Das eigene Baby bis zu sechs Monaten ausschließlich mit Muttermilch zu füttern, das klingt fast unmöglich für viele Frauen in Rumänien. Dies, weil eine Mehrheit der Ärzte und Mediziner die frisch gebackenen Mütter, die ihre Kinder gern stillen würden, nicht dabei unterstützen. Meist wird sofort Milchpulver empfohlen, und gerade in staatlichen Krankenhäusern haben es Mütter schwer, ihre Babys sofort nach der Geburt zu stillen. Nicht nur, weil ihnen das medizinische Personal kaum Informationen diesbezüglich liefert, sondern auch, weil die Kinder meist in einem anderen Raum untergebracht sind und nur auf Anfrage der Mutter gebracht werden. Das sogenannte Rooming-in-System, bei dem die Säuglinge in demselben Raum wie die Mutter schlafen, ist fast ausschließlich nur in Privatkliniken vorhanden.
Seit eineinhalb Jahren haben es Mütter in Rumänien, die den von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlenen Stillungszeitraum von sechs Monaten einhalten wollen, um einiges leichter. Ein Blog und eine Facebook-Gruppe mit dem Namen „Alăptează!“ geben Auskunft darüber, wie man es als Mutter allein schafft, sein Kind zu stillen – und das bis zu sechs Monaten ausschließlich mit Muttermilch, ohne Wasser, Tee, Brei oder Milchpulver. Die Idee dazu hatte die junge Temeswarer Ingenieurin Silvia Nicoară, Mutter eines zweijährigen Jungen, die ihr Kind in England zur Welt brachte. „Dort wird einer jungen Mutter erklärt, wie sie das Kind halten muss, damit es das Saugen lernt. Von Bekannten erfuhr ich, dass das in Rumänien überhaupt nicht der Fall ist. Deswegen entschied ich, etwas zu unternehmen, um den jungen Müttern zu helfen – auch wenn nur mit Ratschlägen“, sagt Silvia Nicoară. In der geschlossenen Facebook-Gruppe werden Beiträge zum Thema „Stillen bis zum sechsten Lebensmonat“ veröffentlicht, auftauchende Probleme diskutiert, Ratschläge geäußert. Die Mehrheit der ungefähr 3600 Frauen, die inzwischen der Gruppe beigetreten sind, konnte die Empfehlung der WHO auch in die Tat umsetzen. Die meisten klagten darüber, dass sie seitens der Ärzte und der Familie kaum Unterstützung diesbezüglich erhielten.
„Die rumänischen Frauen wissen nicht, dass 98 Prozent der Mütter in der Lage wären, ihre Babys bis zu sechs Monaten zu stillen. Die zwei Prozent, die das nicht können, leiden an gewissen Krankheiten“, sagt Silvia Nicoară, die auf dem Blog- und auf der Facebook-Gruppe ausschließlich Fachartikel postet. Die Größe der Brüste würde nicht die Quantität der Muttermilch beeinflussen, sagt Silvia Nicoară aus eigener Erfahrung. Auch könne man die Quantität der Muttermilch nicht mit der Milchpumpe messen, zumal Babys auf einer anderen Art und Weise die Milch aus den Brüsten „herauslocken“. Weshalb Ärzte und Mediziner in Rumänien das Stillen nicht empfehlen, sei auch für sie ein Dilemma. An der Medizin-Universität gäbe es kein Kursmodul zum Thema „Stillen“, allein über gewisse Milchpulver-Mischungen würden die künftigen weißen Kittel lernen.
Und trotzdem: Zur Gruppe, die Silvia Nicoară gegründet hat, gehören auch einige Ärztinnen, die sich dem Stillen verschrieben haben. Mit Hilfe von Fotos und fachspezifischen Informationen erstellten sie vor Kurzem einen Film, in dem die Vorteile des ausschließlichen Stillens bis zum sechsten Lebensmonat und das weiteren Stillens bis zum zweiten Lebensjahr erklärt werden. Dass Muttermilch alles hat, was ein Baby braucht, um sich optimal körperlich und geistig zu entwickelt, ist in dem Film deutlich erkennbar. Nicht nur das Immunsystem des gestillten Kleinen wird gestärkt, sondern auch die Entwicklung des Gehirns wird gefördert. Der niedrige Eiweißgehalt der Muttermilch sei ebenfalls ein Vorteil, denn er beeinflusst positiv das Zentralnervensystem.
„Neben den medizinisch bewiesenen Vorteilen gibt es auch noch einen weiteren. Durch das Stillen wird nämlich eine besondere Mutter-Kind-Beziehung aufgebaut. Das Kind soll selbst aus dem Stillbedürfnis herauswachsen“, ist Silvia Nicoară überzeugt. Der frisch gegründete Verein „Alăptează“ organisiert regelmäßig Treffen der Mütter und Kinder in Temeswar/Timişoara, aber auch Informationsveranstaltungen zum Thema „Stillen“, damit je mehr Mütter die Vorteile der Muttermilch erkennen und zu schätzen lernen.