„Viele Leute haben überhaupt keine Ahnung, dass es hier eine Kirche gibt, auch wegen der Bäume, die davor stehen“, entschuldigt Pfarrer Kovács Zsombor, der die evangelisch-lutherische Gemeinschaft in Temeswar/Timişoara führt, das Unwissen seiner Mitbürger. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, auf der sich nur drei Gebäude reihen, liegt eine Grünanlage mit ein paar hohen Bäumen, die die Lutherkirche in den wärmeren Jahreszeiten zum größten Teil vor den Blicken der Passanten verstecken. Flankiert von zwei Bauten - eines davon das „Haus mit der Eisenachse Eugens von Savoyen“ von 1752 - ist der im 19. Jh. im klassizistischen Stil errichtete Sakralbau eher eine diskrete, aber elegante Präsenz in der Architekturlandschaft von Temeswar.
Pfarrer Kovács Zsombor ist ein gebürtiger Kronstädter, der sein Theologiestudium am Klausenburger Theologischen Institut zwischen 1990-1994 ablegte. „Am Institut habe ich auch meine Frau kennengelernt. Sie ist eine reformierte Pfarrerin an der Kirche im Temeswarer Stadtviertel Rote Tscharda/Ciarda Roşie“, erzählt Kovács. In der Schule erhielt Kovács Zsombor Fremdsprachenunterricht auf Englisch und Französisch, außerdem spricht er sehr gut Deutsch. „Als ich 1994 nach Temeswar entsandt wurde, fand ich hier deutsche Gemeindemitglieder, so habe ich Deutsch gelernt“, sagt Kovács. Den Gottesdienst hält er in drei Sprachen: Ungarisch, Deutsch und Rumänisch; auf Deutsch und Ungarisch jeden Sonntag und auf Rumänisch an einem Sonntag im Monat. Für den Gottesdienst in slowakischer Sprache ist der evangelische Pfarrer aus der Temescher Gemeinde Vucova zuständig, der diesbezüglich zweimal im Monat nach Temeswar kommt.
Nur noch 70 deutsche Evangelische
Wenn 1937 die evangelische Gemeinde in Temeswar 3.891 Mitglieder zählte, davon etwa 2.500 Deutsche, so sind es derzeit nur noch 200, davon 140 zahlende Mitglieder. Zu den 200 Lutheranern in Temeswar gehören etwa 70 Deutsche (Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen), 100 Ungarn und der Rest Rumänen. „Es gibt auch 70-80 Slowaken“, so Kovács Zsombor. Bei der letzten Völkerzählung sollen sich aber 500-600 zum evangelischen Glauben bekannt haben. „Es ist schlimm, dass wir die Leute nicht finden können. Leider kommen sie erst, wenn es eine Beerdigung gibt“, bedauert der Pfarrer die Lage. In einem Jahr begleitet er ein-zwei Eheschließungen, zwei-drei Taufen und acht-zehn Beerdigungen. „Kinder und Jugendliche gibt es auch nicht sehr viele“, sagt Kovács Zsombor. Da die meisten Kinder Rumänisch sprechen, hält er den Religionsunterricht in dieser Sprache, der während der Schulzeit mit drei-vier Kindern stattfindet. Außerdem bekommen die 14-15-Jährigen noch Konfirmandenunterricht. „Das Kind kann sich die Sprache, in der es konfirmiert werden möchte, auswählen, und infolgedessen wird dann der Katechismus auf Deutsch, Ungarisch oder Rumänisch gelehrt“, erklärt der Pfarrer.
Die selbstständige evangelische Pfarrgemeinde in Temeswar, bis dann Tochtergemeinde der evangelischen Kirchengemeinde Liebling, wurde 1824 gegründet und feierte im vergangenen Jahr 175 Jahre seit der Einweihung der Kirche 1839. Eine evangelische Gemeinde ist jedoch nicht nur von einem Pfarrer geleitet und nach außen vertreten, sondern auch von einem Kurator - beide Mitglieder des Presbyteriums, dem Leitungsgremium einer evangelischen Kirchengemeinde. In Temeswar nimmt Iovanca Popovici, von deutscher und serbischer Abstammung, die Funktion des Kurators, ein. Gewöhnlicherweise kennen die Kuratoren auch die Gemeinschaft besser, da sie nicht so oft wie ein Pfarrer gewechselt werden. Sechs Jahre lang kann ein evangelischer Pfarrer ein Pfarramt bekleiden, dann stehen Wahlen an. „Der Bischof kann auch einen Pfarrer abrufen, aber die endgültige Entscheidung liegt bei der Pfarrgemeinde“, erklärt Kovács Zsombor, der der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Temeswar seit 20 Jahren vorsteht. „Anscheinend war die Gemeinde mit mir zufrieden, denn ich bin schon lange hier“, meint der Pfarrer lächelnd dazu.
Die evangelisch-lutherische Pfarrkirche in Temeswar (Ionel I.C. Brătianu-Platz 3) wurde vom Budapester Architekten Ferdinand (Nándor) Hilt und dem Arader Ingenieur Johann (János) Glatz errichtet. Laut Aussagen des Architekten Bleyer stammen die Baupläne vom Temeswarer Architekten Anton Schmidt. Mit den Bauarbeiten wurde Karl Fischer aus Neuarad beauftragt. Die Grundsteinlegung erfolgte 1831 und die Bauarbeiten endeten 1838. Eingeweiht wurde die Kirche am Reformationstag, den 27. Oktober 1839. Der Aufbau des Kirchturms fand durch den Architekten Lipót Löffler 1902 statt und die zweimanualige Orgel war eine Bestellung an die Firma Wegenstein und Söhne in Temeswar. 1903 wurden die drei Glocken aus der Glockengießerei Anton Novotny aus Temeswar angekauft und im selben Jahr, am 19. Oktober, eingeweiht.