Bis zum Frühjahr 2001 rieb sich so mancher Rumänienbesucher verwundert die Augen, denn wenn sie mit ihrem Pkw die rumänisch-ungarische Grenze bei Nadlak passierten, sind sie nicht selten einem stattlichen Major von der rumänischen Grenzpolizei begegnet. Einem Berg von einem Mann. 1,88 Meter groß, 120 Kilo schwer, mit Schnurrbart. Viele haben ihn auf den ersten Blick wiedererkannt, denn er hatte sich im Vergleich zu früher bis auf die zusätzlichen Pfunde nicht viel verändert. Es war Helmut Duckadam, der weltberühmte Torwart und einzige donauschwäbische Sportler im ebenso berühmten "Guinness-Buch der Rekorde". Darin aufgenommen wurde er durch eine Glanztat, die bis heute ihresgleichen sucht. Am 7. Mai 1986 hielt Helmut Duckadam im spanischen Sevilla während des Endspieles um den Europapokal der Landesmeister gegen den FC Barcelona gleich vier Elfmeter, sicherte mit seinen goldenen Händen dem Armeeklub Steaua Bukarest als erster osteuropäischer Mannschaft den Gewinn des Europapokals der Landesmeister mit 2:0. Eine Woche nach seiner Ruhmestat in Spanien veröffentlichte der Autor dieses Beitrages in der „Neuen Banater Zeitung" aus Temeswar unter der Überschrift „Die glücklichste Oma der Welt" folgenden Bericht: „Semlak, 7. Mai, 21.15 Uhr, im Haus Nummer 149. Das Spiel der Spiele zwischen Steaua Bukarest und dem FC Barcelona wird in Sevilla vom französischen FIFA-Referee Michel Vautrot angepfiffen. Millionen Menschen aus aller Welt schauen gebannt auf den Bildschirm. Und mit ihnen auch die einzige Bewohnerin des kleinen Häuschens am Rande von Semlak, eine hochgewachsene Frau mit schneeweißem Haar, die am 3. Januar achtzig Jahre alt geworden ist. Gestützt auf drei Kissen liegt sie in ihrem Bett und wird von dem Geschehen auf der Mattscheibe ganz in Anspruch genommen. Als es nach der Verlängerung zum Elfmeterschießen kommt, hält es auch die rüstige Greisin nicht mehr in ihrem Bett aus. Einem einzigen Spieler gilt ihre ganze Aufmerksamkeit, dem Torhüter von Steaua. Jedes Mal wenn die Spanier zum Strafstoß antreten, ruft sie ihm zu, obwohl Tausende von Kilometern beide in diesen nervenzerreibenden Augenblicken trennen: „Helmut, gib owacht!" Und der Schlussmann scheint sie trotz dieser immensen Entfernung zu hören. Viermal wehrt er die Schüsse der Katalanen ab und viermal reißt die alte Frau die Arme in die Höhe, schreit ihre Freude hinaus. Das Spiel ist aus, der wertvollste Europapokal wird nach Bukarest kommen. Als ihn Keeper Duckadam in den Händen hält, durchrieselt ein unbeschreibliches Glücksgefühl die bejahrte Frau. Tränen der Freude kullern über ihre Wangen. In diesem Moment ist sie die glücklichste Oma der Welt, denn Elisabeth Kalman (geb. Schmidt) ist die Großmutter von Helmut Duckadam, der bei ihr die schönsten Jahre seiner Kindheit verbracht hat. Die Semlaker sprechen nur noch von ihrem Landsmann, dem es gelungen ist, gleich vier Elfmeter hintereinander zu entschärfen. Die Kinder bestürmen in der Schule die einstigen Lehrer von Helmut mit allerlei Fragen, die Knirpse streiten beim Fußballspielen um den Torwartposten, wo doch bis jetzt niemand das Tor hüten wollte. Auch die Erwachsenen sparen nicht mit Superlativen und zeigen sich recht erfinderisch, wenn es um ihren „Ducki“ geht. Ein beredtes Beispiel liefert Richard Seebold, Leiter des Semlaker Brennstoffdepots: „Es tut mir Leid, dass ich kein Bildhauer bin, denn ich würde ihm das schönste Denkmal setzen..." Soweit der NBZ-Bericht. Doch auch andere Zeitungen überschlugen sich mit Lobeshymnen auf den berühmten Banater Schwaben. Die größte deutsche Sportzeitschrift "Kicker Sportmagazin" schrieb am 9. Mai 1986: War das ein Krimi im Finale. 76000 Fans zwischen Hoffen und Bangen, 75000 fassungslose nach 137 Minuten. Nur das Häuflein aufrechter Rumänen, rund 1000 an der Zahl, feierten ihren Helden. Sein Name: Helmut Duckadam, Torwart von Steaua Bukarest. Vier, alle vier Elfmeter der Katalanen hatte er abgewehrt und damit erstmals eine osteuropäische Mannschaft auf Europas Thron gehievt. Dank Duckadam, dem Teufelskerl von Sevilla. Als erster Spanier tritt Libero Alesanco an, hält voll drauf. Halbhoch kommt das Leder, Duckadam hat die Fäuste dazwischen - gehalten. Pedroza ist der nächste, zielt scharf und flach nach links, mit einer Hand wehrt die Nummer eins ab. Alonso sucht sich die gleiche Ecke aus, erneut flach. Duckadam ist schon da. Lăcătuş mit Wut an die Lattenunterkante und Balint überlegt in die Ecke haben Steaua mit 2:0 in Führung geschossen. Wenn Marcos nicht trifft, ist es aus. Und Marcos trifft nicht, zielt nach rechts, schwach, nur geschoben, Duckadam hält. Wenige Tage später, am 12. Mai 1986, berichtete der Kicker" unter der Überschrift „Held aus Schwaben": Was nach dem Jubel noch auftauchte und bislang nur wenige wussten: Der Elfmeter-Töter im Tor des rumänischen Meisters hat nicht nur einen deutschen Vornamen, er ist auch deutscher Abstammung, ein am Unterlauf der Marosch geborener Banater Schwabe." Im „Kicker-Jahrbuch des Fußballs 1986/87" stand zu lesen: „Das Elfmeterschießen hatte einen strahlenden Helden auf seiten Steauas, den deutschstämmigen Torhüter Helmut Duckadam."
Seine fußballerischen Anfänge beginnen 1975 bei der Dorfelf Semlecana Semlak. Danach kam er zur Jugendmannschaft von Gloria Arad. Dorthin lotste ihn sein ehemaliger Semlaker Sportlehrer Michael Jost. Der erinnert sich: Schon während der Schulzeit im Geburtsort konnte man sein Talent als Tormann erkennen, obwohl er nur ungern im Kasten stand. Immer wieder kam er zu mir mit der Bitte, ob er nicht Feldspieler sein darf? Doch nur selten ließ ich das zu und sagte ihm, wenn er mal Schlussmann bei UTA oder in der rumänischen Nationalmannschaft werden will, muss er öfter im Tor stehen. Nach der achten Klasse brachte ich ihn nach Arad zu Professor Dušan Gavrilovici von der Gloria-Sportschule, der damals Jugendtrainer bei UTA war. Helmut trainierte weiter mit viel Ehrgeiz und man wurde in Fußballkreisen sehr bald auf ihn aufmerksam." Bereits zwei Jahre später nahm ihn der Sportverein UTA unter Vertrag. Er blieb zunächst aber nur ganz kurz dort und spielte in der Saison 1977/78 erst mal bei Constructorul Arad. Anschließend kehrte er 1978 zu UTA zurück - und sein kometenhafter Aufstieg begann. Bereits ein Jahr nach seinem Transfer gab Duckadam bei UTA sein Debüt in der höchsten rumänischen Spielklasse. In der Saison 1981/82 bestritt er bereits alle Oberhaus-Partien im UTA-Kasten und brachte mit seinen Glanzparaden die Stürmer ein ums andere Mal zum Verzweifeln. Kein Wunder, dass auch Steaua Bukarest auf ihn aufmerksam wurde. 1983 erfolgte sein Wechsel zum Militärverein in die rumänische Hauptstadt. Es sollte seine erfolgreichste Zeit als Fußballer werden. Zweimal wurde er Landesmeister, einmal Vize, einmal holte er den Rumänienpokal, zweimal stand er im Finale und die Krönung seiner Laufbahn war natürlich der Gewinn des Europacups der Landesmeister (1985/86). 1986 wurde er nach seiner Sevilla-Sensation auch zum Fußballer des Jahres in Rumänien gewählt und bei der Umfrage zu Europas bestem Fußballer kam er auf einen beachtenswerten achten Platz. Er bestritt etwa 200 A-Ligabegegnungen. Hinzu kommen noch zwei Länderspiele in der rumänischen Nationalmannschaft, in denen er zusammen 100 Minuten im Tor stand. 1986 nahm Duckadams Karriere ein jähes Ende. Darüber kursieren die wildesten Gerüchte. So schrieb die BILD-Zeitung am 25. Januar 1990 unter der Überschrift: „Ceauşescu jr. brach Star-Torwart beide Arme – er wollte sein Auto": „Das Terror-Regime des Nicolae Ceauşescu verschonte auch die Sportler nicht, die als Helden gefeiert wurden - bis sie verschwanden. Helmut Duckadam machte Steaua Bukarest am 7. Mai 1986 zum Europacupsieger, hielt im Finale vier Elfer. Der Torwart wurde zum besten Spieler des Finales gewählt. Prämie: Ein neuer Mercedes. Einige Wochen später meldete die rumänische Nachrichten-Agentur 'Agerpres': Torwart Duckadam muss wegen einer chronischen Handverletzung seine Karriere beenden. Die Wahrheit wurde erst jetzt, nach über drei Jahren aufgedeckt. Ceauşescu-Sohn Valentin war scharf auf den Mercedes, habe Duckadam angesprochen: „Du bist ein gewöhnlicher Bauer. Wozu brauchst du so ein Auto?" Der Torwart: „Meine Hände haben mir geholfen, das Auto zu gewinnen - und die werden es auch lenken." Nach dem Training wurde Duckadam am Stadiontor erwartet. Vier Securitate-Schergen verschleppten und folterten ihn, brachen ihm mit einer Eisenstange beide Arme. Duckadam (damals 27) konnte nie mehr ins Tor. Aber er ist glücklich, dass er noch lebt." In Rumänien hielt sich damals auch ein anderes Gerücht. So soll Duckadam nach dem Europapokal-Gewinn in Semlak mit den Dorfoberen auf Jagd gegangen und sich in angetrunkenem Zustand aus Versehen selbst in den Arm geschossen haben. Doch Helmut Duckadam dementiert beide Gerüchte. „Das stimmt alles hinten und vorne nicht. Mal soll Valentin Ceauşescu scharf aufs Auto gewesen sein, mal sein Bruder Nicu. Mal soll es ein Mercedes gewesen sein, dann ein Toyota. Nicu Ceauşescu habe ich überhaupt nicht gekannt und mit Valentin bin ich auch jetzt noch befreundet. Auch das mit dem Wagen ist teilweise erfunden. Ich habe weder einen Mercedes noch einen Toyota bekommen, sondern einen gebrauchten ARO-Geländewagen. So einen erhielt nach dem Europapokalsieg jeder Steaua-Spieler vom Verteidigungsministerium geschenkt."
Aber wie war das dann wirklich mit seiner Verletzung? Duckadam erinnert sich: „Im Sommer 1986 stockte auf einmal das Blut in meinem rechten Arm. Unterhalb der Schulter bildete sich ein Gerinnsel. Bis heute weiß keiner, wie es zu dieser Arterien-Erkrankung kam. Vielleicht war es etwas Angeborenes. Oder ich bin bei einer meiner Paraden mit dem Arm gegen etwas geprallt. Jedenfalls war es eine schwierige Operation am Bukarester Militärspital, die fünf Stunden dauerte." Unter den Spätfolgen hat er noch immer zu leiden. Schließlich blieb ihm nichts Anderes mehr übrig, als am 1. März 2001 in Krankenrente zu gehen.
Lange konnte Duckadams Oma das Glück mit ihrem berühmten Enkel nicht mehr genießen. Drei Jahre nach seinem sensationellen Triumph, also 1989, starb sie. „Leider hat sie die Wende in Rumänien nicht mehr erlebt", sagt Helmut Duckadam mit Trauer in der Stimme. Ab und zu besucht er das Grab seiner Oma auf dem Semlaker Friedhof. „Wenn man jemand im Herzen trägt, muss man nicht ständig an seinem Grab stehen", meint der Ex-Torhüter. Nach Semlak, wo er am 1. April 1959 das Licht der Welt erblickte, zieht es ihn immer wieder. Jede Woche mindestens zweimal. Er besitzt dort ein Ferienhaus. Es befindet sich auf einem Grundstück an der Marosch, dort wo am Dorfende gegen Petschka die Punde beginnt. Die Blockhütte steht inmitten von gepflegten Beeten mit Sommerastern und Zinnien. Unweit von hier geht er auch auf Jagd und zum Angeln. „Hier ist mein Revier", erzählt er schmunzelnd. Doch die Freunde von früher fehlen ihm. Deshalb spricht er nur noch selten Schwowisch. „Weil niemand mehr hier ist, mit dem ich es tun könnte".
Aus: Tarzan, Puskás, Hansi Müller“ – Stelldichein donauschwäbischer Spitzensportler“, 2001
Redaktionelle Kürzung: Siegfried Thiel