„Heimat zum Anfassen oder: Das Gedächtnis der Dinge“ heißt das jüngste Buch der rumäniendeutschen Autorin und Künstlerin Ilse Hehn. Auf den Deutschen Literaturtagen in Reschitza sprach sie über das Buch sowie die Zielgruppe, die sie damit erreichen möchte. Balthasar Waitz, selber Schriftsteller und Redakteur der Banater Zeitung, stellte vor einigen Wochen Ilse Hehns neuestes Buch vor. BZ-Redakteur Robert Tari sprach sowohl mit der Autorin als auch mit Waitz über die „Heimat zum Anfassen“.
Auf der Suche nach den Gegenständen, die Sie in Ihrem Buch verewigt haben, wurde auch im eigenen Familienhaus herumgestöbert. Hat es Sie an Ihre Kindheit erinnert? Stellt das Buch letztendlich eine nostalgische Rückbesinnung dar?
Die Arbeit an diesem Buch und das Buch selbst wecken schon Nostalgie. Denn es sind Gegenstände, die von den Großeltern oder Urgroßeltern geblieben sind. Sie haben sie im Alltag verwendet. Für mich sind besonders die Handarbeiten interessant, die aus der Zeit meiner Urgroßeltern stammen. Es sind besonders die kleinen Details, die so unglaublich spannend sind. Zum Beispiel steht auf einer Handarbeit geschrieben: „Sparsamkeit et Fleiß“. Sie haben vergessen das „und“ ins Deutsche zu übersetzen. Also es macht sich schon Nostalgie breit, wenn man sich mit diesen Gegenständen aus einer vergangenen Zeit auseinandersetzt, aber das ist nicht der Sinn des Buches. Nostalgie und Wehmut wollte ich nicht damit wecken. Das Buch spricht auch sehr viele sachliche Themen an. Man findet Verweise auf den Ersten Weltkrieg. Ich habe zum Beispiel zerschossene Helme gefunden und abgelichtet. Texte, die ich ausgewählt habe, erzählen über Ereignisse aus dem Zweiten Weltkrieg. Dann wird auch noch von der Verschleppung und Vertreibung der Schwaben aus dem Banat ins Baragan gesprochen sowie der späteren Aussiedlung nach Deutschland. Es geht also auch um ernste Themen aus der Geschichte. Es geht nicht nur um das „Pipatsch-Umfeld“ und um einen sentimentalen Rückblick, sondern es geht auch um die Verarbeitung geschichtlicher Ereignisse. Denn alte Gegenstände erzählen eine Geschichte, indem sie eben Teil der Geschichte sind.
Es sind mehr als 300 Bilder. Bei der Vorbereitung für das Buch kamen aber bestimmt deutlich mehr Fotos zusammen. Wie trifft man eine Auswahl? Was war für Sie besonders wichtig?
Es ging mir nicht um eine Einteilung nach persönlichen Kriterien. Was ich wichtig finde oder was ich nicht wichtig finde, darum geht es nicht. Alles ist wichtig, weil wir mit diesen Gegenständen lebten. Aber ich musste mich eben an eine Zahl klammern, damit es den Rahmen nicht sprengt. Darum musste ich eine Auslese treffen und da spielte auch die Qualität der Bilder eine entscheidende Rolle. Aber jeder kleine Gegenstand war wichtig. Das alte Bügeleisen, die Kaffeemühle mit dem eingravierten Datum von 1830 oder die Taufbilder von 1820 oder die Musikinstrumente aus der Einwanderungszeit, die Grabsteine der ersten Siedler von 1780 - uralte Grabsteine. Sie waren genauso wichtig, wie das Spielzeug der Kinder. Es ging mir nicht um meine persönliche Beziehung zu den Gegenständen, die ich fotografiert habe. Ich wollte den ganzen Kulturkreis illustrieren.
Zu den selbst geschossenen Bildern findet man Begleittexte. Nicht von Ihnen sondern von anderen deutschsprachigen Schriftstellern aus dem Banat.
Ich wollte zuerst einen Bildband veröffentlichen. Dann fand ich es aber ein bisschen zu einfach oder zu platt. Um den heimatlichen Bezug noch mehr zu unterstreichen, habe ich mich dann dafür entschieden, auch ausgewählte Texte Banater Autoren beizufügen. Diese sollten im Bezug zu den Bildern stehen und so habe ich die Texte auch ausgewählt. Es ist aber keine Anthologie, weil die Texte sehr kurz sind. Ich habe aber versucht den Kreis der Autoren sehr weit zu spannen. Der Kreis der Autoren beginnt bei „unserem“ Nikolaus Lenau, der mit vielen Texten vertreten ist. Es geht dann weiter über Adam Müller Guttenbrunn, Gabriel der Ältere, Alexander Tietz, Hans Kehrer, Ludwig Schwartz, Erika Scharf, Nikolaus Berwanger bis hin zu den Lebenden Franz Heinz, der Musikwissenschaftler Franz Metz, der Soziologe Anton Sterbling, unsere Schriftstellerinnen Julia Schiff, Herta Müller und viele andere. Also es reicht bis in die Gegenwart.
Balthasar Waitz, Sie haben das Buch rezensiert. Was macht es denn für Banater so besonders?
Balthasar Waitz: Es ist Ilse Hehns Auge für Details, das dieses Buch so besonders macht. Durch die Bilder und die Texte setzt sie sich eigentlich mit dem Thema Heimat auseinander. Sie findet die ganz kleinen Dinge, die andere übersehen würden und die heute meist irgendwo auf einem Dachboden, in einem Keller, in einer Ecke liegen und vergessen werden. Und Ilse Hehn nimmt sich diesen Gegenständen an und rückt sie wieder in den Vordergrund. Denn, wie sie es auch gesagt hat, sie machen die Geschichte der Banater Schwaben aus. Und die Region wo sie über 200 Jahre lang lebten. Und ihre Traditionen und ihr Empfinden.
Das Buch weckt Nostalgie, weckt Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit. Ist es aber auch ein rein banatschwäbisches Buch. Richtet es sich ausschließlich an die Rumäniendeutschen oder soll sich auch der Banater angesprochen fühlen, der keine deutschen Wurzeln hat?
BW: In dem Buch findet man Texte die 200 Jahre alt sind. Wenn jeder Text, der so alt ist, Nostalgie wecken würde, dann müsste man die Finger von der Geschichte lassen. Ich glaube, dass das Buch mehr erreicht. Es konfrontiert dich als Leser mit einer längst vergangenen Zeit. Du, als Leser, versuchst dich in diese dargestellte Welt einzuordnen. Wo passe ich eigentlich rein? Inwiefern widerspiegelt es eigentlich meine Kindheit, mein Banat von früher? Du stehst vor diesen Beispielen und suchst im Grunde genommen nach deiner eigenen Identität. Und das trifft auch auf jene Leser zu, die keine deutschen Wurzeln haben oder die, das Banat vor der Wende bzw. das geschichtliche Banat nicht bewusst miterlebt haben. Für sie stellt sich dann eher die allgemeine Frage: Was ist Heimat? Im Endeffekt zeigen uns diese Bilder doch nur, dass wir die sind, die wir schon immer waren.
IH: Auf dem Umschlag steht aber auch als Untertitel: „Das ist Donauschwäbisches Erbe in Wort und Bild“. Es ist somit auch ein Buch, in dem sich auch ein Schwabe aus Ungarn oder Serbien wiederfindet. Was die Donauschwaben verbindet, ist das Ursprungsland. Somit stellt es auch ihr Kulturgut dar. Es richtet sich aber schon an die Deutschstämmigen. Banater Rumänen oder Serben werden wahrscheinlich einen ganz anderen Bezug zu dem Buch finden, eben weil sie andere Traditionen und anders gelebt haben. Franz Heinz hat ein Begleitwort zum Buch geschrieben und abschließend sagt er, ich zitiere: „Das Buch ist ein Geschenk für alle, die eine Heimat haben.“ Und ich hoffe, dass das auch so so angenommen wird.