Das Hauptproblem des rumänischen Staats ist er selber. Und seine Unfähigkeit zur Modernisierung. In Rumänien kann man nicht von Staat und Gesellschaft sprechen. Aber von Gesellschaft gegen Staat ausgehen. Aus den Dokumentationen von Constanţa Vintilă-Ghiţulescu, die an den Wurzeln der Modernität des rumänischen Staates forscht – der Walachei und der Moldau, denn von den staats- und gesellschaftspolitischen Traditionen Siebensbürgens, des Partiums und des Banats hat der rumänische Staat so gut wie nichts – kann man mühelos ersehen, dass die Modernisierung dieses Staates über drei Stufen gestolpert ist, die heute noch Hürden sind, mit denen dieser Staat nicht umzugehen weiß: die Trennung von Staat und Kirche (die Autokephalie der Orthodoxie macht´s schwierig, aber auch die Schmierigkeit rumänischer Politiker); die Trennung der Eigenwirtschaft von der Produktion (die von Ion Iliescu geförderte „Bodenrückerstattung“ mit 3,5 Millionen Kleinbesitztümern mit Selbstversorgungsstatus hat sie mit blockiert); die Trennung der staatlichen Verwaltung von den Verwandschaftbeziehungen (die ab 1918 eingeführte Vetternwirtschaft, welche bei ihrer Einführung im Banat und in Siebenbürgen – Tagebücher und Zeitchroniken bezeugen es – Erschütterungen ausgelöst hat).
Diese Stolperstufen haben rumänische Soziologen, Politologen und Ethnologen identifiziert und definiert und ihrer fragen sich, wieso ein Staat, der diese Trennungen nicht schaffte, überhaupt noch existiert. Als schwacher Staat der Moderne (da kann sich Präsident Băsescu auf der Internationalen Szene noch so aufplustern – oder hat jemand in den letzten Jahren von ihm noch etwas von Schwarzmeerraum und Führungsrolle Rumäniens in diesem Raum des Impakts zwischen Orient und Okzident gehört?) - aber immerhin als Staat.
Gesellschaften ohne Staat sind Gesellschaften gegen den Staat, sagt Pierre Clastres, egalitäre Gesellschaften, in denen etwa ein Kommunismus im christlichen Ursinn gedeihen könnte, die sich mit aller Kraftmobilisierung gegen Machtkonzentrationen wehren – also gegen den Staat, das Symbol der Konzentration von Macht. Staat=Macht wird bloß als Prestigeorganisation, als zwangsunfähiges Instrument geduldet, das bei Anläufen zum Zwang überlistet werden muss. Ein Monopol auf Willkür mit Rechtsgrundlage, von dem Max Weber spricht, gesteht eine solche Gesellschaft dem Staat nicht zu. Erst die Umformung des Staates zum Symbol des Übervaters, wie sie die Kommunisten propagandistisch förderten, wird akzeptiert, weil darin sowohl die nicht zu hinterfragende Allmacht der Kirche, als auch die unkritisch akzeptierte Verfügungsgewalt des Bojaren und die familiären Netzwerke der (Ur)Gesellschaft stecken. Verwandschaft schafft Ordnung, Glauben schafft Normen, kalkulierbares Vertrauen entsteht (nur) in der Gemeinschaft/Gesellschaft. Starke (Verwandschafts-)Beziehungen schaffen den starken Staat.
Auf dieser Stufe, so will mir scheinen, steht Rumänien. Jetzt.