“Ich bin eine Möwe”- Wie ein letzter Aufschrei vor dem Ende. So das Bekenntnis Ninas, des Mädchens vom Lande, das sich zum großen Theater hingezogen fühlt. Mit dieser lichtvollen und gequälten Gestalt führt uns der große Meister des russischen Theaters in die russische Provinzlandschaft um die Jahrhundertwende und wiederum heraus in eine zeitlose Welt der Kunst und Schönheit. Wie in seinen anderen Meisterdramen “Onkel Wanja”, “Drei Schwestern” oder “Der Kirschgarten” steckt auch in dem 1895 entstandenen Stück “Die Möwe” (Tschaika), das der Autor selbst als Komödie bezeichnet hatte, zugleich eine traurige Komödie wie auch eine groteske Tragödie. Kein Wunder, dass “Die Möwe” bei ihrer Uraufführung 1896 in Sankt Petersburg das zeitgenössische Publikum vor den Kopf gestoßen hatte und als Stück ohne Intrige und Handlung verrissen wurde: Tschechow hatte damit die Grundlagen des traditionellen Dramas gesprengt. Nur vordergründig wird ein Verwirrspiel der Liebe abgespielt: Lehrer Medwedjenko liebt Mascha, diese liebt Kostja, der wiederum liebt Nina, diese ist in Liebe zum berühmten Schriftsteller Trigorin entbrannt, der jedoch liebt nur seine eigene Person. Eine einzige große Flamme verbrennt diese bemitleidenswerten Gestalten, zwischen Exaltierung und Depression hin- und hergerissen.
In dieser Seelenzergliederung- Mit einem Vorführtheater, dem Theater im Theater, der Aufführung des Endzeit-Textes des jungen Konstantin wird diese Parabel noch einmal im Kleinen vorgeführt- besteht das schöne, die Jahrhunderte überdauernde Hauptanliegen Tschechows: Die qualvolle Sehnsucht, die Suche nach einem Sinn des Lebens, der Liebe und der Kunst. Potenziert wird die Aussage dieses Stücks diesmal im DSTT mit einer höchst originellen Leseart des Tschowschen Theaters durch den renomierten russischen Spielleiter Yuri Kordonsky: Sowohl Gestalten als auch der Text werden aus dem Kontext herausgenommen, das Geschehen wird mitten unter das Publikum gebracht. Gespielt, gesprochen, geliebt wird eigentlich in einer Welt der Theaterkulissen mit allerhand Kram, Kleiderhaken, Leselampen, Hüten und Pelzkappen, Spiegel und Kerzenständer. Hervorzuheben in diesem Sinne das höchst originelle Bühnenbild von Dragoş Buhagiar. Mit großer Einsatzfreudigkeit spielt das DSTT-Ensemble diesen Klassiker in einem höchst schwierigen und originellen Regiepart von Yuri Kordonsky mit bemerkensqwerten, preisverdächtigen Darstellungen wie die der jungen Schauspieler Olga Török (Nina) und Horia S²vescu (Konstantin). Mit starken Charakterdarstellungen warteten u.a. auch Ioana Iacob (Arkadina) oder Georg Peetz (Dorn) vor einem durchwegs in einer langen Abendvorstellung gut mitgehenden und begeisterten Publikum (als Ehrengäste gar zwei Größen des rumänischen Theaters, Victor Rebengiuc und Mariana Mihuţ) auf.