Um kaum einen anderen Berg in Deutschland ragen sich so viele Sagen und Geschichten wie um den Brocken. Zwar Blocksberg genannt, ist er aber mit seinen knapp über 1.100 Metern kaum mehr als ein Hügelchen. Da er aber über die Flache Heide Sachsen-Anhalts ragt, ist er für die dortigen Verhältnisse das Höchste, was es gibt, und deshalb relativ halt ein Berg. Am spannendsten ist eine Gipfelbesteigung am 30. April, der Walpurgisnacht. Ob oben angekommen in den Mai tanzen oder übers Feuer springen angesagt ist, bleibt jedem selber überlassen. Aber erstmal ist der Aufstieg zu bewältigen.
Die Bewegungsabgeneigten schleppt die Brockenbahn hoch. Eine Schmalspurbahn von Anno 1899 mit Dampflock fährt regelmäßig zwischen Wernigerode, Drei Annen Hohne und Schierke um den Brockengipfel und hoch bis zum Bahnhof Brocken. Laut, wild und romantisch, gefilmt und fotografiert von allen Touristen, als ob sie ein Einhorn wäre, ist die Dampflokomotive eben doch nur was für Faulinchens.
Viel besser tut ein Aufstieg zu Fuße. Vom Torfhaus startet der sehr gut beschilderte Goethe-Weg, der nach Johann Wolfgang von Goethe benannt ist, weil der angeblich im Jahr 1777 ungefähr diesen Weg für seine drei Inspirationsaufstiege genutzt haben soll. Der Aufstieg dauert, je nach Fitnessgrad des Wanderers, zwischen zwei und 4 Stunden. Die achteinhalb Kilometer bewältigen cca. 350 Meter Höhenunterschied und sind von unzähligen Raststationen gesäumt. Der untere Teil beginnt mit einem romantischen Moorpfad, an plätschernden Bächlein entlang. Mitten im Harz hat der Borkenkäfer gewütet und breite Schneisen in die Fichtenforste gefressen. In der Kernzone des Nationalparks darf er sein Werk allerdings verrichten, ohne dass Menschen eingreifen. Die Forststation am Torfhaus belehrt neugierige Wanderer über diesen zwar natürlichen, aber eher traurig stimmenden und nach Verwüstung aussehenden Prozess, der angeblich dazu beiträgt, dass sich anschließend innerhalb weniger Jahre ein standortgerechter Mischwald entwickelt.
Die ersten zwei Drittel des Weges sind sehr flach, Kinderwagen- und Rollstuhlgerecht. Der letzte Teil, der eigentliche Aufstieg, beginnt dort, wo die Dampflock laut wird und die Schmalspurschienen sich um den Brocken schmiegen und winden. Über eine halbe Million Touristen klettern jährlich auf den Brocken, von jung bis alt. Der absolute Rekordhalter ist der Brocken-Benno, der mit seinen 87 Jahren als Guinness-Weltrekordhalter schon über 9.000 Mal den Brocken bestiegen hat. Ein gesundes, tägliches Hobby! So sehr zu übertreiben muss nicht unbedingt sein, aber wenigstens einmal hochklettern ist durchaus empfehlenswert. Wenn hurtige Jogger überholen, ist das nicht verwunderlich, sie trainieren für einen der vielen Brockenläufe und Marathons. Oben angekommen, wird das Genie Goethes sichtbar: da oben ist absolut nichts und er hat es trotzdem so spannend erzählt, dass es Spaß macht, hochzulaufen. Spannend ist der Brocken vor allem im Nebel. An über 300 Tagen im Jahr verdeckt Nebel den Gipfel und erzeugt die optische Täuschung, für welche sich über die Jahrhunderte der Name Brockengespenst eingebürgert hat. Genauso verblüffend wie ein Regenbogen, ist es zwar nichts anderes als Optik, Schatten und Millionen feiner Wassertropfen, aber nichtsdestotrotz absolut faszinierend. Wanderer sehen das Brockengespenst, wenn sie im Nebel gehen und ihren Schatten anschauen, mit dem Rücken zur Sonne gedreht. Die Wassertropfen des Nebels verhindern stereoskopisches Sehen. Leichter Windhauch verleiht dem Schatten eigenständige Bewegungen, selbst wenn der Schattenspender still steht. Wenn der Nebel nicht ganz bis zum Boden reicht, schwebt auch der Schatten und damit das Gespenst. Bei tiefstehender Sonne entsteht zusätzlich eine Glorie um das Gespenst herum, eine Lichterscheinung die durch Rückstreuung des Lichtes an den feinverteilten, kugelförmigen Nebeltropfen verursacht wird. Der Hexentanzplatz ist im Vergleich zum Brockengespenst viel unspektakulärer. Nur in der Walpurgisnacht, wenn die Mai-Feuer lodern, schwebt ein Hauch von „Faust“ in der Luft. Also doch lieber Brockengespenster jagen und fotografieren. Am besten im Herbst oder Frühling, die Jahreszeiten mit Nebelgarantie.