkszählung nach Russland verschleppt. Wir wurden nicht deportiert. Alle wurden verhaftet, interniert, den Russen übergeben und verschleppt.“
Für seine 33 Schmerzensgenossen will der Sigmundhausener ein Denkmal in seinem Hof im Arader Stadtviertel aufstellen lassen. Es soll aus drei Holztafeln bestehen, die bereits im Auftrag derselben Künstlerin gegeben wurden, die auch das Denkmal in Schimonidorf gebaut hat: Elisabeth Brittich-Farago. „Auf den Holztafeln werden die Namen der Russlandverschleppten aus Sigmundhausen geschnitzt“, sagt Alois Weil. „Untergebracht wird das Denkmal dann in einer kleinen Kapelle mit Glocke. Alles auf Sigmundhausen und Familie Weil zugeschnitten.“
Das Schicksal der letzten Zeitzeugen und Überlebenden dieser traurigen Episode unserer Gegenwartsgeschichte teilen noch ein paar wenige Deutsche, die alle über 88 sind. Und sie werden immer weniger, sagt die Vorsitzende der ehemaligen Russlandverschleppten aus dem Kreis Arad, Madgalena Kontras: „In Arad leben noch an die 20 Leute, die nach Russland verschleppt wurden. Alois Weil ist der einzige, der noch gehen kann. Die anderen sind im Bett liegende, alte Leute. Ich besuche sie jedes Jahr persönlich zu Hause und bringe ihnen etwas Taschengeld mit.“
Das Taschengeld, das Magdalena Kontras erwähnt, ist eine jährliche Geldhilfe vom deutschen Bundesministerium des Inneren im Wert von 25 Euro bzw. umgerechnet 112 Lei pro Person. Die ehemaligen Russlandverschleppten wurden in Rumänen nach 1992 den ehemaligen politisch Verfolgten des kommunistischen Regimes gleichgestellt und nutznießen entsprechende Rechte. Für die meisten kam diese Hilfe jedoch viel zu spät.