Viel Verständnis für moderne Inszenierungen verlangt die jüngste Premiere am DSTT von den Theaterbesuchern. Denn „Die unglaubliche und traurige Geschichte von der einfältigen Eréndira und ihrer herzlosen Großmutter“ ist nichts für prüde Leute, die gerne ins Theater gehen würden. Eigentlich müsste der Titel schon die prüden Besucher warnen, denn der Stoff ist nicht neu. Er geht auf Gabriel García Márquez und die vor fast einem halben Jahrhundert erschienene gleichnamige Erzählung zurück und handelt vom Drama eines vierzehnjährigen Mädchens, das von seiner Großmutter zur Prostitution gezwungen wird, um für den Brand des Hauses zu büßen und seine Freiheit wieder zu gewinnen. Aber dass dann eine - explizite – Vergewaltigung auf der Bühne vorgeführt wird, ist sicherlich nicht jedermanns Sache. Auch nicht das Ächzen und Stöhnen während der Sexualakte, die die Hälfte der Zeit zu hören sind und die die ganze Palette bis hin zu grotesk und skurril abdecken und schließlich Tragik mit Komik verschmelzen lassen.
Überhaupt setzt die Inszenierung des schon preisschweren Yuri Kordonsky, der nach dieser Inszenierung, die wahrscheinlich bei der Kritik gut ankommen wird, wieder „preisverdächtig“ wird, viel auf Sex, Aggressivität, Groteskes, in einem Rezept, das den Zuschauer über zwei Stunden auf dem Stuhl halten soll.
Es geht um die junge Eréndira, die nach dem Tod der Eltern im Haus der Großmutter lebt. Eréndira badete gerade ihre Großmutter, als der Wind des Unglücks zu wehen begann. Nachdem das Haus niederbrennt, wird die ohnehin strenge Großmutter zur herzlosen „Madame“: Die feilscht und verkauft die Jungfrau schließlich für einige Hunderter, eine Mariä-Statue, einen Sack Orangen und ein Kaleidoskop. Während die Großmutter ins Kaleidoskop schaut, wird die Vergewaltigung durchgeführt. Nachdem Hunderte geiler Männer Schlange vor Eréndiras Zelt stehen, zieht es auch den jungen Ulysses dorthin. Die Liebesgeschichte der beiden wird der Großmutter Verheißung sein, denn, auch wenn es dieser gelingen wird, einen Fluchtversuch zu ersticken und Eréndira zurückzubringen, diesmal angekettet wie ein Hund, so wird es beim zweiten Mal gelingen, den geplanten Mord durchzuführen.
In die Rolle der Eréndira ist Olga Török zu sehen, Horia Săvescu ist Ulysses. Eine große Rolle erschafft Ida Jarcsek-Gaza, die blendend, souverän als herzlose Großmutter auftritt. Außerdem treten skurrile Gestalten in den Zirkusszenen auf: etwa eine Schlangenfrau (Isa Berger) oder ein alter Engel (Rareş Hontzu).
Was der Inszenierung Pluspunkte bringt, ist die sehr geschickte Einspielung von Sandzeichnungen, die live von Ioana Popescu durchgeführt und im Hintergrund projiziert werden, dabei oft den Eindruck eines Stummfilms hinterlassen. Sie bieten einen Großteil der Kulisse und damit kann man die Elemente besser darstellen, von denen viel gesprochen wird: Sand (Wüste), Wasser (Meer) und Wind („der Wind des Unglücks“). Überhaupt sind das Bühnenbild von Helmut Stürmer und die Kostüme von Ioana Popescu, dazu auch noch die Perücke der Großmutter, ein Entwurf von Minela Popa, zu preisen.
Die nächste Aufführung der „Eréndira“ findet im Rahmen des Eurothalia-Festivals statt.