Was lest ihr denn gerade? Egal, ob euch gleich mehrere spannende Titel von Büchern einfielen oder im Gegenteil, ihr im Moment auf der Suche nach einem beeindruckenden Buch seid: Wir haben einen großartigen Tipp für euch. „Abgefahren“ von Dirk Pope.
Vielleicht habt ihr noch nichts von diesem Roman gehört, aber lasst uns einige Gründe nennen, warum ihr dieses Buch unbedingt lesen solltet: Der Wert dieses Buch wurde schon zweimal im Rahmen des bekannten deutschen Jugendliteraturpreises anerkannt: 2019 war „Abgefahren“ auf der kurzen Liste der Nominierungen bei der Kategorie Jugendbücher und 2020 wurde Dirk Pope bei der Kategorie Neue Talente für das gleiche Buch nominiert. „Abgefahren“ ist zweifellos ein abgefahrenes, außergewöhnliches Buch. Darin mischt sich Humor mit tiefer Ernsthaftigkeit. Darin scheint die Traurigkeit manchmal stärker als die Freude. Die Geschichte zeigt, dass Ungewissheit zur Gewissheit werden kann. In „Abgefahren“ geht es um Viorel. Ja, Viorel, ohne Scherz! Viorel ist ein deutscher Jugendlicher mit rumänischen Wurzeln, der nach Rumänien reist. Mehr als eine Hälfte des Buchs ist seiner Reise durch Rumänien gewidmet. Von dem Kind am Anfang wird Viorel bis zuletzt erwachsen. Genau wie die Helden der Märchen muss Viorel seine Würde beweisen. Deshalb wird er vom Autor auf eine lange und harte Probe gestellt.
Beim Lesen des Buches neigt man dazu, sich selbst Fragen zu stellen. Was möchte der Autor ausdrücken? Auch zum Schluss herrscht ein unentschlüsseltes Dilemma. Wie suchten Antworten auf diese Fragen und in diesem Sinne haben wir die richtige Person gefunden. Als Redakteur von Radio Junior sprach Cosmin Țugui mit Dirk Pope.
In Rumänien sind Sie, Herr Pope als Autor für das breite Publikum noch unbekannt... Deshalb möchten wir als erstes mehr über Sie erfahren.
Ich komme aus Frankfurt, in Hessen. Ich bin 50 Jahre alt und „Abgefahren“ ist mein zweiter Roman, nach „Idiotensicher“. „Abgefahren“ ist 2018 beim Hanser-Verlag erschienen. Ich bin hauptberuflich Lehrer für Deutsch und Sport. Ich arbeite an einer Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe. Ich schreibe parallel und versuche mir damit ein zweites Standbein aufzubauen. Seit mittlerweile fünf Jahren bin ich beim Hanser-Verlag in München tätig, mit dem ich sehr gut zusammenarbeite. Da veröffentliche ich auch meinen dritten Roman, „Still“. Dieser hat allerdings nichts mit Rumänien zu tun. „Abgefahren“ ist so ein Art Route-Movie, eine Geschichte entlang dieser Strecke erzählt, vom Schwarzwald bis hin zum Schwarzen Meer.
Als Schriftsteller wurden Ihre Verdienste im Rahmen des Jugendliteraturpreises schon zwei Mal anerkannt. Was bedeutet also der Jugendliteraturpreis und wie wichtig sind für Sie die zwei Nominierungen bei den Kategorien: Neue Talente 2020 und Jugendbuch?
Die Nominierung ist eine hervorragende Auszeichnung. Der Jugendliteraturpreis ist das Nonplusultra im deutschen Jugendliteraturbereich – da gibt es keine höhere Auszeichnung – insofern ist das schon ein Riesenerfolg, überhaupt nominiert zu werden. Es gibt unterschiedliche Kategorien, zum Beispiel „Publikumspreis“ „Kritikerpreis“ oder „Neue Talente“. „Abgefahren“ wurde letztes Jahr 2019 mit fünf anderen Büchern für den „Kritikerpreis“ nominiert. Leider habe ich diesen nicht gewonnen. Aber in diesem Jahr darf ich nochmal mit dem gleichen Buch in der Kategorie „Neue Talente“ antreten. Das ist ungewöhnlich und hat mich persönlich sehr überrascht. Aber ich fühle mich sehr bestätigt und geehrt, dort nochmal nominiert zu sein.
Können Sie kurz zusammenfassen, Um was geht es in ihrem Roman „Abgefahren“?
Der 17-jährige Viorel wohnt im Ruhrgebiet, in Essen und hat ein kleines Gewichtsproblem. Er isst viel, ist korpulent, passiv, antriebslos und plötzlich über Nacht stirbt seine Mutter. Er weiß nicht genau wohin und was er jetzt tun soll. Er hat auch kein Geld in dem Alter und auch keinen Führerschein. Die Mutter kommt ursprünglich aus Rumänien, aus Bistritza. Er beschließt seine Mutter dort in ihrer Heimat zu beerdigen und lädt sie in ihren Opel Corsa ein und fährt mit ihr los: durch Österreich, Ungarn, Rumänien bis Bistritza. Dort passiert dann Unvorhergesehenes. Er kommt in Schwierigkeiten, die Mutter verschwindet – kurze Zeit hat er sie wieder und fährt mit ihr über Bistritza weiter bis zu ihrem Geburtsörtchen am Schwarzen Meer. Dort wird er es auch schaffen sie beizusetzen.
Woher kam die außergewöhnliche Idee des Buchs?
Die Idee mit dem Leichentransport gibt es schon in Filmen, in Büchern. Insofern ist diese Idee vielleicht gar nicht so neu. Diese Reiseroute von Essen bis nach Rumänien, bis ans Schwarze Meer hat symbolischen Charakter. Zum einen fließt die Donau vom Schwarzwald bis ins Schwarze Meer. Die Donau entspringt als kleines Flüsschen im Schwarzwald und fließt durch halb Europa nach Osten. Dort wird sie immer breiter und breiter und nimmt immer mehr an Masse zu. Viorel beginnt als voluminöser, breiter, übergewichtiger Teenager. Auf seinen Erlebnissen auf den Highway in den Osten beginnt er sein Leben in die Hand zu nehmen. Die Geschichte entlang der Donau erzählt, hat eine Symbolik und Metaphorik.
Wollten Sie mit Viorel auch die Situation von mehreren rumänischen Familien zeigen, die ihre Heimat verlassen haben?
Das Thema Migration ist ein Riesiges. Das betrifft nicht nur die Rumänen, sondern ganz viele Menschen, die gezwungen sind, aufgrund wirtschaftlicher Verhältnisse ihr Heimatland zu verlassen, woanders hinzugehen, wo sie besseres Geld verdienen können. Dort dann heimisch zu werden und Wurzeln zu schlagen, ist eine riesige Herausforderung. Das gelingt nicht jedem. Viorel gelingt das auch nur mäßig. Er fühlt sich nicht so richtig als Deutscher. Er lebt zwischen zwei Welten: zwischen Deutschland und Rumänien, was er von seiner Mutter erzählt bekommt. Er weiß nicht viel über Rumänien. Er weiß aber, dass seine Mutter heimatverbunden war. Dementsprechend ist er gefangen zwischen diesen beiden Welten. Ihm fällt es also nicht schwer, seine Zeit in Deutschland abzubrechen und nach Rumänien zurückzukehren, was er gar nicht kennt.
Mehrere Kapitel des Buchs sind der Reise des Jungen durch Rumänien gewidmet...Haben Sie Rumänien besucht?
Ja, man muss sich schlau machen. Ich bin selbst kein Rumäne und spreche auch kein Rumänisch. Ich habe eine Schülerin, die mir ein bisschen Rumänisch beigebracht hat. Mit ihr habe ich ein paar Vokabeln gepaukt, die ich mittlerweile größtenteils leider vergessen habe. „Bun² ziua“ „Mul]umesc“ und „La revedere“ weiß ich noch. Ansonsten ist da wenig hängen geblieben. Ich habe noch eine zweite Bekannte, die auch aus Rumänien kommt. Sie hat mir sehr viel über die rumänische Lebensweise erzählt und das war sehr interessant für mich, auch Unterschiede und Parallelen zwischen Deutschen und Rumänen kennenzulernen.
Bevor Viorel in Rumänien ankommt, wusste er gar nicht von Rumänien außer einigen vagen Informationen und Mythen. Sind Sie der Meinung, dass Rumänien im Westen als ein Land der Mythen, als Wilder Osten wahrgenommen wird?
Ja, leider. Es ist erschreckend, wie wenig wir Deutsche über Rumänien wissen. Ich denke, nur ein ganz kleiner Teil der Deutschen ist jemals in Rumänien gewesen und hat dieses Land bereist. Das ist sehr schade, aber es liegt nicht unbedingt um die Ecke. Dementsprechend weit ist die Fahrt dahin. Was wir wissen, sind solche Mythen, wie Dracula oder was so durch die Medien geistert. Das sind dann meistens negative Schlagzeilen über Korruption oder über Sinti und Roma. Was wir in Deutschland oftmals mit Rumänien verbinden, sind die billigen Arbeitskräfte, die rumänischen Putzfrauen, die in Deutschland die Haushalte schmeißen. Das ist eigentlich das Erschreckende und genau dieses Bild gilt es zu widerlegen. Man muss mal vor Ort gewesen sein, man muss mal in dieses Land gefahren sein, um überhaupt die Schönheit dieses Landes erfassen zu können und die Gastfreundschaft genießen zu können und die Menschen kennenzulernen. Das ist auch ein Anliegen dieses Buches. Man erschließt sich eine neue Welt – den „wilden Osten“ und lernt diesen Osten nicht als wild kennen, sondern eher sehr familienorientiert, gastfreundlich, aufgeschlossen und sehr nett.
Ich erinnere mich, dass Sie den Knecht Sergiu aus dem rumänischen Märchen erwähnt haben... In den rumänischen Märchen wird immer der vermutliche Held auf verschiedene Probe gestellt, damit er die Würdigkeit und seine positiven Charakterzüge beweisen könnte... Auch Viorel muss sehr viele verschiedene Mutproben bewältigen. Haben Sie ein rumänisches Lieblingsmärchen? Haben sie ein bestimmtes als Inspiration verwendet?
Ich habe mehrere Märchen durchgelesen. Das war Teil der Recherche. Ich kann sie aber leider nicht mehr wiedergeben. Ich habe ein Märchen zitiert, das in dem Buch ein wenig weitergesponnen wird und auch die Parallele widerspiegelt, was so in Viorels Kopf abgeht - als erzählerische Funktion. Ein Lieblingsmärchen habe ich nicht.
Sie planen, im August (Anm. d. Red: das Interview fand zuvor statt) ein neues Buch herauszubringen. Können Sie etwas über ihr neues Buch „Still“ berichten?
Das Buch ist ein komplett neues Buch. Das ist keine Geschichte, die entlang einer Reiseroute erzählt wird. Es geht um ein Mädchen im Teenageralter. Es verweigert sich dem Sprechen und eckt dadurch an. Es könnte sprechen, aber es verweigert sich diesem Sprechen, weil es selbst sagt, in der Welt wird einfach zu viel gesprochen. Es möchte eine Art Kontrapunkt setzen. Was in ihrem direkten Umfeld auf absolutes Unverständnis stößt. Das Ganze ist sehr konfliktgeladen. Seine Mutter, Mitschüler und Lehrer versuchen es zum Sprechen zu bringen. Aber es lernt auch jemanden kennen. Derjenige ist gehörlos. Das heißt, er kann selbst nicht hören und die beiden freunden sich an: also einmal Mariella, die nicht spricht und Stan, der Junge, der nicht sprechen kann, weil er halt auch nicht hören kann. Diese Freundschaft beschreibe ich in diesem Buch.
Es gibt eine Möglichkeit, das Buch kostenlos zu beschaffen, und zwar die online Bibliothek vom Goethe Institut. https://www.onleihe.de/goethe-institut/
Dafür braucht man ein Konto mit E-Mail-Adresse. Dort steht auch der Debütroman von Dirk Pope „Idiotensicher“ zur Verfügung.
Redaktionelle Kürzung: Siegfried Thiel