Es kann nur eine Liebesgeschichte sein, die der Filmemacher Radu Gabrea mit seinem neuesten Film „Lindenfeld“ erzählen möchte und noch dazu eine tragische. Schließlich sind es gerade diese Geschichten, die man immer wieder gerne hört und die uns immer wieder bewegen, unabhängig davon, wie oft sie schon erzählt wurden. Der Verlust der Heimat verbunden mit dem Verlust der ersten großen Liebe ist ein Thema so alt wie die Menschheit selbst. Und gerade darum pilgern noch heute zahlreiche Touristen zu den verlassenen Ruinen aus Lindenfeld, gut 46 Jahre, nachdem der letzte Deutsche von dort wegzog. Das Dorf auf der Spitze eines Banater Berges in der Gemeinde Buchin ist von der Welt abgeschottet. Die einzigen konstanten Besucher waren und sind die Schäfer mit ihren Herden, die in den verlassenen Häusern Zuflucht suchen, im Winter vor der Kälte sowie im Herbst und Frühjahr vor dem Regen.
Für die 36 Familien, die sich im Herbst 1828 dort oben ansiedelten, wurde der bevorstehende Winter ein Albtraum. Nur fünf Jahre hielten es die aus Böhmen stammenden Deutschen aus. Viele kehrten zurück in ihre alte Heimat, viele blieben im Banat, bevorzugten aber die Heide und verließen darum die Berge. Die Häuser, die sie gebaut hatten, ließen sie zurück. Eine Einladung für andere Familien, Lindenfeld eine zweite Chance zu geben. 18 Familien aus Wolfswiese zogen in die Häuser ein und belebten das Dorf fern jeglicher Zivilisation neu.
„Sie haben sich wie die Verrückten niedergelassen“, sagt Regisseur Radu Gabrea, der vor einem Jahr zusammen mit einer Filmcrew auf einem Traktor nach Lindenfeld fuhr, um Vorort seinen Film zu drehen. „Die hatten es im Winter besonders schwer, weil das Dorf so abgeschottet war. Es gibt auch heute noch keinen vernünftigen Weg dorthin.“
Um Lindenfeld zu erreichen, braucht man entweder einen Geländewagen oder viel Ausdauer. Von dem Dorf Buchin aus führt ein nicht markierter Trampelpfad zu den Ruinen Lindenfelds. Zu Fuß dauert es fast zwei Stunden, es sei den man versucht, aus Richtung Wolfsberg das verlassene Dorf zu erreichen. Der Alternativpfad führt durch Felder und Wälder und dauert vier Stunden.
Es ist eine strapazierende Reise mit vielen Hindernissen gespickt. Obwohl Lindenfeld heute eine touristische Attraktion darstellt, ist der Weg nicht ausgeschildert. Zudem muss man sich vor den großen Schäferhunden sputen, deren ausgeprägtes Revierverhalten, den einen oder anderen Wanderer schon mal zur Rückkehr gezwungen hat. Die Reise nach Lindenfeld ist ein Abenteuer. Doch die Strapazen nehmen die meisten gerne in Kauf. Schließlich versprechen die Ruinen einen Einblick in eine untergegangene Welt.
Lindenfeld und sein Schicksal resümieren die Geschichte der Banater Deutschen. Ohne je ein Geschichtsbuch aufgeschlagen zu haben oder einen Einheimischen zu fragen, verraten die Ruinen des Dorfes schon alles, was man wissen muss. Sie erzählen von Fortschritt und Fleiß, von Mühen und Enttäuschungen, von der Liebe zu einem Ort, der zuerst fremd war und dann zur Heimat wurde, aber auch von dem Bruch mit jener harschen, neuen Welt, die zu viel versprach und zu wenig zurückgab.
Sie erzählen eine Liebesgeschichte und noch dazu eine tragische. Und wie alle Liebesgeschichten, die vom Scheitern handeln, geht es auch um die Suche nach dem Verlorenen und dem Versuch es wiederzufinden.
Gabrea baut um das Dorf Lindenfeld die Geschichte eines Mannes auf, der nach Russland deportiert wurde und durch die Deportation, die Frau seines Lebens aus den Augen verlor. Als alter Mann wird bei ihm eine unheilbare Krankheit diagnostiziert und darum beschließt er kurz vor seinem Tod noch einmal seine alte Heimat zu besuchen und muss erfahren, dass die Frau, die er für Tod gehalten hat, noch immer dort lebt. Sie ist die einzige Person, die Lindenfeld nie verließ.
Heute hat sich tatsächlich ein Deutscher in dem verlassenen Dorf angesiedelt. Zwischen den verfallenen Häusern baut er sich ein neues. Inzwischen hat er auch einen Nachbarn erhalten. Ein Unternehmer aus Karansebesch/Caransebes baut dort eine Pension. Somit wird das einst verlassene Dorf fern jeglicher Zivilisation, wo die alten Häuser noch immer Möbel und Gegenstände aus der alten Welt beherbergten von der Gegenwart assimiliert. Lindenfeld verwandelt sich in eine andere Sorte Touristenattraktion. Es ist eine sowohl erfreuliche als auch traurige, schmerzhafte Entwicklung. Denn der Magie jenes Ortes geht verloren. Das Geisterdorf ist kein Geisterdorf mehr. Das, was so viele Menschen über die Jahre nach Lindenfeld zog, geht verloren. Und zwar das Gefühl mitten in einer Welt zu stehen, mit der die Zeit ungnädig war, die aber nicht gänzlich verloren ging, eben wegen den zahlreichen Relikten und den noch intakten Häusern sowie der Kirche.
Wenn man mit halbgeschlossenen Augen an einem Sommertag durch Lindenfeld wandert, fühlt man sich in jene Jahre zurückversetzt, als in Lindenfeld noch rund 300 Personen lebten und in ganz Rumänien hunderttausend Deutsche.