Ein blasses, halb-weißes Licht leuchtet im Dunklen. Die stetigen Bewegungen der weiblichen Figur reflektieren sich friedlich auf der Wand und projizieren ein leises Theater. Das ruhige Tasten wiedergibt die allgemeine Atmosphäre. Auf dem Bett liegt eine Online-Bloggerin.
Klick! Gepostet!
“Endlich kann ich meiner Karriere freien Lauf lassen! Ja! Das wird mein Durchbruch! Damit kann nichts mehr schief gehen! In ein paar Wochen werde ich berühmt!”, denkt sie enthusiastisch.
Eines kann ich euch sagen: sie war mehr als enthusiastisch, sie war geradezu begeistert.
Voller Selbstvertrauen legt sie sich hin und erwartet den nächsten Tag.
Klick! Klick!
“Nein…! Niemand hat meine Geschichte gelesen? Nur keine Panik. So ist das Internet. Ich brauche nur etwas Kontroverses damit ich ein bisschen Aufmerksamkeit errege. So werden die Leute meinen Blog bemerken.”
Die junge Frau, mit den zerzausten Haaren, nimmt ihre Brille ab und macht sich frisch für ihren Job. Sie ist nämlich Journalistin. Ihr Job ist es, Kontroverses in der Welt aufzustöbern und wie eine Biene weiterzutragen. Warum fällt ihr das denn schwer, wenn es um ihre eigenen Texte geht?
Nächsten Morgen, nächster Klick. Nichts.
“Nichts! Schon wieder! Morgen wird’s vielleicht doch klappen.”
Der Schein des Laptops bleibt auf ihrem Gesicht fixiert; ein wunderschönes, junges Gesicht, deren Augen so müde sind, dass sie nur im letzten Augenblick bemerken, wie spät es ist.
Schnell nimmt sie ihre Sachen mit, steigt ins Taxi und geht zum großen Treffen in die Stadt. Es geht das Gerücht, der Bürgermeister wurde verhaftet, da er seine Macht missbraucht hätte und dadurch im lokalen Budget ein Riesenloch geblieben wäre.
Vor dem Rathaus – eine Menge von kuriosen Journalisten, die nur darauf scharf sind, die „Story des Jahres“ zu veröffentlichen. In der Mitte der in sich drängenden Menschen versucht die Journalistin ihre Kamera so perfekt wie nur möglich zu halten.
“Herr Bürgermeister! ”, rufen alle. “Was haben Sie mit dem Geld gemacht? Wie können Sie das Ganze erklären?”
Der Mann bleibt stehen. Die Menge wird still. Hunderte Kameras auf ihn gerichtet. Alle Augen der Stadt erblicken sein Gesicht. Doch er blickt der Journalistin in den Augen. Sie hat nicht dieses perverse Verlangen nach falschen Antworten. Oder doch, deshalb ist sie hier. Sie ist ja Journalistin.
“Gib’ der Menge, was sie will”, denkt der Bürgermeister. „Ich bin der Bürgermeister dieser Stadt. Ich habe dieses Geld genommen und mir ein privates Strandhaus gebaut.“
Er dreht sich um und flüstert lächelnd: “So geht nun mal die Politik.“
Menschen wollen Kontroverses. Genau das hat die Journalistin beschlossen aufzuzeigen. So wird aus der Geschichte des Jahres, der Anfang ihrer Karriere als Social Media Philosoph.
Jeden Tag postet die Bloggerin ein neues, unerhörtes Thema über die Stars der Welt.
„Klick! Klick! Klick!“, das ist alles, was sie nun hört.
Nach einem langen Jahr voller Ruhm und Aufmerksamkeit, findet sie in ihrem Postfach einen offiziellen Brief mit einem blauen Rand. „Von wem mag das wohl sein?“, fragt sie sich. Sie dreht ihn um.
„Vom Bürgermeister?!“
Sie schneidet ihn sacht auf und liest:
„Frau J.,
Im Namen des Bürgermeisters und der Stadtbeamten, würde ich Sie darum bitten, Ihre Online-Tätigkeit zu beenden. Sie ziehen den Namen vieler Menschen in den Schmutz.
Es ist selbstverständlich, eine Geschichte zu veröffentlichen. Es ist Ihr Job als Journalistin, Informationen weiterzuleiten. Jedoch jetzt sind Sie zu weit gegangen. Aus anderen Quellen habe ich auch einige Details über Sie erfahren. Finden Sie, dass es nötig ist, über andere zu schreiben und zu lügen, damit Sie berühmt werden? Im Internet?
Ich kann mir noch gut Ihr Gesicht merken, ich stand damals vor Ihnen. Ich weiß, dass die ganzen Zeitungsartikel über mich gerecht sind. Aber ich bitte Sie, tun Sie ein Gutes für die anderen, die wirklich nichts getan haben. Finden Sie, Sie hätten kein Potential als Schriftstellerin? Nur, weil Sie keine Internetaufmerksamkeit bekommen? Das Internet ist kein Platz für jeden. Manche bleiben anonyme Poeten, manche nicht… Die, die die Wahrheit laut sagen und den Mut dazu haben, sich einer echten Provokation zu stellen, die sind in der Tat, Schriftsteller. Sie brauchen nicht Ihren Namen im TV zu hören, damit Sie wissen, wie wichtig Sie im Leben anderer sind. Es ist genug, nur einen lesenden Jugendlichen in der Straßenbahn zu sehen, und erfahren, dass dieser Ihr Buch in der Hand hält.
Somit, nehmen Sie wieder den Stift in der Hand, steigen Sie den Berg von Propaganda, Illusionen und falschen Nachrichten hinab und schütten Sie schreibend Ihr Herz aus. Schreiben Sie die Worte, die nur Ihre tiefsten Abgründe voller Kummer gehört haben. Kennen Sie keine Angst, die richtigen Menschen werden Ihre Texte und deren Wert erkennen und Sie dafür lieben, dass Sie den Mut gefasst haben, die Wahrheit frei und unzensiert in einer Welt voller Lügen und Schwindel zu äußern.
Die Wahrheit ist unsere Zukunft. Schreiben Sie sie auf, lassen Sie dies nicht verloren gehen!
Seien Sie mutig und sprechen Sie die Wahrheit aus! Auch wenn sie kontrovers ist.
Mit freundlichen Grüßen,
der Bürgermeister.“
Sie bleibt stumm. In einem Moment war sie so misstrauisch gegen ihr eines Ich, dass sie vergessen hat, wer sie ist und was sie mag. Nun ist Schluss. Jetzt kommt die Zeit der Wahrheit.
Sie richtet ihren Blick auf, die Sonne fällt auf ihren Notizblock, der schon Staub aufgefangen hat.
Klick! Laptop runterfahren...
Strahlend nimmt sie ihr Heft und fängt an zu schreiben.
Dieser Text entstand bei der Schülerolympiade Deutsch-Muttersprache 2019 in Arad, wurde von der Fachjury bewertet und mit dem Sonderpreis für Kreativität seitens der Banater Zeitung ausgezeichnet.