So viel von Petra Curescus „Gegenbild“ ist Introspektion: Immer wieder sucht ihr lyrisches Ich nach einem vakanten Platz in der Welt, wo man frei vom Normativ sein kann. Dafür wendet sie sich dem Kosmischen zu. Immer wieder schreibt Petra Curescu über die Relation des Ichs mit dem Universum. So zum Beispiel im Gedicht „Schlaflied“: „Er schmilzt/ in die Milchstraße dahin/ und hat mich inzwischen/ vergessen.“
Im gleichen Gedicht findet das lyrische Ich den Weg zurück zu sich: Ein wiederkehrendes Motiv in Curescus Gedichten aus „Gegenbild“: Die Nacht wird zum Augenblick der Einkehr, während sich das Ich im routinierten Alltag verirrt. In „Recht auf Anspruch“ schreibt Petra Curescu: „Sie sagen, dies wäre ein Sicherheitsnetz/ doch es hetzt mich und würgt mich.“
Obwohl nicht bewusst so zusammengestellt, zeichnen sich immer wieder die gleichen Themen ab. Viele der Gedichte handeln vom Untergang. Sei es der physische Tod der Erde und der Sonne in „Der Tag, an dem die Welt zu Ende ging“ (Doch als die Sonne explodierte/ war es das schönste Licht,/ das sie je gesehen hatten), sei es das angedeutete Ende einer Volksgruppe in „Testament“ (Die Großvateruhr ist stehengeblieben, /doch das Testament wurde nicht unterschrieben./ Und wenn dann die Letzten von uns sterben/ Werden wir nur digitale Lügen vererben.) oder der Verlust eines Familienmitglieds in „Nachwelt“ (Der Marmorgrabstein meiner Urgroßmutter/ liegt immer noch im Plastik verpackt/ im überwachsenen Hof).
Ihre Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Vergänglichen ist teils nihilistisch, teils melancholisch. Das Ende ist unausweichlich und das ist furchterregend, aber auch befreiend. Was auch auf ihre Gedichte zutrifft: Sie konturieren die wesentlichen existenziellen Fragen, die den Menschen schon immer bedrückt haben, wie zum Beispiel die Frage: Wo gehöre ich hin?
Eine Frage, die wir uns ein Leben lang stellen und worauf wir uns verschiedene Antworten erhoffen, abhängig vom Lebensabschnitt. Revelation erhalten wir aus der geografischen Lokalisierung eines bestimmten Ortes, der Heimat, aus der sozialen Rollenfindung und dem Konstrukt einer eigenen Persona. Was unschlüssig bleibt, aufgrund ihrer vagen Natur, ist die Antwort in Bezug zum Spirituellen. Der Sinn des Lebens bleibt das große Geheimnis, womit jeder Mensch sich irgendwann in seinem Leben in irgendeiner Form auseinandersetzt. Letztendlich stellt sie die Basis dar, worauf alle anderen Bezüge der Frage „Wo gehöre ich hin?“ aufbauen.
Es ist also darum so passend, dass Petra Curescu für ihr drittes Gedichtband den Titel „Gegenbild“ ausgewählt hat. Denn es resümiert am Besten ihren jüngsten lyrischen Exkurs. Es geht um die Suche aller Suchen und um die Stolpersteine auf dem Weg zur einzigen Wahrheit: Darum fängt das lyrische Ich bei sich, dann bei der Familie, der Gesellschaft an und verläuft sich im Kosmischen, wo sich vielleicht Gott befindet, obwohl eher unwahrscheinlich, aber wissen kann man es nie. Oder?