Baby Jahrgang 2019 schaut mit scheinwerfergroßen Augen ins grelle Lich. Musik, Lärm, Menschengewimmel. Das Baby ist in der Mall, bei einem seiner ersten Ausgänge in die Welt, baumelt in der Trage und rudert mit den Ärmchen. An der Kasse angekommen, kaut es am Handy, lächelt, Menschengesumse, Geldgeklimper. Nur ein paar Monate später hat Baby das Sitzen gelernt. Es sitzt in seinem Buggy, krampft die Hände in das Gerüst und schaut mit aufgesperrten Augen in die menschenleere Straße, nur Vogelgezwitscher ist zu hören, kein Hupen, keine Motoren. Was Baby wohl denkt, wenn die Menschenwelt plötzlich nur aus Mama, Papa und ihm besteht? Was unsere Kinder so mitgemacht haben in den letzten Monaten? Lasst uns zumindest einige Sachen Revue passieren:
Zuerst waren es die Gespräche der Erwachsenen, ein paar Worte, vielleicht ein besorgter Blick. Dann kamen die Nachrichten, der Fernseher lief auch in Anwesenheit der Kinder, alle waren besorgt im Fernseher. Ich hoffe, dass bald danach viele Eltern auf andere Nachrichtenquellen umgesattelt sind. Die TV-Kanäle gibt es auch auf dem Handy.
Dann kam die Werbung zwischendurch. Zwischen den Zeichentrickfilmen: Teen-Titans, Bären, Einhorn-Kitty sowie Gumball niesten und wuschen sich die Hände und nahmen Abstand. Die Lektion war drollig anzuschauen, unsere Kinder lachten.
Es folgten die Hamsterkäufe. Auf Pasta freuten sich die Kinder. Kommt es jetzt jeden Tag auf den Tisch? Das mit dem Mehl und dem Öl hat sie stutzig gemacht. Und sie baten: Kann es das nächste Mal Schokolade sein?
Online-Unterricht und Home Office mit Kind
Ganz schnell kam der Online-Unterricht. Umsatteln, fast wie Ferien, dachte man sich. Aber nur für kurze Zeit. Dann kamen die Hausaufgaben. Und kommen immer noch, mehr und immer mehr. Die wenigsten Lehrer wissen, wie das Gleichgewicht zu halten ist, zwischen dem, was von ihnen als Lehrer verlangt wird und dem, was man einem Kind abverlangen kann, soll, ja, darf (!) in einer solchen Zeit. Manche Lehrer denken, das muss man abhaken. Andere denken, es muss alles gemacht werden, jetzt oder nie! Und viele denken, zu Hause sollte es alles geben und auch perfekt funktionieren: Laptop, Drucker usw. Statistiken besagen, dass 250.000 Kinder in Rumänien, keinen Zugang zum Online-Unterricht haben. Inzwischen versuchen verschiedene Organisationen und Institutionen, mit Tablets oder Laptops zu helfen.
Dann wurden manche Kinder zu den Großeltern gefahren, sollten aber nichts davon erzählen, denn Oma und Opa hätten nicht besucht werden dürfen. Andere Kinder sahen die Großeltern nur durch eine Fensterscheibe. Oder man skypte oder sprach mit ihnen am Telefon. Oder gar nicht. Weiß man noch, wie sie aussehen? Waren die Enkel nun besorgt? Waren Oma und Opa wohlauf?
Dann kam das, was Erwachsene „houm offis“ nennen und „home office“ geschrieben wird. Sagt der Korrektor auf dem Laptop. Wenn Mutter oder Vater oder beide nun zu Hause waren und jeder in einem Zimmer vor dem Bildschirm hockte und nicht mit den Kindern spielte. Oder wenn Mutter oder Vater locker war und es dem Knirps erlaubte, ihr/ihm über die Schulter zu schauen und plötzlich in der Videokonferenz derselbe Knirps vor der Kamera turnte. Das war doch in meinem Zimmer oder?
Sport, Chor und Museumsbesuch
Dann kamen viele Online-Angebote für Kinder. Sport zum Beispiel vor dem Laptop zu machen. Oder in einem virtuellen Chor mitzusingen. Oder einen virtuellen Museumsbesuch abzustatten. Alles hat maximal einmal Spaß gemacht. Kinder müssen herumwuseln, das heißt entdecken, erforschen in Kindersprache. Sie flanieren und schreiten eben nicht. Man sagt uns, dass man am Laptop „erforschen“ kann. Das stimmt nicht ganz. Das Von-einem-Exponat-zum-anderen-Rennen und Sich-Ereifern beim Museumsbesuch, das Zupfen am Kleidchen, wenn man im Chor steht, oder dem Nachbarsjungen in der Reihe einen Ellbogen versetzt, weil er nicht aufpasst, was der Sportlehrer erklärt – das alles gehört zum Erlebnis. Und zur Kindheit.
Unsere Kinder versuchten, mit ihren Freunden zu spielen. Online, auf Skype oder Zoom oder wie auch immer. Nur das klappte nicht sehr gut, nicht nach den Standards, die wir hatten. Man hat sich gemeinsam einen Film angeschaut, den der Freund auf dem Handy hatte und vor dem Laptop hielt. Oder jeder nahm ein Spielzeug zur Hand – in glücklichen Fällen haben Freunde ja auch ähnliche Geschmäcker und ähnliche Spielsachen zu Hause. Aber manchmal war das Spielen kein eigentliches Spielen, sondern nur ein Vorzeigen von Spielsachen, denn beim Versuch des Interagierens rammte man immer gegen den Monitor.
Die Torte – zum Hineinbeißen lecker
Dann kamen die Geburtstage, die man im kleinen Familienkreis hielt – Mama, Papa, bestenfalls Brüderchen und/oder Schwesterchen. Doch die Freunde sollten herbei. Das ging auch nur Online. Auch per Skype oder Zoom. Und als der Freund einem nun eine, seine, riesige Geburtstagstorte vor die Nase hielt, freute man sich zwar für ihn, wünschte sich aber dennoch auch ein Stückchen und man nahm es dem Geburtstagskind doch ein bisschen übel, denn die Torte blieb unerreichbar jenseits des Bildschirms.
Die Kinder haben jeden Winkel der Wohnung exploriert, die glücklichen unter ihnen auch jeden Winkel des Hofs oder des Gartens. Die Kinder haben die Couch für sich beansprucht und den Kleiderschrank und die Wohnzimmermitte, wo sie das Indianerzelt aufgebaut haben.
Unsere Kinder haben vielleicht auch neue Hobbys entdeckt – wenn es die Zeit zwischen den Hausaufgaben erlaubt hat. Und glücklicherweise haben es nicht alle dieser Hobbies mit der digitalen Welt zu tun. Es wird musiziert und gezimmert. Es wird gekocht und es werden Perlen gefädelt, sagt meine Freundin.
Unsere Kinder haben alle Gadgets entdeckt, Laptop, Smartphone, Tablet. Und die Streaming-Services. Und dass man dann so gut wie pausenlos Filme, Zeichentrickfilme gucken kann. Und die Video-Games. Und manche spielen jetzt Fortnite und sind erst sechs.
Und dann bekamen die Kinder öfter Happy Meals, Snacks und Süßes als sonst. Die Eltern sind ein ein perfektes Paar: der Weihnachtsmann und die gute Fee. Oder ganz im Gegenteil, seltener. Und die Eltern wurden zu richtigen Gesundheitsaposteln. Vielleicht wurde die Mutter zur Salatfurie. Oder kochte täglich und buk wöchentlich und nicht mehr nur an Weihnachten und Ostern. Und das alles, ob so oder so, sah man dann auch unseren Kindern an.
Und unsere Kinder lernten neue Wörter dazu. Virus. Soziale Distanzierung. Pandemie. Und Mama zeigte das Storybook, das sie auf der Seite des WHO entdeckt hatte, sie hatte gelesen, man könne dem Kind beibringen, was die Pandemie ist, mit Hilfe eines Märchenbuchs, das von Kinderfragen ausgehend entstanden ist (https://www.who.int/news-room/detail/09-04-2020-children-s-story-book-released-to-help-children-and-young-people-cope-with-covid-19). Aber die Kinder wussten das alles schon. Muss das Virus nun auch im Märchen vorkommen?
Und die Kinder lernten sich mit sich selbst zu beschäftigen. Oder mehr mit den Geschwistern. Oder auszukommen mit den Geschwistern. Und mit den Eltern. Die Zeit dehnte sich.
Und jetzt? Jetzt ist es ein bisschen besser. Und bald ist Kindertag. Wahrscheinlich ist das größte Geschenk für die Kinder das Ausgehen. Wohin kann man mit Kind am 1. Juni los, wenn man in Temeswar wohnt? Einfach durch die Innenstadt, vielleicht etwas an einem Stand „to go“ kaufen und essen. In einen Park gehen oder entlang der Bega spazieren. Wieder Stöckchen, Steinchen, Blümchen entdecken. Luftballons kaufen und viele, viele Seifenblasen machen. Oder zu Hause bleiben. Sich was einfallen lassen, Kinonachmittag spielen zum Beispiel (mit Pop Corn, selbstverständlich, damit man das Cinema-City-Gefühl nicht so sehr vermisst) oder ein neues Familienspiel ausprobieren. Oder doch ausgehen.
Wenn ihr wissen wollt, wie andere es durchgemacht haben, hier ein Link: https://www.nationalgeographic.com/history/2020/04/intimate-photos-families-adapting-coronavirus-world/